Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit: Wissenswertes für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

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Der Arbeitnehmer ist krank. Bekommt er weiter Gehalt, und wenn ja: wie lange? Und wann darf der Arbeitgeber die Gehaltszahlung einstellen? Der folgende Beitrag soll einen Überblick verschaffen – wenn Sie eine Beratung zu diesem Thema benötigen, sprechen Sie uns bitte an.


Ausgangspunkt ist § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG): Hiernach hat ein Arbeitnehmer, der infolge Krankheit arbeitsunfähig ist und den daran kein Verschulden trifft, einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung (EFZ) für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen. § 3 EFZG durchbricht also den arbeitsrechtlichen Grundsatz „Kein Lohn ohne Arbeit“, weil der Arbeitnehmer weiterhin Gehalt beanspruchen kann, obwohl er wegen Krankheit nicht arbeitet. Da § 3 EFZG den Vergütungsanspruch aufrechterhält, scheidet EFZ nach § 3 EFZG regelmäßig aus, wenn auch ohne Krankheit kein Vergütungsanspruch bestünde (etwa weil das Arbeitsverhältnis während der Arbeitsunfähigkeit endet oder der Arbeitnehmer bereits vor der Erkrankung unentschuldigt gefehlt hat).


Die einzelnen Voraussetzungen für einen Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit (AU):


  • Arbeitsverhältnis


Das EFZG gilt nur für Arbeitnehmer oder Auszubildende. Gleichgültig ist, ob es sich um ein Arbeitsverhältnis in Voll- oder Teilzeit handelt oder der Arbeitnehmer befristet oder unbefristet beschäftigt ist.


  • Wartezeit von 4 Wochen (§ 3 Abs. 3 EFZG)


Anspruch auf EFZ besteht erst, sofern und sobald das Arbeitsverhältnis 4 Wochen (28 Kalendertage) bestanden hat. Wird der Arbeitnehmer vor Ablauf der Wartezeit krank und endet die AU nach Ablauf der Wartezeit, dann hat er ab dem ersten Tag nach Ablauf der Wartezeit für maximal 6 Wochen Anspruch auf EFZ. Die 6-Wochen-Frist beginnt also nicht bereits mit dem ersten Tag der AU, sondern erst ab dem Ende der Wartezeit.


  • Krankheit und hierdurch Arbeitsunfähigkeit (krankheitsbedingte AU)


EFZ setzt weiter voraus, dass der Arbeitnehmer krank und hierdurch arbeitsunfähig ist und deshalb seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Krankheit und AU sind strikt zu trennen: Wer krank, aber nicht arbeitsunfähig ist, kann ebenso wenig EFZ verlangen wie jemand, der zwar arbeitsunfähig ist, bei dem die AU aber nicht auf Krankheit beruht. Krankheit ist ein im Vergleich mit der typischen altersbedingten Körperentwicklung regelwidriger Körper- und/oder Geisteszustand. So sind z. B. altersbedingte Einschränkungen oder normal verlaufende Schwangerschaften keine Krankheit, während Unfruchtbarkeit zwar eine Krankheit darstellt, die regelmäßig aber nicht zur AU führt. AU liegt nämlich nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer objektiv nicht die vertraglich geschuldete Leistung erfüllen kann oder aber die Gefahr besteht, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert, sollte er arbeiten gehen. Übrigens: Eine Corona-Infektion ohne Krankheitssymptome begründet keinen Anspruch auf EFZ.


  • Arbeitsverhinderung allein durch die krankheitsbedingte AU


Wie eingangs schon erwähnt, setzt EFZ voraus, dass auch ohne krankheitsbedingte AU ein Vergütungsanspruch bestanden hätte. Erkrankt z. B. ein Arbeitnehmer nach Eigenkündigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus, so endet am letzten Tag der Kündigungsfrist auch sein Anspruch auf EFZ: Denn das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf der Kündigungsfrist, danach bestünde auch bei Genesung kein Vergütungsanspruch mehr.


Wichtige Ausnahme in diesem Kontext ist § 8 Abs. 1 EFZG, den erstaunlich wenig Arbeitgeber und Arbeitnehmer kennen: Wenn der Arbeitgeber nämlich die AU zum Anlass der Kündigung nimmt oder den Arbeitnehmer durch vertragswidriges Verhalten zur Eigenkündigung bewegt, dann hat der AN auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zur Dauer von 6 Wochen Anspruch auf EFZ – dies wissen die wenigsten. Gut für Arbeitnehmer: Wird die Kündigung des Arbeitgebers im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer AU des Arbeitnehmers ausgesprochen, spricht vielfach der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die AU zum Anlass der Kündigung genommen worden ist; der Arbeitgeber muss dann das Gegenteil beweisen.


In Fällen, in denen die krankheitsbedingte AU nicht der einzige Grund für die Arbeitsverhinderung ist, in denen aber der Vergütungsanspruch aus anderen Gründen ausnahmsweise erhalten bleibt, bestimmt das Gesetz, nach welcher Vorschrift der Arbeitnehmer Vergütung beanspruchen kann: Erkrankt er etwa während des Urlaubs, dann ist seine AU nicht der alleinige Grund für seine Arbeitsverhinderung. Diese beruht vielmehr (auch) darauf, dass er zuvor Urlaub genommen hat und deshalb nicht arbeiten muss. Für die Tage des Urlaubs, die der Arbeitnehmer nachweislich arbeitsunfähig erkrankt ist, erhält er kein Gehalt in Form des Urlaubsentgelts, sondern Gehalt nach dem EFZG. Zudem bleiben ihm die Urlaubstage erhalten, an denen er krank war.


  • Kein Verschulden des Arbeitnehmers


Anspruch auf EFZ besteht nur, wenn der Arbeitnehmer seine krankheitsbedingte AU nicht selbst verschuldet, also seine Arbeitsverhinderung nicht vorsätzlich oder besonders leichtsinnig selbst herbeigeführt hat. Wer Fussball spielt oder Ski fährt, obwohl er weiß, dass er hierfür keine Begabung hat, und sich hierbei verletzt, der handelt allenfalls leichtsinnig, aber nicht besonders leichtsinnig. Diese Einschränkung des EFZ-Anspruchs ist in der Praxis kaum relevant und wird allenfalls greifen, wenn der Arbeitnehmer sich verletzt, weil er vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen hat.


  • Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers


Anspruch auf EFZ besteht nicht, sofern und solange der Arbeitgeber die EFZ verweigern darf, weil der Arbeitnehmer seine Feststellungspflichten nach § 5 Abs. 1a EFZG oder seine Pflichten nach § 5 Abs. 2 EFZG nicht erfüllt hat.


Anzeigepflicht: Nach § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unverzüglich die krankheitsbedingte AU und deren voraussichtliche Dauer mitteilen. Wichtig: Der Arbeitnehmer darf nicht warten, bis er eine ärztliche Diagnose erhalten hat. Er muss zunächst selbst abschätzen, wie lange er krankheitsbedingt ausfallen wird, und den Arbeitgeber (sofern nichts anderes vereinbart: seinen Vorgesetzten, nicht irgendeinen Kollegen) hiervon so früh wie möglich (also noch vor Arbeitsbeginn) informieren (sofern nichts anderes vereinbart: per Telefon, E-Mail, WhatsApp oder Telefax). Dauert die AU länger als erwartet und zunächst angezeigt, muss der Arbeitgeber unverzüglich informiert werden.


Feststellungspflicht: Dauert die AU länger als drei Kalendertage, muss der Arbeitnehmer am nächsten Arbeitstag (nach Kenntnis, dass die AU länger als drei Tage dauert) seine AU und deren voraussichtliche Dauer durch einen Arzt feststellen und sich hierüber eine ärztliche Bescheinigung ausstellen lassen. Anders als früher muss er diese Bescheinigung aber nicht mehr beim Arbeitgeber vorlegen. Seit dem 01.01.2023 gibt es für gesetzlich Versicherte nämlich die sog. elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung: Der Arzt übermittelt die relevanten Daten (insbesondere die Dauer der AU) elektronisch an die Krankenkasse des Arbeitnehmers, die Krankenkasse erstellt hierüber eine Meldung und der Arbeitgeber kann diese Meldung dann elektronisch abrufen. Die Bescheinigung, die der Arzt dem Arbeitnehmer ausstellt, dient lediglich als Nachweis dafür, dass der Arbeitnehmer seine Feststellungspflichen erfüllt hat. Dauert die AU länger als zunächst mitgeteilt und festgestellt, dann muss der Arbeitnehmer den Arbeitgeber hiervon unverzüglich unterrichten und die Dauer der weiteren AU ärztlich feststellen lassen.


Wichtig zu wissen: Der Arbeitgeber kann generell (z. B. im Arbeitsvertrag) oder im Einzelfall anordnen, dass die AU bereits früher ärztlich festgestellt werden muss. Auch kann er anordnen, wann, wie und an wen die Mitteilung der AU erfolgen soll. Hält sich der Arbeitnehmer hieran nicht, droht eine Abmahnung und im Wiederholungsfall sogar die Kündigung.


Bei einer Erkrankung im Ausland gelten besondere Mitteilungspflichten (§ 5 Abs. 2 EFZG). Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber dann die AU, deren voraussichtliche Dauer und die Adresse am Aufenthaltsort „in der schnellstmöglichen Art der Übermittlung“ mitteilen.


Rechtsfolge:


Liegen die Voraussetzungen für die EFZ vor, dann hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das für die regelmäßige Arbeitszeit (also ohne Überstunden) vereinbarte Gehalt fortzuzahlen, und zwar für die Dauer der AU, längstens aber für 6 Wochen.


Wichtig zu wissen:


  • 6 Wochen sind 42 Kalendertage. Feiertage und Sonntage zählen mit, ebenso Werktage, an denen der Arbeitnehmer nicht arbeitet. Erkrankt der Arbeitnehmer vor Dienstbeginn, beginnt der 6-Wochen-Zeitraum am selben Tag, erkrankt er während der Arbeit, dann am nächsten Tag.


  • Der 6-Wochen-Zeitraum beginnt bei jeder neuen Erkrankung aufs Neue. Bei fortgesetzten Erkrankungen hingegen endet er nach insgesamt sechs Wochen: Der Arbeitnehmer kann also für alle fortgesetzten Erkrankungen zusammen nur ein einziges Mal für bis zu 6 Wochen EFZ verlangen. Erkrankt der Arbeitnehmer mehrfach arbeitsunfähig, dann ist zu fragen, ob die neue AU auf dieselbe Krankheitsursache zurückzuführen ist (dann: fortgesetzte Erkrankung) oder auf eine ganz andere (dann: neue Erkrankung). Entscheidend ist die Krankheitsursache, nicht das Krankheitsbild. Wer sich zweimal den rechten Arm bricht, leidet rechtlich an zwei Erkrankungen, wenn er sich einmal beim Fahrradfahren verletzt und das andere Mal beim Fußball spielen. Wer hingegen immer wieder wegen Depressionen ausfällt, erleidet rechtlich gesehen keine neue Erkrankung, selbst wenn jedes Mal andere Symptome auftreten.


Wichtige praxisrelevante Ausnahmen


  • Erkrankt der Arbeitnehmer während einer bestehenden AU an einer neuen Krankheit, dann werden beide Erkrankungen gleichwohl als eine Erkrankung behandelt und der 6-Wochen-Zeitraum nicht erneut ausgelöst (sog. Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls).


Beispiel: A ist wegen Ursache 1 noch bis zum 31.01. arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der 6-Wochen-Zeitraum würde am 15.02. auslaufen. Am 31.01. wird A wegen Ursache 2 bis zum 28.02. krankgeschrieben. Hier gelten die Ursachen 1 und 2 als eine Krankheit, die Ursache 2 löst also keinen neuen 6-Wochen-Zeitraum aus. A kann vielmehr nur bis zum 15.02. EFZ verlangen. Wäre er hingegen erst nach dem am 31.01. krankgeschrieben worden, dann würde Ursache 1 als ausgeheilt gelten und Ursache 2 einen neuen 6-Wochen-Zeitraum auslösen.


Aber Achtung: Nach der Rechtsprechung des BAG wird eine Fortsetzungserkrankung zum Nachteil des Arbeitnehmers vermutet, wenn die erste AU und eine durch „Erstbescheinigung“ attestierte weitere AU unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen nur ein arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegen.


  • Auch bei fortgesetzten Erkrankungen wird ein neuer 6-Wochen-Zeitraum ausgelöst, wenn erstens zwischen dem Ende der ersten AU und dem Beginn der zweiten AU wegen derselben Erkrankung mindestens ein Zeitraum von 6 Monaten liegt (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EFZG: ) oder zweitens zwischen Beginn der ersten AU und dem Beginn der letzten AU ein Zeitraum von 12 Monaten liegt und der Arbeitnehmer während dieser 12 Monate nicht durchgehend arbeitsunfähig war (§ 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EFZG).


Prozessuales:


Zweifelt der Arbeitgeber die AU seines Arbeitnehmers an und leistet er deshalb keine EFZ, muss der Arbeitnehmer auf EFZ klagen. Hierbei trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für den Anspruch auf EFZ, insbesondere dafür, dass und in welchem Zeitraum er arbeitsunfähig erkrankt war. Den Beweis kann er durch Vorlage der Bescheinigung führen, die er vom Arzt erhalten hat, oder durch jedes andere zulässige Beweismittel, etwa indem er seinen Arzt von der Schweigepflicht entbindet und ihn als Zeugen benennt. Eine ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Bescheinigung hat einen hohen Beweiswert: Es spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Arbeitnehmer in dem bescheinigten Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt war. Diesen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, indem er Tatsachen vorträgt und nachweist, aus denen sich ernsthafte Zweifel an der bescheinigten AU ergeben, z. B.:


  • Nach Erhalt oder Ausspruch einer Kündigung meldet sich der Arbeitnehmer krank; die bescheinigte AU deckt passgenau die Dauer der Kündigungsfrist ab
  • Arbeitnehmer droht Krankschreibung an, falls er keinen Urlaub erhält
  • Wiederholte AU im zeitlichen Zusammenhang mit Urlaub, Feiertagen oder Wochenenden
  • Häufige Erstbescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten
  • Rückdatierung von AU-Bescheinigungen um mehr als zwei Tage


In diesem Fällen obliegt es wieder dem Arbeitnehmer, seine AU auf andere Weise darzulegen und nachzuweisen.


*Es sind gleichermaßen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen gemeint. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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