Kann ich hellsehen? - Renditeprognosen bei Blindpools

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Was muss im Verkaufsprospekt stehen? 

BGH | Beschluss vom 8. Juni 2021 – XI ZB 22/19

Sachverhalt und Ausgangsverfahren

Die Rendite einer Fondsbeteiligung fällt geringer aus als im Verkaufsprospekt prognostiziert. Was passiert? Manch Anleger klagt.

Laut Fondskonzept sollte die Gesellschaft laufende Versicherungspolicen aufkaufen, Beiträge weiterzahlen und am Ende der Laufzeit die fällige Leistung vereinnahmen. Der für die Policen gezahlte Preis lag zwar über dem jeweiligen Rückkaufswert; die Fondsverantwortlichen spekulierten aber darauf, dass die Policen tatsächlich mehr wert waren als der Kaufpreis und erwarteten am Ende ein dickes Plus. Anleger konnten sich entweder unmittelbar als Kommanditisten oder mittelbar als Treugeber an der Fondsgesellschaft beteiligen. Dies tat auch der Kläger.

Blindpool als surprise bag?

Bei der Fondsgesellschaft handelte es sich um einen Blindpool: Bei Prospekterstellung 2006 stand noch nicht fest, welche Versicherungspolicen konkret erworben werden würden. Prognosen wurden deshalb anhand eines Modellportfolios berechnet, basierend auf Vergangenheitswerten, statistischen und finanzmathematischen Analysen. Hierauf wies der Prospekt ausdrücklich hin, und auch darauf, dass das später angekaufte Portfolio sehr wahrscheinlich vom Modell abweichen würde, mit der Folge geringerer Ausschüttungen.

Auf gesellschaftsrechtliche Verbindungen, insbesondere auf die Konstellation Mutter- und 100-Prozent-Tochtergesellschaften und mögliche Interessenskonflikte wurde im Prospekt ebenfalls explizit hingewiesen. Nicht hingewiesen wurde auf einen bestehenden Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag zwischen der Emittentin und ihrer Muttergesellschaft.

Da sich die Beteiligung nicht wie prognostiziert entwickelte, erhoben zahlreiche Anleger Klagen gegen diverse Beklagte, darunter Treuhand- und Gründungskommanditisten, Muttergesellschaft und Kreditinstitute.

Die Parteien streiten über die Frage, ob der im März 2006 aufgestellte Verkaufsprospekt unrichtig und unvollständig ist und dem Kläger deshalb Ansprüche (u.a. aus Prospekthaftung, wegen fehlerhafter Anlageberatung- bzw. Anlagevermittlung) gegen die Beklagten zustehen.


Der Beschluss des BGH

Ist der Prospekt falsch? Nein, urteilte der BGH.

Kein Prospektfehler wegen Prognosen

Für den Prospekt kommt die bis zum 31. Mai 2012 geltende Fassung des VerkProspG, nachfolgend VerkProspG a.F. zur Anwendung.

EXKURS | Das VerkProspG ist zum 1. Juni 2012 außer Kraft getreten. Je nach Anlagentyp - Wertpapier oder Vermögensanlage, richtet sich die Prospekthaftung für Wertpapiere nach dem WpPG (bis 20. Juli 2019) bzw. der EU-Prospektverordnung 2017/1129 (ab 21. Juli 2019) sowie für Vermögensanlagen nach dem VermAnlG.

Nach § 8 g Abs. 1 Satz 1 VerkProspG a.F. muss der Verkaufsprospekt alle tatsächlichen und rechtlichen Angaben enthalten, die notwendig sind, um dem Publikum eine zutreffende Beurteilung des Emittenten und der Vermögensanlage zu ermöglichen. Er muss über tatsächliche und rechtliche Verhältnisse, die für die Beurteilung der Vermögensanlage nötig sind, Auskunft geben sowie richtig und vollständig sein.

Wann ist ein Prospekt richtig und vollständig? Wesentlich ist, welches Gesamtbild der Prospekt dem Anleger von den Unternehmensverhältnissen vermittelt. Bei Prognosen übernimmt der Herausgeber eines Prospekts grundsätzlich keine Gewähr dafür, dass die prognostizierte Entwicklung tatsächlich eintritt. Sie müssen durch Tatsachen gestützt und aus damaliger Sicht (ex-ante) vertretbar sein.

Die Prognosen im Prospekt waren laut BGH richtig. Angesichts des Blindpool-Konzepts standen bei Prospekterstellung die Investitionen nur abstrakt fest. Hierauf sei auf mehreren Seiten deutlich hingewiesen worden. Anstelle konkreter Berechnungen – diese waren nicht möglich – dürfte für die Prognosen ein Modellportfolio herangezogen werden.

Kein Prospektfehler in Bezug auf Interessenskonflikte

Umstände, die zu Interessenskonflikten des Treuhänders zum Nachteil der Gesellschaft und der beitretenden Gesellschafter führen können, müssen im Prospekt genannt werden. Bespiele sind wesentliche kapitalmäßige und personelle Verflechtungen zwischen Komplementär-GmbH, Unternehmern, den jeweiligen Geschäftsführern und beherrschenden Gesellschaftern.

Hier vermittelte der Prospekt ein richtiges und vollständiges Gesamtbild. Der Hinweis, dass die Emittentin – eine GmbH – zu 100 % Tochtergesellschaft einer der Beklagten war, genügte. Auf den zwischen Mutter und Tochter abgeschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag musste nicht auch noch hingewiesen werden. Weshalb nicht? Die Mutter als GmbH-Alleingesellschafterin hatte bereits erheblichen Einfluss, der Vertrag gab ihr nicht noch mehr Weisungsbefugnis.

Welche praktische Bedeutung hat das Urteil künftig bei Blindpool-Konstruktionen? 

Auch wenn die Anspruchsgrundlagen vom einen ins andere Regelwerk umgezogen sind (vom VerkProspG ins WpPG bzw. die EU-Prospekt-VO sowie ins VermAnlG) sind die Anforderungen an Prospekte und die Konsequenzen bei unzutreffenden | unvollständigen Prospekten im Wesentlichen gleichgeblieben: Prospekte müssen richtig und vollständig sein; ist dies nicht der Fall, wird gehaftet.

Doch was ist künftig mit Blindpool-Konstruktionen? Durch das Anlegerschutzstärkungsgesetz | AnlSchStG, größtenteils am 16. August 2021 in Kraft getreten, wurde § 5 b Abs. 2 VermAnlG inhaltlich erheblich erweitert. Darin heißt es:

„Vermögensanlagen, bei denen das Anlageobjekt zum Zeitpunkt der Erstellung des Verkaufsprospekts oder in Fällen des § 2a zum Zeitpunkt der Erstellung des Vermögensanlagen-Informationsblatts nicht konkret bestimmt ist, sind zum öffentlichen Angebot im Inland nicht zugelassen.“

Das Aus für den Blindpool? Beim Vertrieb an Privatanleger, ja. Verboten sind hier reine Blindpool-Konstrukte, bei denen weder Branche noch Anlageobjekt feststehen. Ebenfalls verboten sind Semi-Blindpool-Konstruktionen: Hier steht zwar die Branche fest, nicht aber das konkrete Anlageobjekt. Ein Verbot, weil kein (Semi-)Blindpool, besteht aber dann nicht, wenn das Anlageobjekt schon einen gewissen Realisierungsgrad aufweist. Weiterhin erlaubt sind Investitionen in den Geschäftszweck; sie sind schon begrifflich kein Blindpool: Dabei investiert ein Unternehmen in sich selbst sowie in die personellen und materiellen Ressourcen, die nötig sind, um den Geschäftszweck zu erreichen, investiert also in den eigenen Auf- und Ausbau. Die Frage, ob ein Konzept verbotener Blindpool ist oder nicht, lässt sich nicht abstrakt, sondern immer nur situationsbezogen entscheiden.

Zurück zum BGH-Beschluss: Liegt ein (Semi-)Blindpool vor, kann sich die Frage, wie Renditeprognosen hierzu im Prospekt darzustellen sind, noch für Fälle stellen, in denen § 5 b Abs. 2 VermAnlG in der seit dem 16. August 2021 geltenden Fassung noch nicht anwendbar ist. Generell relevant ist das Urteil für die Frage, welche Anforderungen an Prognosen in Prospekten zu stellen sind.



Foto(s): @canva

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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