Hinweispflicht des Arbeitgebers auf Urlaub?

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Nach dem deutschen Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) verfällt der Urlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub bis zum Jahresende nicht nimmt, d. h. keinen Urlaubsantrag stellt. Eine Übertragung ist nach § 7 Abs. 3 BUrlG nur dann möglich, wenn dringende betriebliche Gründe oder Gründe in der Person des Arbeitnehmers (in der Regel Krankheit) eine Übertragung rechtfertigen.

Weiter regelt § 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG:

„Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden.“

Daraus wird geschlossen, dass es Sache des Arbeitnehmers ist, den Urlaub zu beantragen; eine Hinweispflicht des Arbeitgebers auf die Übertragbarkeit oder den Urlaubsanspruch im neuen Jahr kennt der deutsche Gesetzgeber nicht.

Daher hat Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg (C-619/16, Kreuziger) unter anderem diese Frage dem EuGH vorgelegt. Dieser hat im Sinne des Arbeitnehmerschutzes entschieden: Arbeitnehmer dürfen ihre Urlaubsansprüche nicht deshalb automatisch verlieren, weil sie bis zum Ende des Kalenderjahres keinen Urlaub beantragt haben (EuGH, Urteil vom 06.11.2018, C-684/16 (Shimizu), EuGH, Urteil vom 06.11.2018, C-619/16 (Kreuziger)).

Nach dem EuGH ist eine Situation zu vermeiden, in der die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert würde, während der Arbeitgeber damit die Möglichkeit erhielte, sich unter Berufung auf den fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers seiner eigenen Pflichten zu entziehen. 

Zwar kann die Beachtung der Verpflichtung des Arbeitgebers aus Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht so weit gehen, von diesem zu verlangen, dass er seine Arbeitnehmer zwingt, ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub tatsächlich wahrzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑484/04, EU:C:2006:526, Rn. 43). Er muss den Arbeitnehmer jedoch in die Lage versetzen, einen solchen Anspruch wahrzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2017, King, C‑214/16, EU:C:2017:914, Rn. 63).

Das bedeutet nach dem EuGH in Anbetracht des zwingenden Charakters des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist 

„… konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun, und ihm, damit sichergestellt ist, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugs- oder eines zulässigen Übertragungszeitraums oder am Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn dies in einen solchen Zeitraum fällt, verfallen wird.“

Die Beweislast für den rechtzeitigen Hinweis und gegebenenfalls Aufforderung trägt der Arbeitgeber (vgl. entsprechend Urteil vom 16. März 2006, Robinson-Steele u. a., C‑131/04 und C‑257/04, EU:C:2006:177, Rn. 68). Kann er nicht nachweisen, dass er mit aller gebotenen Sorgfalt gehandelt hat, um den Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage zu versetzen, den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, verstieße das Erlöschen des Urlaubsanspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – das entsprechende Ausbleiben der Zahlung einer finanziellen Vergütung für den nicht genommenen Jahresurlaub gegen Art. 7 Abs. 1 und gegen Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88. 

Ist der Arbeitgeber hingegen in der Lage, den ihm insoweit obliegenden Beweis zu erbringen, und zeigt sich daher, dass der Arbeitnehmer aus freien Stücken und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Konsequenzen darauf verzichtet hat, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, steht Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2003/88 dem Verlust dieses Anspruchs und – bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – dem entsprechenden Wegfall der finanziellen Vergütung für den nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nicht entgegen.

Im Ergebnis verliert der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und seinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für einen nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub nur dann, wenn er vom Arbeitgeber z. B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen und keinen Urlaub genommen hat.

Praxistipp: Ein entsprechender schriftlicher Hinweis sollte der Arbeitgeber spätestens gegen Ende des dritten Quartals erteilen und in der Personalakte dokumentieren. Dabei dürfte ein einfacher Hinweis auf Resturlaub nicht genug sein. Der Arbeitgeber muss jedem Mitarbeiter gesondert die genaue Anzahl der noch offenen Urlaubstage offenbaren und auf deren drohenden Verfall hinweisen, verbunden mit der Aufforderung, den Urlaub zu nehmen“.

Das bedeutet wiederum in der letzten Konsequenz, dass entweder die Urlaubsübertragung ins neue Jahr ist künftig die Regel sein wird, wenn Arbeitgeber nicht nachvollziehbar und beweisbar ihren Hinweispflichten nachkommen. Ansonsten drohen Schadensersatzforderungen des Arbeitnehmers.

Philip Keller

Rechtsanwalt Köln


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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