Krankheitsbedingte Kündigung ohne betriebliches Eingliederungsmanagement

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Immer wieder werden Arbeitsvertragsparteien vor folgenden Sachverhalt gestellt: der lange erkrankte, zwischenzeitlich durchaus (auch immer mal wieder) arbeitende Arbeitnehmer wird mit der Begründung auf die angefallenen krankheitsbedingten Fehlzeiten ohne Angebot bzw. Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gekündigt.

Das LAG Hamm (Urteil v. 19.07.2016, 7 Sa 1707/15) führt hierzu aus: „Die Beklagte war verpflichtet, ein bEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen. Nach dieser Vorschrift besteht die entsprechende Verpflichtung, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkranken. Diese Voraussetzung ist nach übereinstimmendem Vortrag beider Parteien gegeben. Dazu ist anerkannt, dass eine Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements die Beklagte nicht nur bei Erkrankungen behinderter Arbeitnehmer, sondern bei allen Arbeitnehmern trifft (grundlegend BAG, Urteil vom 24.03.2011, 2 AZR 170/10 Rdnr. 19). Ebenfalls besteht diese Verpflichtung unabhängig davon, ob bei der Beklagten ein Betriebsrat gewählt ist oder nicht (BAG, Urteil vom 20.03.2014, 2 AZR 565/12 Rdnr. 32) und ob zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden ist oder nicht. Insbesondere kann die Beklagte – wovon sie selbst ausgeht – sich nicht darauf berufen, dass es bislang nicht zum Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Betriebsrat gekommen ist. Hierfür stehen ihr sämtliche betriebsverfassungsrechtlichen Mittel, insbesondere die Anrufung der Einigungsstelle nach § 76 BetrVG zur Verfügung.“

Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Beschäftigung des Arbeitnehmers, bei der zukünftig nicht mit dem Auftreten erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten gerechnet werden kann, nicht möglich ist.

Möchte der Arbeitgeber sich darauf berufen, dass die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nutzlos gewesen wäre und die Unterlassung des betrieblichen Eingliederungsmanagements unschädlich sei, treffen ihn bestimmte Darlegungslasten. Das Bundesarbeitsgericht (vgl. Urteil vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13), normiert hier die Verpflichtung des Arbeitgebers, als primäre Darlegungslast „umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können.“

Im Ergebnis ist dem Arbeitgeber anzuraten, das betriebliche Eingliederungsmanagement durchzuführen. Dem Arbeitnehmer ist anzuraten, das Angebot auf Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements anzunehmen. Verweigert es die Durchführung, wird er sich nicht erfolgreich auf die Nichtdurchführung berufen können.

Rechtsanwalt Dr. Stephan Schmelzer

Fachanwalt Arbeitsrecht, Fachanwalt IT-Recht

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