Kann eine Fluggesellschaft eine Einreisestrafe im vollen Umfang auf den Fluggast übertragen?

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Mit Urteil vom 15. Mai 2018 hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Erstattung eines dem Luftverkehrsunternehmen wegen fehlenden Visums auferlegten Bußgelds zu befassen.

Was war geschehen?

Ein Fluggast schloss mit der Deutschen Lufthansa AG einen Beförderungsvertrag, der ihn berechtigte, auf der Strecke von Frankfurt nach Neu-Delhi befördert zu werden. Zur Einreise nach Indien benötigen deutsche Staatsangehörige ein Visum, welches vor Anreise bei einer Auslandsvertretung der Bundesrepublik Indien einzuholen ist. Der Fluggast versäumte die Einholung des erforderlichen Visums, denn er glaubte, er könne – wie in der Vergangenheit auch – das Visum unmittelbar vor der Einreise an der Grenzkontrollstelle erhalten. 

Bei Abfertigung zum Flug und auch während des Boardings wurde von der Lufthansa AG nicht geprüft, ob der Fluggast über das erforderliche Visum zur Einreise in die Bundesrepublik Indien verfügt. Der Fluggast wurde nach Neu-Delhi befördert und versuchte mit seinem vorhandenen gültigen Reisepass nach Indien einzureisen. An der Grenzkontrollstelle viel dann das fehlende Visum des Fluggastes auf und ihm wurde die Einreise verweigert. Dem Fluggast wurde befohlen, sofort die Rückreise anzutreten. Der Deutschen Lufthansa AG wurde von den indischen Behörden wegen der Beförderung eines Fluggastes ohne die erforderlichen Einreisedokumente ein Bußgeld in Höhe von 100.000 Rupien, dies entspricht etwa 1.415,00 € auferlegt. Die Zahlung dieser sogenannten Einreisestrafe an die indischen Behörden durch die Lufthansa AG ist erfolgt. Die Lufthansa berief sich gegenüber dem Fluggast auf Art. 13 ihrer Allgemeinen Beförderungsbedingungen, in denen bestimmt war, dass im Falle der Auferlegung einer Einreisestrafe infolge fehlender Einreisedokumente, der Fluggast diese Einreisestrafe zuzüglich eines Bearbeitungsentgelts an die Lufthansa zu bezahlen habe. Der Fluggast hat die Bezahlung verweigert, sodass Lufthansa AG Klage zum Amtsgericht Hannover erhob.

Urteile I. und II. Instanz

Das zunächst angerufene Amtsgericht hat der auf Erstattung der Einreisestrafe gerichteten Klage stattgegeben. Nach der durch den Fluggast eingelegten Berufung hat das Landgericht Hannover das angefochtene Urteil bestätigt. Das Landgericht Hannover nahm an, dass sich aus dem Luftbeförderungsvertrag eine Nebenpflicht dahingehend, die notwendigen Einreisedokumente mit sich zu führen, ergibt. Diese vertragliche Nebenpflicht ergäbe sich unter anderem aus den Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Deutschen Lufthansa AG, die in den Vertrag wirksam einbezogen wurden. Im Übrigen ergäbe sich auch aus § 241 Abs. 2 BGB, dass als Mitwirkungspflicht des Reisenden die notwendigen Dokumente mitzuführen seien. Im Übrigen träfe die Beklagte kein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens, denn sie dürfe grundsätzlich davon ausgehen, dass die Fluggäste die erforderlichen Einreisedokumente mit sich führen. Es sei eine eigene Verantwortung des Reisenden, sich die notwendigen Reisedokumente und Visa zu beschaffen. Aus diesem Grund habe der Beklagte die Einreisestrafe in voller Höhe an die deutsche Lufthansa AG zu erstatten.

Die Auffassung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat die Auffassung des Landgerichts in seinem Revisionsurteil nicht vollständig bestätigt. 

Der Senat hat zwar angenommen, dass die Allgemeinen Beförderungsbedingungen wirksam in das Vertragsverhältnis einbezogen wurden und diese auch nicht aus Gründen der unangemessenen Benachteiligung des Klauselgegners unwirksam seien.

Allerdings hat der Senat die Auffassung des Landgerichts nicht geteilt, wonach ein Mitverschulden der Lufthansa AG nicht bestehe. In der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende des X. Zivilsenats ausgeführt, dass das Mitverschulden der Deutschen Lufthansa AG bei der Entstehung des Schadens zu berücksichtigen ist. Es genügt für das Mitverschulden eine zurechenbare Mitwirkung bei der Schadensentstehung in Form eines Verstoßes gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung. Die indischen Behörden haben der Lufthansa AG das Bußgeld auferlegt, da sie gegen ihre eigene Verpflichtung verstoßen hat, keinen Fluggast ohne das für die Einreise nach Indien erforderliche Visum zu befördern. Es sei daher ein eigenes Interesse der Fluggesellschaft, vor dem Abflug in geeigneter Weise zu überprüfen, dass alle Fluggäste über die notwendigen Dokumente zur Einreise in den Zielstaat verfügen. Im Übrigen könne die Erhebung des Mitverschuldenseinwandes nicht durch Beförderungsbedingungen der Lufthansa AG ausgeschlossen werden.

Der BGH hat daher das Urteil des Landgerichts Hannover aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, um festzustellen, welche Art und Schwere das Mitverschulden der Lufthansa AG hat.

Mit diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die Praxis der Lufthansa, Einreisestrafen in voller Höhe an die betroffenen Fluggäste weiterzubelasten, mit geltendem Recht nicht in Einklang zu bringen ist. In jedem Prozess muss die Lufthansa daher nun darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass sie kein eigenes Verschulden an dem Eintritt des Schadens trifft, sofern sie die Einreisestrafe in voller Höhe beim Fluggast regressieren möchte. Inwieweit das der Lufthansa gelingt, kann erst den weiteren Schriftsätzen, die nunmehr vor dem Berufungsgericht einzureichen sind, entnommen werden. Da es der BGH als eine eigene Verpflichtung der Lufthansa AG angesehen hat, die Fluggäste auf das Vorhandensein der Einreisedokumente zu kontrollieren, dürfte das Mitverschulden infolge Unterlassung der Kontrolle oder unrichtiger Beurteilung über die Notwendigkeit von Vorabvisa dazu führen, das Verschulden des betroffenen Fluggastes in den Hintergrund treten zu lassen. 

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