Kammergericht verurteilt LinkedIn: Sperrung war rechtswidrig - Entscheidung mit Signalwirkung

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Meinungsfreiheit in sozialen Medien

Soziale Medien spielen eine immer größere Rolle im privaten wie auch im beruflichen Leben. Der Informationsaustausch findet heutzutage zunehmend über Online-Plattformen wie LinkedIn, Facebook, Twitter und Instagram statt. Insbesondere In den letzten drei Jahren rückte daher auch das Thema der Zensur in sozialen Medien in den Fokus. Jüngst beleuchtete eine israelische Studie die - scheinbar in Teilen auch staatlich beeinflusste - Zensurwut auf Social-Media-Plattformen kritisch (vgl. hier https://link.springer.com/article/10.1007/s11024-022-09479-4). Mit dem in eigener Sache erwirkten Beschluss vom 20.02.2023, durch den LinkedIn im Wege einer einstweiligen Verfügung zur Profilentsperrung und zur Wiedereinstellung eines Beitrags des Autors dieses Artikels verurteilt wird, setzt das Kammergericht ein deutliches Zeichen für die Meinungsfreiheit als Grundfeste der Demokratie. Gerade in schwierigen Zeiten, in denen Themen wie Pandemie, Krieg und Wirtschaftskrisen allgegenwärtig sind, müssen unabdingbare Grund- und Menschenrechte als Garant für Rechtstaat und Demokratie gewährleistet bleiben.


Zensur durch LinkedIn 

Der Autor veröffentlichte im Juni 2022 auf LinkedIn einen Beitrag, in dem er auf eine Studie von Prof. Dr. Peter Doshi - einem im Bereich der pharmazeutischen Forschung, insbesondere dem Zulassungsprozess von Arzneimitteln, weltweit anerkannten Wissenschaftler - hinwies. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, das Risiko einen schwerwiegenden Impfschaden durch eine mRNA-Behandlung gegen Covid-19 zu erleiden, sei größer, als das Risiko ungeimpft wegen einer Covid-19 Infektion hospitalisiert zu werden. Nachdem der Beitrag innerhalb weniger Stunden in dem Netzwerk vielfach geteilt und kommentiert worden war, löschte ihn LinkedIn und sperrte den Netzwerkzugang des Autors ohne vorherige Einräumung der Möglichkeit einer Stellungnahme mit dem pauschalen Hinweis darauf, der Beitrag enthalte Falschinformationen. Wegen der Weigerung von LinkedIn, den Beitrag des Autors wieder online zu stellen und seinen Netzwerkzugang wieder freizuschalten, machte dieser seine Rechte im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens - eines sogenannten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung - geltend.


Leitlinien des Bundesgerichtshofs 

Mit seinem Urteil vom 29.07.2021, Az. III ZR 179/20, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) anhand eines gleich gelagerten Falles auf der Facebook Plattform Leitlinien dazu aufgestellt, welche Anforderungen an die Sperrung eines Profils und die Löschung von Beiträgen durch den Netzwerkbetreiber zu stellen sind. Danach ist zwar davon auszugehen, dass Netzwerkbetreiber wie LinkedIn grundsätzlich berechtigt sind, ihren Kunden in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Einhaltung bestimmter Kommunikationsstandards vorzugeben und bei einem Verstoß gegen diese Vorgaben, Maßnahmen zu ergreifen, die sowohl eine Entfernung einzelner Beiträge als auch die vorübergehende Sperrung des Netzwerkzugangs einschließen können. Die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den AGB müssen allerdings gewährleisten, dass die darauf gestützten Entscheidungen nachvollziehbar sind. Dies setzt voraus, dass sie nicht an bloß subjektive Einschätzungen oder Befürchtungen des Netzwerkbetreibers, sondern an objektive, überprüfbare Tatbestände anknüpfen. Verfahrensrechtlich gebietet die mittelbar wirkende und verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit dabei, dass der Anbieter eines sozialen Netzwerks sich in seinen AGB dazu verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest unverzüglich nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung des Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und eine Möglichkeit zur Gegendarstellung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt. Anderenfalls seien die Geschäftsbedingungen gemäß § 307 Absatz 1 Satz 1 BGB unwirksam.


Entscheidung des Kammergerichts

Nachdem das Landgericht Berlin den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wegen angeblich fehlender Eilbedürftigkeit zunächst zurückgewiesen hatte (Beschluss vom 25.07.2022, Az. 27 O 247/22), gab das Kammergericht dem Autor im Beschwerdeverfahren nunmehr ganz überwiegend Recht und verurteilte LinkedIn einstweilen dazu, sowohl den Netzwerkzugang wieder freizuschalten als auch den Beitrag des Autors über die Studie von Prof. Dr. Peter Doshi in vollem Umfang wieder auf LinkedIn einzustellen (Beschluss vom 20.02.2023, Az. 10 W 85/22). Zwar „drückte sich“ das Kammergericht in den Entscheidungsgründen vor einer Beurteilung des Wahrheitsgehalts der zitierten Studie. Diese hatte mittlerweile bereits ein „Peer-Review-Verfahren“, also eine Gegenprüfung durch andere an der Studie nicht beteiligte Wissenschaftler, erfolgreich durchlaufen. Das Kammergericht machte die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Betreiber von LinkedIn aber daran fest, dass bereits die AGB des Netzwerks kein ausreichendes Verfahren zur Gegendarstellung vorsehen, was mittelbarer Ausdruck dafür ist, dass LinkedIn keine ausreichende Überprüfung angeblicher Falschinformationen vornimmt.


Auswirkungen der Kammergerichtsentscheidung

Wichtig ist, dass das Kammergericht in seiner Entscheidung klarstellt, dass die vom BGH im Urteil vom 29.07.2021, Az. III ZR 179/20, aufgestellten Leitlinien nicht nur für Facebook, sondern auch für andere soziale Netzwerke wie LinkedIn Geltung haben. Für LinkedIn selbst dürfte die Entscheidung zudem einschneidende Auswirkungen haben. Denn das Kammergericht attestiert darin, dass die bisher von LinkedIn praktizierte Verfahrensweise der Beitragslöschung und der Profilsperrung per se rechtswidrig ist und die zugrunde liegenden AGB gegen Treu und Glauben verstoßen. Nach dieser Einschätzung des Kammergerichts dürfte jede bisher durch LinkedIn vorgenommene Beitragslöschung und Profilsperrung rechtswidrig gewesen sein und zwar unabhängig vom Inhalt des umstrittenen Beitrags. Gleiches gilt für zukünftige Beitragslöschungen und Profilsperrungen, soweit die Betreiber von LinkedIn ihre AGB nicht dahingehend ergänzen, dass die vom BGH geforderten Verfahrensgrundsätze eingehalten werden.


Sollten Sie von dem rechtswidrigen Zensurgebaren durch LinkedIn ebenfalls betroffen sein, empfehle ich Ihnen, sich dagegen zur Wehr zu setzen, soweit erforderlich auch durch Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Durchführung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens. Gerne prüfe ich für Sie die Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen LinkedIn oder gegen die Betreiber anderer sozialer Netzwerke. Sofern Sie über eine deckende Rechtsschutzversicherung verfügen, übernimmt diese die Kosten für Sie.


Referenzen

Der Autor ist langjährig in verschiedensten Bereichen des Zivilrechts tätig und sowohl mit außergerichtlichen als auch gerichtlichen Interessenvertretungen betraut. Unter anderem führte er zwei Leitentscheidungen im Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH gegen die Rechtsprechung des BGH herbei (vgl. EuGH, Urteil vom 26.03.2020, Az. C-66/19 sowie Urteil vom 16.09.2021, Az. C-155/20).

Foto(s): www.unsplash.com


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