Korruptions-Prozess gegen Staatsanwalt aus Hannover gestartet: Die Verteidigung wehrt sich

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Staatsanwalt auf der Anklagebank

Der Prozess gegen einen Staatsanwalt aus Hannover, der gegen Bezahlung den Drogen-Untergrund mit wertvollen Informationen über interne Ermittlungsergebnisse und bevorstehende Festnahmen versorgt haben soll, hat begonnen. Zu den Hintergründen des Strafverfahrens lesen Sie hier und hier mehr. Dieser Artikel soll sich - nachdem sich die mediale Berichterstattung nahezu ausschließlich mit die den Staatsanwalt belastenden Umständen beschäftigt hat - zentriert mit der Rolle der Verteidigung des Angeklagten Yashar G. beschäftigen, die sich nach Verlesung der Anklageschrift erstmals umfassend im Rahmen eines sogenannten Opening Statements" einließ.


Was ist ein Opening Statement?

Bei einem Opening Statement handelt es sich um ein - der Name deutet es bereits dezent an - einleitendes Eröffnungsplädoyer der Verteidigung des Angeklagten gegen die soeben verlesene Anklageschrift; dieses Recht entstammt nicht aus Kinofilmen, sondern aus der Strafprozessordnung, in der es hierzu heißt (§ 243 Abs. 5 S. 3 StPO):


"Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf."


Hieraus wird schon einmal deutlich, dass ein Opening Statement nicht in jedem x-beliebigen Verfahren vorgetragen wird, sondern dieses nur in besonderen, umfangreichen Prozessen und auch hier nur auf entsprechenden Antrag geschieht. 

Warum? Die gerade diesen Verfahren zugrundeliegenden Ermittlungsakten sind umfangreich und unübersichtlich, oftmals (wie auch hier) ist das öffentliche und politische Interesse groß und nicht selten hat auch eine mediale Vorverurteilung bereits stattgefunden; um die Möglichkeit zu haben, vernebelt von diesen Eindrücken nicht bereits vor Beginn der Beweisaufnahme unterzugehen und überhaupt eine Gelegenheit zum Atmen zu bekommen, ist dieses Mittel unter zumindest rhetorisch einigermaßen affinen Strafverteidigern durchaus beliebt, um der Ausgangshypothese der Staatsanwaltschaft und der öffentlichen Meinung gewissermaßen in einer Art "Befreiungsschlag" entgegenzutreten. Der Blick des Gerichts - und insbesondere der Schöffen, die keine juristische Vorbildung genossen haben - soll geschärft und auch auf die entlastenden Umstände beziehungsweise auf etwaige Ermittlungsfehler hingelenkt werden. 


Ziel ist es, dass das Gericht, welches neutral zu sein hat, durch die Vorarbeit der Staatsanwaltschaft und Polizei nicht in Voreingenommenheit verfällt und ein etwaig bereits vor der Beweisaufnahme bestehendes Tatbild sich nicht weiter verfestigt.


Was war Gegenstand des Opening Statements?

  1. Konkret wurde angegriffen, dass die Anklageschrift letztlich auf bloßen Indizien und einer einseitigen Interpretation von Chatverläufen beruhe, welche etwa 270 Seiten benötige (das sogenannte "Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen"), um überhaupt erst erklären zu können, inwieweit die anklagende Staatsanwaltschaft Osnabrück zu ihrer Sichtweise kommt. Es wurde insoweit angekündigt, dass sich der angeklagte Staatsanwalt in den kommenden Verhandlungstagen jeweils umfassend und dezidiert selbst zu diesen Verläufen einlassen will. Man will - dies entspricht gängiger kunstgerechter Verteidigung -damit aufzeigen, dass es sehr wohl andere Erklärungsansätze und Betrachtungsweisen gibt als nur den einen, der den Angeklagten tatsächlich als "Maulwurf" und damit für schuldig ansieht.
  2. Üblich - aber deswegen immer noch komplett richtig - ist es fernerhin das Gericht direkt anzusprechen und einen unvoreingenommenen Blick auf die Hauptverhandlung anzumahnen. So ist es auch hier geschehen, wobei die durchaus als einseitig zu betrachtende Vorberichterstattung in den Medien in den Blick genommen wurde. Besonders kritisch gewürdigt wurde dabei auch ein unmittelbar vor Verhandlungsbeginn im Rahmen einer Kurzdokumentation erstatteter Bericht des NDR, in welcher sich auch ein Anwalt zu den Vorwürfen interviewen ließ. Dieser, so kündigte es die Verteidigung bereits an, werde noch als Zeuge in der Verhandlung zu hören sein.
  3. Es wurde das Augenmerk auf den Umstand gelenkt, dass eine Kammer mit dem Fall betraut worden ist, deren Vorsitzende sich nach einer dienstlichen Erklärung aufgrund ihrer persönlichen tiefergehenden Bekanntschaft mit dem angeklagten Staatsanwalt selbst als nicht unvoreingenommen ansehen soll und welcher das Verfahren letztlich durch das Oberlandesgericht aufgezwungen worden sei; die Verteidigung moniert insoweit vollkommen richtig, dass damit sicherlich der Eindruck der Unbefangenheit nicht mehr zu halten ist.
  4. Schließlich wurde moniert, dass noch keine vollständige Akteneinsicht vorliege - diese ist indes unabdingbares und absolut notwendiges Mittel einer jeden Strafverteidigung, um Waffengleichheit gegenüber der Anklage herstellen zu können. Der angeklagte Staatsanwalt fordert dabei insbesondere Nachlieferung der Rohmessdaten der verschlüsselten Chats, weil er Staatsanwaltschaft und LKA nach eigenen Worten nicht traue und die Ermittlungsschritte gerne selbst nachvollziehen würde.


Wie geht es weiter?

Es bleibt zu hoffen, dass dem Wunsch auf vollständige Akteneinsicht zeitnah nachgekommen wird - denn: Eine adäquate Verteidigung kann kaum gewährleistet werden, wenn man nicht einmal die Richtung der Angriffe kennt. Im Mai wird die Verhandlung sodann fortgesetzt, wobei angekündigt wurde, dass sich der Angeklagte zu allen Vorwürfen im Einzelnen einlassen will. Ziel wird es sein - hierfür muss man kein Hellseher sein - eine anderweitige Interpretation der Chatverläufe herauszuarbeiten, welche als erklärbar und lebensnah nachvollzogen werden kann und sich somit als adäquater Alternativsachverhalt zum Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft Osnabrück darstellt. Mit dieser Marschroute könnte bestenfalls erreicht werden, Zweifel an der bisherigen Darstellung zu hegen, sodass die Schuld nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden kann und ein Freispruch zu erfolgen hat. 


Denn hierfür muss die Unschuld des Angeklagten nicht positiv festgestellt werden; vielmehr muss der Tatvorwurf in einem (jeden!) ordentlichen Strafverfahren zwar nicht mit hundertprozentiger Gewissheit, aber doch mit einer Überzeugung, die Zweifeln Einhalt gebietet, bestätigt werden. Insoweit ist zum jetzigen Zeitpunkt noch alles offen. 


Eines hat sich aber unabhängig vom derzeit noch unabsehbaren Prozessausgang bereits jetzt bestätigt: Es kann absolut jeden treffen. Sollten Sie daher ebenfalls Beschuldigter in einem Strafverfahren sein und eine kompetente Verteidigung benötigen, kümmern Sie sich frühzeitig um einen erfahrenen Strafverteidiger, der Sie unterstützt und Ihnen zur Seite steht, wenn sich alle abwenden.



AS-Strafverteidigung

Adrian Schmid

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht

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