Grundgesetzverletzung – Was tun?
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Das Grundgesetz (GG) ist das wichtigste Gesetz in Deutschland. Es garantiert die Freiheiten jeder Person und nimmt in gesellschaftlichen Diskussionen einen zentralen Platz ein. Daher hat es einen geradezu mythischen Platz in unserer Debattenkultur erlangt.
Sie wollen wissen, wie Sie sich selbst auf das Grundgesetz berufen können? Oder wie das Grundgesetz eigentlich „funktioniert“?
Hier gibt es ein paar Antworten zum Einstieg:
Was ist das Grundgesetz?
Das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Dass unsere Verfassung GG und nicht Verfassung heißt, hat historische Gründe.
Es regelt einerseits – wie alle Verfassungen – die Organisation des Staates. Das GG enthält also die Bauanleitung des Staates: Es legt fest, welche Staatsorgane es gibt (Bundestag, Bundesregierung, Bundesrat, Bundesverfassungsgericht etc.) und welche Befugnisse (sog. Kompetenzen) sie haben. Außerdem regelt es, dass es Bundesländer gibt und welche Befugnisse diesen zukommen, also insgesamt den Platz der Länder im Bundesstaat. Ebenso bestimmt es, wie die Bundesorgane besetzt werden (z.B., dass der Bundestag gewählt wird).
Andererseits enthält das GG Grundaussagen zum Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Staatsbürgern und den Menschen, über die der deutsche Staat Macht ausübt. Es legt Prinzipien dazu fest, was der Staat seinen Bürgern keinesfalls abverlangen oder (an)tun darf und was die Bürger umgekehrt verlangen können. Hierbei handelt es sich um die Grundrechte (Art. 1 – 19 und Art. 101, 103, 104 GG).
Worauf Sie sich berufen können?
Als Staatsbürger können Sie sich auf die Grundrechte berufen. Diese gewähren Ihnen durchsetzbare (sog. subjektive) Rechte gegenüber dem Staat. Sie können vom Staat entweder verlangen, dass er Sie in Ruhe lässt (sog. Abwehrrechte) oder dass er Ihnen etwas gewährt, das Sie haben möchten (sog. Leistungs- und Teilhaberechte).
Manche Grundrechte gelten nur für deutsche Staatsbürger (z.B. das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit). Ausländer können sich auf diese Rechte nicht ohne Weiteres berufen. EU-Bürger sind jedoch aufgrund des EU-Rechtes wie deutsche Staatsbürger zu behandeln. Andere Ausländer werden im Regelfall aber auch hier nicht schutzlos gelassen. Ihr Schutzniveau ist nur etwas geringer als bei Staats- und EU-Bürgern.
Sie können sich dabei nur gegen Grundrechtsverletzungen wenden, die Sie selbst unmittelbar betreffen. Die Grundrechte Dritter können Sie nicht gerichtlich verteidigen. Sie können auch nicht abstrakt geltend machen, dass ein Gesetz im Allgemeinen schädlich ist.
Wie ist das Grundgesetz zu verstehen?
Die Artikel des Grundgesetzes sind teilweise sehr kurz und knapp formuliert. Sehen Sie sich z.B. die wichtigste Aussage des Grundgesetzes an: Artikel 1 Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Was die „Würde des Menschen“ ist, wird vom GG selbst nicht erklärt (also definiert). Dabei ist überhaupt nicht aus sich heraus klar, wie der Begriff der „Würde des Menschen“ zu verstehen ist.
Diese Technik des Formulierens wurde gewählt, da sie der deutschen Tradition entspricht, Gesetze so kurz wie möglich zu formulieren und ihre genaue Erklärung den Gerichten und der Wissenschaft zu überlassen. Zu manchen Artikeln wurden daher ganze Bücher geschrieben. Manchmal gilt fast, je kürzer, desto komplizierter.
Allein das Lesen des Gesetzes erklärt einem (leider) also nicht alles. Die bisherige Rechtsprechung (vor allem des Bundesverfassungsgerichtes) und die wissenschaftliche Literatur müssen sorgfältig studiert werden, um zu verstehen, was ein Rechtssatz eigentlich aussagen soll.
Was ist die Würde des Menschen?
Bezüglich der Menschenwürde sieht die Sachlage zum Beispiel kurz zusammengefasst so aus:
Bis heute ist in der Rechtswissenschaft nicht abschließend geklärt, was die Würde des Menschen genau ist und wo sie ihren Ursprung nimmt.
Einige sind der Meinung, die Menschenwürde sei der Wert, der dem Menschen als Gnadenerweis von Gott oder der Natur mitgegeben wurde. Andere führen die Würde des Menschen auf die Leistung der Identitätsbildung des Individuums zurück. Eine dritte Meinung versteht die Menschenwürde als soziale Notwendigkeit und begründet sie damit, dass es sich um die Anerkennung handelt, die wir Menschen uns gegenseitig schulden. Diese Ideen stammen aus der Ideengeschichte und bilden den Hintergrund des Verständnisses des Rechtsbegriffes.
Das Bundesverfassungsgericht entwickelte folgende Formel: Der durch die Menschenwürde geschützte soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbietet es, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen, da dann die Subjektqualität eines Menschen prinzipiell infrage gestellt wird. An dieser Formel misst es, ob die Würde des Menschen verletzt ist.
Sie verstehen nur Bahnhof? Das ist nicht schlimm. Letztendlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Einzelfall und legt konkret fest, ob die Würde des Menschen verletzt ist oder nicht. In manchen Fällen ist das Ergebnis auch für Grundrechtsexperten wohl eher schwer vorauszusehen gewesen.
Können Grundrechte beschränkt werden?
Viele Grundrechte können auch eingeschränkt werden. Dies sieht das GG selbst vor. Sonst könnte z.B. die Polizei im absoluten Notfall keine Terrortäter erschießen. In diesem Extremfall ist also sogar das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eingeschränkt.
Es ist daher im Einzelfall genau zu prüfen, ob eine Einschränkung von Grundrechten tatsächlich das GG auch verletzt hat.
Gilt Grundgesetz zwischen Bürgern?
Das GG regelt im Ausgangspunkt und in erster Linie das Verhältnis zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Es trifft kaum Aussagen, wie sich die Bürger untereinander zu verhalten haben.
Sie können von Ihrem Nachbarn z.B. nicht gestützt auf Ihr Recht auf Religionsfreiheit verlangen, dass er nicht über Ihr Bekenntnis lästert oder ausgehend von Ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit von Ihrem Nachbarn die Unterlassung von Lärmbelästigungen verlangen. Ob Ihrem Nachbarn sein Verhalten verboten ist, richtet sich nach den (sog. einfachen) Gesetzen. Was in Deutschland absolut verboten ist, legt für alle Bürger das Strafgesetzbuch (StGB) fest. Im Fall der nachbarlichen Lärmbelästigung enthält das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) wichtige Antworten.
Dieses sogenannte einfache Recht (= alle Gesetze unter dem GG) wird aber massiv durch die Grundgedanken des GG und seiner Grundrechte geprägt. Man spricht davon, dass das GG eine „objektive Werteordnung“ schafft. Der Gesetzgeber ist auch verpflichtet, die Ausübung der Grundrechte zu schützen. Daher liefert das Grundgesetz bei der Interpretation anderer Gesetze oft die entscheidenden Argumente. Über diesen Umweg gelten seine Wertungen dann häufig auch zwischen Bürgern.
Wie Sie Grundgesetzverstöße geltend machen können
Viele Eingriffe in Grundrechte sind in Deutschland seit langer gesetzlich geregelt. Die Rechtmäßigkeit der Eingriffe ist anhand dieser Gesetze durch die Gerichte zu überprüfen. Sie starten eine Überprüfung einer behördlichen Maßnahme also i.d.R. nicht gleich ganz oben beim Bundesverfassungsgericht, sondern beginnen beim Verwaltungsgericht. Gleiches gilt im Straf- und Zivilprozess.
Es müssen zuerst alle Instanzen durchlaufen werden. Danach ist das Bundesverfassungsgericht als letzte Instanz zuständig.
Es ist dann aber schnelles Handeln notwendig. Sie haben nur einen Monat lang Zeit, die letzte Entscheidung der letzten Instanz anzugreifen. Da die Verfassungsbeschwerde in diesem Zeitrahmen auch begründet werden muss, sollten Sie sich so schnell wie möglich beraten lassen.
Gibt es noch andere „Grundrechte“?
Neben dem GG werden Menschen in Deutschland noch durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die Europäische Grundrechtecharta geschützt.
Die EMRK gilt als Gesetz unmittelbar in Deutschland und wird bei der Interpretation des GG herangezogen. Über die Einhaltung der EMRK wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Auch bei ihm kann – nach erfolgloser Verfassungsbeschwerde – eine Beschwerde eingereicht werden.
Die Europäische Grundrechtecharta schützt Sie, wenn die EU handelt. D.h., wenn die EU-Behörden selbst handeln oder EU-Rechtsakte in Deutschland angewendet werden. Hierfür ist der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig, der von Bürgern ebenfalls angerufen werden kann.
Wenn Sie in einem Ihrer Grundrechte verletzt wurden und eine Verfassungsbeschwerde erheben möchten, wenden Sie mich gerne an. Dann loten wir gemeinsam aus, ob eine Verfassungsbeschwerde (schon) Erfolg verspricht.
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