Freiwilligkeitsvorbehalt von Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld ist unwirksam

  • 3 Minuten Lesezeit

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteile vom 10.01.2022 – 9 Sa 66/21 und vom 09.09.2022 – 9 Sa 28/22


Ein in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wie z. B. dem Arbeitsvertrag, vereinbarter vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt ist nur dann wirksam, wenn er ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden über vertraglich nicht geregelte Gegenstände, wie z. B. Urlaub und Weihnachtsgeld oder andere Sonderzahlungen, nicht vom Freiwillig-keitsvorbehalt erfasst werden.


Im Einzelnen:


1. Sachverhalt:


Der nicht tarifgebundene Kläger war bei der Beklagten auf Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 16.08.2006 als Abteilungsleiter Lager bzw. Fachkraft Lagerwirtschaft zu einer monatlichen Brutto-vergütung i. H. v. € 4.000,00 angestellt. Der Arbeitnehmer erhielt in den Jahren 2016, 2017, 2018 und 2019 jeweils mit dem Lohnlauf Juni ein Urlaubsgeld und mit dem Lohnlauf November ein Weihnachtsgeld, wobei dies jeweils 50 % der Bruttomonatsvergütung entsprach. In den Jahren 2020 und 2021 erhielt der Arbeitnehmer weder ein Urlaubsgeld, noch ein Weihnachtsgeld. In dem Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers hieß es:
„3. Vergütung:
a) Der Arbeitnehmer erhält ab dem 01.10.2006 ein Monatsgehalt von € 3.100,00 brutto.

e) Die Zahlung von Sonderzuwendungen, insbesondere von Weihnachts- und / oder Ur-laubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsan-spruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vor-behalt der Freiwilligkeit erfolgt.

8. Nebenabreden und Vertragsänderungen:
Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertra-ges bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.“
Nachdem der Arbeitgeber weder für das Jahr 2020, noch für das Jahr 2021 Urlaubs- und Weih-nachtsgeld gezahlt hatte, klagte der Arbeitnehmer und erhielt nun vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Recht.


2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg:


Das Landesarbeitsgericht hat die Wirksamkeit der Freiwilligkeitsklausel in Ziff. 3 e) des Arbeitsver-trages nach den Maßstäben der Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
gemäß §§ 305 bis 310 BGB geprüft und festgestellt, dass sie danach unwirksam sei. Das Landesar-beitsgericht Baden-Württemberg verurteilte den Arbeitgeber daher dazu, dem Arbeitnehmer auch für die Jahre 2020 und 2021 Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld zu bezahlen. Vertragliche Freiwillig-keitsvorbehalte seien, so das Gericht, nur dann wirksam, wenn sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass spätere individuelle Abreden zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer nicht von dem Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst werden, denn solche individuellen Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben stets Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Vor-liegend seien die Sonderzahlungen – das Urlaubs- und Weihnachtsgeld – in den vergangenen vier Jahren jeweils ohne einen zusätzlichen Vorbehalt erbracht worden, wodurch eine vertraglich bin-dende individuelle / betriebliche Übung entstanden sei. Die mehrfache, vorbehaltslose Gewährung der Sonderzahlungen sei ein schlüssiges Verhalten des Arbeitgebers, aus dem der Arbeitnehmer schließen durfte, dass sich der Arbeitgeber ihm gegenüber verpflichten wolle, derartige Zahlungen zukünftig immer zu leisten.
Nach § 305b BGB haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedin-gungen. Auch nachträglich getroffene Individualabreden haben Vorrang vor kollidierenden Allge-meinen Geschäftsbedingungen. Dies gilt auch für nach Abschluss des ursprünglichen Vertrages im laufenden Arbeitsverhältnis eingegangene Verpflichtungen. Von diesen kann nicht unter Hinweis auf einen vertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalt wieder Abstand genommen werden, so das Lan-desarbeitsgericht Baden-Württemberg.


3. Beurteilung:


Ein sehr erfreuliches Urteil für Arbeitnehmer. In der Konsequenz bedeutet es ganz allgemein, dass ein Freiwilligkeitsvorbehalt in einem Arbeitsvertrag nur dann wirksam ist, wenn dieser ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern über vertraglich nicht geregelte Sonderzahlungen, wie z. B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, nicht vom Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst sind. Dies dürfte derzeit in kaum einem Arbeitsvertrag der Fall sein, so dass die Freiwilligkeitsvorbehalte in den aktuellen Arbeitsverträgen der Arbeitnehmer unwirk-sam sind.
Betriebsräte sollten ihre Kollegen unbedingt auf diese Entscheidung aufmerksam machen, da sie eventuell Anspruch auf Sonderzahlungen haben und durch den unwirksamen Freiwilligkeitsvorbe-halt eine individuelle oder betriebliche Übung entstanden sein kann.
Weiter empfehlen wir allen Arbeitnehmern, die von ihrem Arbeitgeber einen „neuen / aktualisier-ten“ Arbeitsvertrag vorgelegt bekommen, diesen anwaltlich prüfen zu lassen, bevor sie ihn unter-zeichnen, um nicht entstandene Ansprüche zu verlieren.


Sie haben Fragen hierzu oder interessieren sich für eine andere Ausgabe der Mandanteninfo:
http://www.arbeitsrecht24.com | info@arbeitsrecht24.com


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechts- und Fachanwalt Max Gnann

Beiträge zum Thema