Gesunkenes Nettoeinkommen – rückwirkende Kürzung des Krankentagegeldes unzulässig!

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Krankentagegeld soll den Verdienstausfall bei Arbeitsunfähigkeit kompensieren. Seine Höhe richtet sich nach dem Nettoeinkommen des Versicherten. Sinkt das Einkommen, darf der Krankenversicherer das versicherte Krankentagegeld herabsetzen. So sehen die Versicherungsbedingungen es jedenfalls vor.

Klausel in Versicherungsbedingungen unwirksam

Bis 2016 enthielten die Versicherungsbedingungen hierzu eine Klausel, die der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 6. Juli 2016 (Aktenzeichen: IV ZR 44/15) für unwirksam erklärte. Nach dem Urteil änderten die Krankenversicherer ihre Bedingungen ab, und ersetzten die unwirksame Klausel durch eine neue Klausel. Sie gilt jedenfalls für solche Verträge, die erst nach Änderung der Bedingungen geschlossen wurden. Auf Altverträge, für die zunächst noch die „alte“ (unwirksame) Klausel galt, ist die neue Klausel hingegen nicht ohne Weiteres anzuwenden.

 Unwirksame Klausel darf nicht „einfach so“ ersetzt werden.

Versicherungsbedingungen dürfen grundsätzlich nicht einseitig vom Versicherer abgeändert werden. Ist jedoch – wie hier – eine in den Bedingungen enthaltene Klausel durch höchstrichterliche Entscheidung für unwirksam erklärt worden, darf der Versicherer diese unter bestimmten (nicht unumstrittenen) – gesetzlich (in § 204 Abs. 4 VVG i.V.m. § 164 VVG) und vertraglich (in 18 Abs. 2 MB/KT 2009) geregelten – Voraussetzungen auch ohne Zustimmung des Versicherten im Wege eines sogenannten Treuhänderverfahrens ersetzen. Die neue Klausel wird – sofern sie wirksam ist – zwei Wochen nach ihrer Mitteilung und der hierfür maßgeblichen Gründe Bestandteil des Vertrages. 

Neue Klausel entfaltet keine Rückwirkung

Ist die neue Klausel Vertragsbestandteil geworden, stellt sich die Frage, ob sie nur für künftige Versicherungsfälle oder rückwirkend – z.B. ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses – gilt. Oder anderes ausgedrückt: Darf der Versicherer das Krankentagegeld mit Wirkung für die Vergangenheit kürzen, nachdem die neue Klausel Vertragsbestandteil geworden ist?Mit dieser Frage hat sich das Landgericht Köln in einem bemerkenswerten Urteil (Urteil vom 12. Februar 2020, 23 O 88/19) befasst – und zugunsten der Versicherten entschieden. In dem Fall unterhielt der Kläger eine Krankentagegeldversicherung, die für den Fall bedingungsgemäßer Arbeitsunfähigkeit ein kalendertägliches Krankentagegeld in Höhe von 57 EUR ab dem 15. Tag sowie von weiteren 67 EUR ab dem 43. Tag vorsah. Bestandteil des Vertrages waren die Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung aus 2009 (MB/KT 2009). Nachdem der BGH die darin enthaltene Klausel zur einseitigen Herabsetzung des Krankentagegeldes für unwirksam erklärt hatte, nahm der Versicherer im Sommer 2017 eine Anpassung seiner Bedingungen vor, die dem Versicherten – nachweisbar – jedoch erst im Herbst 2019 wirksam mitgeteilt wurde. Gleichwohl senkte der Versicherer nach einer Überprüfung des Nettoeinkommens das Krankentagegeld mit Wirkung zum 1. Dezember 2017 auf einen Tagessatz von 39 EUR, und erbrachte für Arbeitsunfähigkeitszeiten in den Jahren 2017 bis 2019 Krankentagegeld nur in dieser Höhe.

Krankentagegeld darf nicht für die Vergangenheit gekürzt werden

Der Versicherte wehrte sich gegen die Kürzung und erhielt Recht. Das LG Köln sprach ihm weiteres Krankentagegeld für die Arbeitsunfähigkeitszeiten von 2017 bis 2019 in der ursprünglich vereinbarten Höhe zu. Die neue Klausel, die den Versicherer zur einseitigen Herabsetzung des Krankentagegeldes berechtige, sei erst 2019 wirksam in den Vertrag einbezogen worden und entfalte keine Rückwirkung für davor liegende Arbeitsunfähigkeitszeiten. Zwar sei der Krankentagegeldversicherung immanent, dass maximal das Nettoeinkommen versichert werden könne, jedoch beanspruche dieses Prinzip keine absolute Geltung. Sowohl die alte als auch die neue Klausel ließen insbesondere im Falle selbstständig tätiger Versicherter die Möglichkeit zu, in Übergangsphasen bis zur wirksamen Herabsetzung ein das tatsächliche Nettoeinkommen übersteigendes Krankentagegeld zu beziehen. Es erscheine außerdem nicht sachgerecht, dass der Versicherer, der als Verwender das Risiko der Unwirksamkeit der Klausel trage, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt die Herabsetzung des Krankentagegeldes für einen bereits vollständig abgeschlossenen Versicherungsfall herbeiführen können solle.

Entscheidung stärkt die Rechte der Versicherten

Die gut begründete Entscheidung des LG Köln ist aus Sicht der Versicherten zu begrüßen und steht im Einklang mit dem unmissverständlichen Willen des Gesetzgebers. Ob sich weitere Instanzgerichte dieser Rechtssauffassung anschließen werden, bleibt abzuwarten.

Dringend Rat vom Fachanwalt einholen

Die Entscheidung des LG Köln zeigt, wie komplex die Thematik rund um die Kürzung des Krankentagegeldes ist. Beruft der Krankenversicherer sich auf neue Versicherungsbedingungen und/oder will er das Krankentagegeld reduzieren, sollte der Versicherte sich dringend (fach-) anwaltlich beraten und prüfen lassen, ob das Vorgehen des Versicherers rechtmäßig ist.


 

 


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