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Impfung der Kinder – Alltagssorge oder Angelegenheit von besonderer Bedeutung?

  • 6 Minuten Lesezeit
anwalt.de-Redaktion

Wenn Kinder aus einer Partnerschaft hervorgehen, bleibt die gemeinsame Aufgabe der Elternschaft auch im Falle einer Trennung oder Scheidung bestehen. Viele Paare üben dann das Sorgerecht für ihre Kinder auch weiterhin gemeinsam aus. Das gemeinsame Sorgerecht erweist sich aber im Alltag oft als schwierig.

Die verschiedenen Angelegenheiten des Kindes

Wenn Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder nach einer Trennung weiterhin gemeinsam ausüben, wird die elterliche Sorge in zwei Bereiche aufgeteilt.

Angelegenheiten des täglichen Lebens 

Ein Bereich sind die Angelegenheiten des täglichen Lebens. Angelegenheiten des täglichen Lebens kommen häufiger vor und haben in der Regel keine größeren Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Kindes. In diesen als Alltagssorge bezeichneten Bereich fällt z. B. die Sorge für Nahrung, Kleidung und Hygiene, der regelmäßige Zahnarztbesuch, der Besuch von Elternabenden, die Teilnahme am Ferienlager, der Besuch der Großeltern, die Pflege von Hobbys etc.

Für diese Fragen bekommt der Elternteil, bei dem das Kind gewöhnlich lebt, die Alleinentscheidungsbefugnis zugewiesen. Lebt das Kind also z. B. nach der Trennung oder Scheidung der Eltern bei der Mutter, muss die Mutter den Vater nicht fragen, ob das Kind an einem Tagesausflug teilnehmen darf oder den Nachmittag bei Freunden verbringen kann.

Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung 

Das Gegenstück zur Alltagssorge sind die Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung müssen beide Elternteile gemeinsam entscheiden. Diese von beiden Eltern gemeinsam zu entscheidenden Fragen sind z. B. die Einwilligung in eine Operation, die Schulart, der Schulwechsel oder auch ein zweiwöchiger Urlaub mit einem drei Jahre alten Kleinkind in Ägypten, da dieser Gesundheitsgefahren für das Kind birgt.

Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, erfordern also das gegenseitige Einvernehmen der Eltern, während alltägliche Entscheidungen von dem Elternteil, bei dem das Kind lebt, allein getroffen werden können. Die konkrete Abgrenzung der Alltagsangelegenheiten von denjenigen mit erheblicher Bedeutung für das Kind bereitet immer wieder Schwierigkeiten. Ob die Frage nach der Impfung von Kindern in den Bereich der Alltagssorge oder in den Bereich der Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung fällt, musste nun das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt a. M. in einem aktuellen Fall entscheiden.

Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten, Masern und Pneumokokken – impfen oder nicht?

Im vorliegenden Fall stritten sich die getrennt lebenden Eltern darüber, ob ihre beiden Söhne nach den Empfehlungen der „Ständigen Impfkommission“ gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Masern geimpft werden sollten. Beide Elternteile waren sich anfangs darüber einig, ihre Kinder in der ersten Lebensphase nicht impfen zu lassen. Die Mutter änderte aber ihre Meinung und wollte die beiden Kinder auf den Rat der Kinderärztin hin doch impfen lassen. Der Vater blieb dagegen bei seiner impfkritischen Einstellung.

Da sich beide in der Frage nicht einigen konnten, beantragte die Mutter beim Familiengericht die Alleinentscheidungsbefugnis für die Durchführung der Impfungen. Der Vater beantragte dagegen bei Gericht, es der Mutter zu untersagen, die Kinder ohne seine Zustimmung impfen zu lassen.

Differenzierung zwischen der Zustimmung und Verweigerung 

Nach dem Amtsgericht (AG) Darmstadt ist die Entscheidung, ob die Impfung von Kindern eine Alltagsangelegenheit oder eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung darstellt, davon abhängig, ob die Eltern der Impfung zustimmen oder sie verweigern.

Da es sich bei den fraglichen Impfungen um empfohlene Schutzimpfungen handele, benötige die Mutter für ihre Durchführung nicht die Zustimmung des Vaters. Als Teil der U-Vorsorgeuntersuchungen gehört die Durchführung der Impfungen zur Alltagssorge. Das Amtsgericht betonte dabei, dass die Durchführung der Impfungen regelmäßig anfällt und unmittelbar in den Bereich der Gesundheitssorge fällt, der das Verhalten im Alltag beeinflusst. Werden die Kinder z. B. nicht gegen Tetanus geimpft, könne die Mutter sie im Freien nicht in allen Gebieten spielen lassen. Deshalb fällt die Entscheidung für die Impfung in den Bereich der Alltagssorge, für den die Mutter die Alleinentscheidungsbefugnis hat.

Wäre die Mutter dagegen gegen eine Impfung der Kinder, müsste sie die Nichtimpfung mit dem Vater abstimmen, denn die Folgen des Nichtimpfens können so gravierend sein, dass es sich nicht mehr um eine alltägliche Entscheidung handelt, sondern die Angelegenheit erhebliche Bedeutung erlangen kann.

Nach der Entscheidung des Amtsgerichts Darmstadt kommt es also darauf an, ob die Mutter die Impfung durchführen will oder nicht. Da die Mutter in diesem Fall die Kinder impfen wollte, musste sie sich nicht mit dem Vater abstimmen, weil die Entscheidung für die Impfung der Kinder zur Alltagssorge zählt. Gegen diese Entscheidung hat der Vater Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt.

Impfung der Kinder gehört nicht zur Alltagssorge

Das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. hat den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben. Die Frage, ob und in welchem Umfang Kinder geimpft werden, ist keine Angelegenheit des alltäglichen Lebens, und eine Differenzierung zwischen der Zustimmung und Verweigerung der Impfung kommt nicht in Betracht.

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts hat die Regelung über das Ob und das Wie der Impfung eine erhebliche Bedeutung für beide Kinder. Einerseits ist die Impfung mit gesundheitlichen Risiken und Komplikationen verbunden. Andererseits führt die Nichtimpfung zur Gefahr der Ansteckung mit den jeweiligen Krankheiten, die für die Kinder weitere Folgen mit sich bringt. Schon der Verdacht auf Masern, Diphterie oder Keuchhusten führt dazu, dass die Kinder nicht mehr in den Kindergarten bzw. die Schule dürfen. Die grundlegende Bedeutung der Impfentscheidung der Eltern unterstrich das Oberlandesgericht mit den Beispielen aus Berlin und Magdeburg, bei denen nicht geimpfte Kinder das Schulgebäude nicht mehr betreten durften oder die Schule sogar zeitweise ganz geschlossen werden musste.

Nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts müssen die Eltern die Entscheidung über die Impfung oder Nichtimpfung ihrer Kinder also grundsätzlich gemeinsam treffen, weil es sich nicht um eine Angelegenheit des alltäglichen Lebens handelt, sondern vielmehr um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung. (OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 04.09.2015, Az.: 6 UF 150/15)

Anders: der Fall der Schweinegrippeimpfung 

Interessanterweise hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main seine frühere Rechtsprechung in Bezug auf die Einordnung von Schutzimpfungen geändert, denn im Jahr 2007 musste das Gericht schon einmal darüber entscheiden, welche Art von Angelegenheit Impfungen sind. Im damaligen Fall stritten sich die Eltern über die Durchführung einer Schweinegrippeimpfung. In seiner Entscheidung dieses Schweinegrippenfalls ordnete das OLG Frankfurt a. M. die gewöhnliche medizinische Versorgung mit ihren Vorsorge- und Routineuntersuchungen, zu dem auch empfohlene Schutzimpfungen zählen würden, dem Katalog der Alltagssorge zu. Da die Kinder bei der Mutter lebten, benötigte diese deshalb für die Schweinegrippeimpfung keine Zustimmung des Vaters.

Im Zweifel nach der Empfehlung der Ständigen Impfkommission

Vor kurzem musste sich nun auch der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Fall aus Thüringen mit der Impffrage befassen. Nach diesem Grundsatzurteil richtet sich die Frage ob ein Kind geimpft wird oder nicht im Streitfall nach den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (STIKO), denn nach Ansicht des BGH kann das Familiengericht die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Impffrage dem Elternteil übertragen, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der STIKO befürwortet. Weiterlesen 

Fazit:  

Die konkrete Abgrenzung zwischen Entscheidungen, die in den Bereich der Alltagssorge fallen, und Entscheidungen mit besonderer Bedeutung, die von beiden Elternteilen gemeinsam entschieden werden müssen, ist also sehr schwierig. Auch Gerichte sind sich hier nicht immer einig. Während das OLG Frankfurt a. M. 2007 der Ansicht war, empfohlene Schutzimpfungen gehörten zum Katalog der Alltagssorge, entschied es nun, dass sowohl das Ob als auch das Wie von Impfungen Angelegenheiten von besonderer Bedeutung sind. Das Beste für alle Beteiligten wäre es daher, wenn es den Eltern gelingt, sich in solch kritischen Fragen selbst zu einigen – vor allem im Interesse ihrer Kinder!

Foto(s): ©Fotolia.com

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