Grenzüberschreitende Arbeitszeiterfassung in den EU-Mitgliedstaaten

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Liebe Leser,

Der EuGH hat am 14. Mai 2019 in der Rechtssache CCOO eine grundlegende, viel diskutierte Entscheidung über die Erfassung der Arbeitszeit getroffen. Danach müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union von den Arbeitgebern verlangen, ein System einzurichten, mit dem die Dauer der täglichen Arbeitszeit gemessen werden kann. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Arbeitgeber ein objektives, zuverlässiges und zugängliches System zur Messung der Arbeitszeit einrichten. Die Mitgliedstaaten haben dabei einen gewissen Ermessensspielraum vom EuGH zugesprochen bekommen.

In den einzelnen Mitgliedsstaaten (u.a. Deutschland, Österreich, Belgien) gibt es zum Teil eine heftige Diskussion, ob die jeweiligen nationalen Regelungen zur Arbeitszeiterfassung ausreichend sind oder ob Reformbedarf besteht. Soweit ersichtlich gibt es noch keine Auseinandersetzung in der Literatur zu der Frage, wie die Arbeitszeiterfassung bei grenzüberschreitender Arbeitstätigkeit durchzuführen ist. Mit dem Aufsatz in der Zeitschrift ZESAR 03/2021 will der Unterzeichner dazu beitragen, diese Lücke zu schließen. Im Rahmen einer systematischen und analysierenden Herangehensweise zeigt er, dass eine grenzüberschreitende Arbeitszeiterfassung ohne weiteres möglich ist. Entscheidend ist, ob die jeweiligen nationalen Regelungen bereits die Vorgaben des europäischen Gerichtshofes erfüllen oder ob es gesetzliche Anpassungen geben muss. Soweit es im nationalen Recht Lücken zur Regelung der systematischen Arbeitszeiterfassung gibt, ist die Rechtslage unklar und nicht vorhersehbar. Es kommt dann auf die nationale Rechtsprechung an, die mitunter im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung zu Ergebnissen kommen muß.

Was bedeutet grenzüberschreitende Arbeitszeiterfassung tatsächlich? Wie muß man sich das vorstellen und wie soll das funktionieren?

Eine Herangehensweise wäre, dass ab dem Zeitpunkt der Grenzüberschreitung die Arbeitszeiterfassung entsprechend der jeweiligen nationalen Bestimmungen vorgenommen wird. Obwohl dies technisch durchaus in Betracht gezogen werden könnte (z. B. mit einer App), wird diese Auffassung – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung und Literatur nicht vertreten. Vielmehr wird darauf abgestellt, welches nationale Recht auf das Arbeitsverhältnis insgesamt anzuwenden ist.

Im übrigen wäre diese Methode wohl auch nicht praktikabel und schwer durchführbar, insbesondere wenn die Tätigkeit ständig örtlich wechselt. Im Prinzip gibt es zwei Varianten grenzüberschreitender Arbeit. Dies ist zum einen die ständige Arbeit in einem ausländischen Staat, wobei der Wohnsitz im Inland beibehalten wird. Zum anderen kann dies auch die Arbeit sein, die ein Arbeitnehmer sowohl im Inland als auch im Ausland wechselnd erbringt. Auch besteht die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer in verschiedenen Mitgliedsstaaten ständig oder vorübergehend tätig wird (z. B. Kraftfahrer, Arbeitnehmer in der Schifffahrt, in der Luftfahrt, etc).

Bei Auslandsarbeiten stellt sich die Frage, wie die Arbeitsleistung konkret erfasst werden soll. Gilt das Recht des Entsendestaates oder des aufnehmenden Staates ? Von welchen Faktoren ist dies abhängig? Und wie steht dies im Einklang mit der jüngsten Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs vom 14.5.2019, Aktenzeichen C – 55/18 CCOO zur Arbeitszeiterfassung?

Bei einer strukturierten Herangehensweise kommt man zu klaren und effizienten Ergebnissen.

Unterschieden werden muss zwischen Arbeiten, die ausschließlich in einem Staat und die in mehreren Staaten erbracht werden. Bei der ersten Kategorie muss in der Tat nur geprüft werden, ob noch das nationale Recht des Entsendestaates anzuwenden ist und die hierbei geltenden Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung. Je nachdem, zu welchem Ergebnis man kommt, sind die jeweiligen nationalen Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung anzuwenden.  Bei der Arbeitsleistung, die in mehreren Staaten erbracht wird, muss differenzierter an die Bestimmung der Vorschriften der Arbeitszeiterfassung herangegangen werden. Auch hier muss zunächst das anzuwendende nationale Recht bestimmt gem. Art. 8 der Rom I Verordnung.

Danach muss geprüft werden, ob diese nationalen Regelungen im Einklang mit der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs stehen.

Das Thema greift verschiedene Rechtsprobleme zur Arbeitszeiterfassung auf. Diese werden systematisch aufgearbeitet. Es wird analysiert, wie die nationale Arbeitszeiterfassung durch die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs geprägt wird und wie etwaige Lücken geschlossen werden können.

Dabei ist der nationale Gesetzgeber in den überwiegenden EU Mitgliedsstaaten gefragt, indem er de lege ferenda Regelungen zur Arbeitszeiterfassung schafft, soweit dies erforderlich ist. Solange dies nicht der Fall ist, ist die Judikative in der Pflicht , ein etwaiges Auseinanderdriften zwischen der nationalen Gesetzgebung zur Arbeitszeiterfassung und den Vorgaben des europäischen Gerichtshofs zu verhindern.

Der Unterzeichner kommt zu dem Ergebnis, dass eine Lückenschließung durch die Rechtsprechung in jedem Einzelfall sehr genau geprüft werden muss, insbesondere wie eine derartige Lückenschließung zu erfolgen hat. In diesem Zusammenhang muß auch geklärt werden, was die Konsequenzen bei bewußter oder unbewußter fehlerhafter Arbeitszeiterfassung sind. Schließlich kann dies auch Auswirkung auf die Darlegungs- und Beweislast bei behaupteter, aber strittiger Arbeitsleistung und deren Vergütung haben.

Es ist absehbar, dass es neue Rechtsfragen zur geleisteten Arbeit bei grenzüberschreitenden Tätigkeit und deren Erfassung geben wird. Es wird auch auf die jeweilige nationale Rechtsprechung und der nationalen Gesetzgebung ankommen, die untereinander differieren kann. Es ist auch zu vermuten, dass der europäische Gerichtshof zur Arbeitszeitmessung wieder angehört werden wird im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV.

Der europäische Gerichtshof hatte sich in seiner Entscheidung vom 14.5.2019, C-55/18 CCOO und dem zugrunde liegenden Sachverhalt nicht damit auseinandersetzen müssen, ob die Problematik der fehlenden bzw. fehlerhaften Arbeitszeiterfassung auch den Anspruch des Arbeitnehmers auf die Arbeitsvergütung tangiert. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofes und der nationalen Gerichte hierzu entwickelt, insbesondere was die Darlegungs- und Beweislast betrifft, wenn das geforderte objektive, verläßliche und zugängliche Messsystem fehlt.

Auch wird mit Interesse zu verfolgen sein, wie sich das Arbeitszeitrecht zu dem Recht des europäischen Gerichtshofes zum Datenschutz verhält. In der Entscheidung vom 14.5.2019, C-55/18 CCOO hat sich der EuGH hierzu mangels Veranlassung nicht geäußert. Fest stehen dürfte jedoch nach Auffassung des Unterzeichners, dass eine allumfassende, möglicherweise auch versteckte Datenerfassung unzulässig sein dürfte. Dies ist auch von dem Grundrecht nach Art. 31 (2) EU-Charta nicht gedeckt.

Den vollständigen Artikel - auch mit Lösungsansätzen - können Sie nachlesen in der Zeitschrift für Europäisches Sozial- und Arbeitsrecht ZESAR 03.21, S. 119 – 126.

Viel Spaß beim Lesen.

Ihr

Rudolf Hahn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

 


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