Geschäftsführerhaftung / Vorstandshaftung – wann und wie muss der Aufsichtsrat tätig werden?

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Der richtige Zeitpunkt für Aufsichtsrat oder Gesellschafterversammlung, in Bezug auf die mögliche zivilrechtliche Haftung eines Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds tätig zu werden, liegt vor, „sobald man das erste Mal daran denkt“. Hier verhält es sich ähnlich wie bei der alten Seglerweisheit zum richtigen Zeitpunkt für das Manöver zum Reffen der Segel bei stärker auffrischendem Wind.

Für den Aufsichtsrat geht es in Bezug auf die mögliche Haftung des Geschäftsführers oder des Vorstands insbesondere darum, den ihm obliegenden Kontrollaufgaben nachzukommen, um in jedem Fall eine eigene Haftung zu vermeiden. Anlässe, die eine Prüfpflicht des Aufsichtsrats auslösen können, sind vielfältig. 

Neben dem „Griff in die Kasse“ oder absichtlichen Bilanzmanipulationen, um die Umsätze der Gesellschaft aufzublähen, stellen möglicherweise auch spekulative Investitionen oder riskante neue Geschäftsmodelle Pflichtverletzungen der Geschäftsleitung dar, die zu einer Haftung des Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds führen können. Strafrechtlich relevantes Verhalten ist dabei unter Umständen durch den Aufsichtsrat zur Anzeige zu bringen.

Nach dem Bundesgerichtshof ist der Aufsichtsrat bei der zivilrechtlichen Überprüfung des möglichen Fehlverhaltens eines Geschäftsführers oder Vorstands verpflichtet, in einer festgelegten Reihenfolge vorzugehen:

1. Feststellung des zum Schadenersatz verpflichtenden Tatbestandes in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht

Der Aufsichtsrat muss also zunächst prüfen, ob der oder die Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder durch ihr Handeln oder Unterlassen den Haftungstatbestand (§ 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) verwirklicht haben. Dafür ist für jedes Organmitglied separat das Vorliegen von schuldhafter Pflichtverletzung und des daraus entstandenen Schadens zu prüfen. Jeder Geschäftsführer oder Vorstand haftet stets individuell für eigene Pflichtverstöße. 

Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass sich die Haftung streng nach den festgelegten Ressortgrenzen der Geschäftsverteilung trennen lässt, da auch innerhalb der Geschäftsleitung eine Pflicht zur Überwachung der anderen Geschäftsbereiche besteht. Einzelne Geschäftsleiter können sich nicht ohne Weiteres über Delegation oder Geschäftsverteilung einer eigenen Haftung entziehen.

Innerhalb seiner Prüfung steht dem Aufsichtsrat nach dem Bundesgerichtshof kein eigenes Ermessen zu. Der Aufsichtsrat muss jedoch den unternehmerischen Handlungsspielraum der Geschäftsführung berücksichtigen (sog. Business Judgment Rule, § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). 

Eine Pflichtverletzung liegt danach nicht vor, wenn die Geschäftsleitung bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Zu den einzelnen Voraussetzungen dieser Business Judgment Rule existiert eine Vielzahl von gerichtlichen Urteilen sowie juristische Fachliteratur, die im jeweiligen Einzelfall zu würdigen ist. 

Dem Aufsichtsrat ist dringend zu empfehlen, bei dieser rechtlichen Prüfung der Haftung des Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds sachverständige Hilfe in Form eines juristischen Gutachtens einzuholen und dieses dann eigens auf Schlüssig- und Vollständigkeit zu überprüfen.

2. Analyse des Prozessrisikos

Im zweiten Schritt nimmt der Aufsichtsrat eine Analyse des Prozessrisikos vor. Dabei muss der Aufsichtsrat folgende Kriterien berücksichtigen und gegeneinander abwägen: Innerhalb eines meist langjährigen Schadensersatzprozesses könnten bereits jetzt absehbare Beweisschwierigkeiten dazu führen, dass die klagende Gesellschaft nicht im Prozess obsiegen wird. 

Man muss sich auch bewusst sein, dass es sich meist um komplexe unternehmerische Sachverhalte handelt, die die in der Regel dünn besetzten Landgerichte vor hohe Arbeitsanforderungen bei ggfs. nur geringem wirtschaftlichen Verständnis stellen. 

Außerdem dürfen die unter Umständen hohen Verfahrenskosten nicht unterschätzt werden und es ist zu prüfen, inwieweit die Haftpflichtversicherung (sog. D&O-Versicherung) die Kosten des Rechtsstreits abdeckt.

3. Beurteilung der Beitreibbarkeit der Forderung

In Bezug auf die Beitreibbarkeit der Forderung muss der Aufsichtsrat ermitteln, ob und in welcher Höhe Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied aus eigenen finanziellen Mitteln den voraussichtlichen Schaden des Unternehmens ausgleichen können. 

Die Schadenssummen bewegen sich je nach Pflichtverletzung oft in Millionenhöhe. Daher muss der Aufsichtsrat frühzeitig die D&O-Versicherung einbinden, um eine Schadensdeckung nicht zu gefährden.

4. Zusammenfassung

Stellt sich nach diesen Prüfschritten heraus, dass sich Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied voraussichtlich schadensersatzpflichtig gemacht haben und, dass das Prozessrisiko überschaubar und die Forderung wohl eintreibbar sein wird, kann der Aufsichtsrat nur in besonderen Ausnahmefällen davon absehen, die Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. 

Nach dem Bundesgerichtshof muss es sich um gewichtige Gründe des Gesellschaftswohls handeln und diese Umstände müssen die Gründe, die für eine Rechtsverfolgung sprechen, überwiegen oder ihnen zumindest gleichwertig sein. Auch hier ist die Reichweite der Verfolgungspflicht sehr umstritten und es kommt sehr auf die Umstände des Einzelfalls an.

Wichtig ist in jedem Fall, dass Aufsichtsrat oder Gesellschafterversammlung dafür Sorgen tragen, dass sämtliche Prüfschritte und Erwägungen im Zusammenhang mit der Haftung des Geschäftsführers oder Vorstandsmitglieds in den Sitzungsprotokollen ausführlich festgehalten werden. 

Damit kann das Gremium später belegen, dass gute Gründe vorlagen, von einer Inanspruchnahme abzusehen. Der Aufsichtsrat muss damit rechnen, dass einzelne Mitglieder über das prozessuale Mittel einer Streitverkündung in den Rechtsstreit miteinbezogen werden und sich dann wegen angeblichen eigenen Fehlverhaltens verantworten müssen. 

Bei einer gut geplanten Vorgehensweise kommt es oft innerhalb der vorgerichtlichen Verhandlungen mit der D&O-Versicherung zu einer außergerichtlichen Einigung, sodass allen Beteiligten unliebsame Öffentlichkeit und langwierige Verfahren erspart bleiben können.

Wir verfügen hier über eine langjährige Prozesserfahrung und unterstützen Sie gerne!


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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