Lohngleichheit – Juristische Grundlagen, historische Entwicklung und aktuelle Herausforderungen

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Der Grundsatz der Lohngleichheit ist in Deutschland und der Europäischen Union fest verankert. Dennoch zeigt sich in der Praxis, dass Frauen im Durchschnitt noch immer deutlich weniger verdienen als Männer – der sogenannte Gender Pay Gap. Diese Ungleichheit besteht trotz rechtlicher Normen, die geschlechtsbezogene Diskriminierung verbieten, und obwohl zentrale Gerichtsurteile die Bedeutung dieses Gleichheitsgrundsatzes seit Jahrzehnten betonen. Der folgende Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen der Lohngleichheit, die historische Entwicklung mit besonderem Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), europarechtliche Vorgaben und aktuelle nationale gesetzgeberische sowie gerichtliche Entwicklungen.


Verfassungsrechtlicher Hintergrund

Art. 3 Abs. 2 und 3 GG – Gleichberechtigung und Diskriminierungsverbot

Das deutsche Grundgesetz garantiert in Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG die Gleichberechtigung von Männern und Frauen:

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Zudem verbietet Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts. Diese Vorschriften sind nicht nur programmatische Grundsätze, sondern verpflichten den Gesetzgeber zu aktivem Handeln zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichstellung („Fördergebot“).


Historische Entwicklung in der Rechtsprechung

Revolutionäres Urteil des BAG von 1955

Ein Meilenstein für das Lohngleichheitsgebot war das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 6. April 1955 (Az. 1 AZR 169/54), das im LTO-Artikel ausführlich analysiert wird. In diesem Urteil entschied das BAG, dass Tarifvertragsparteien nicht unterschiedliche Lohnsysteme für Männer und Frauen entwickeln dürfen.

Das Gericht stellte klar:

„Die tarifvertragliche Unterscheidung der Entgeltgruppen allein aufgrund des Geschlechts widerspricht dem verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der Gleichberechtigung.“

Damit war das BAG eines der ersten Gerichte, das sich auf das noch junge Grundgesetz berief und Gleichbehandlung konkret durchsetzte. Auch wenn das Urteil nicht sofort zur Abschaffung aller diskriminierenden Praktiken führte, war es der Auftakt zu einer jahrzehntelangen Entwicklung hin zu mehr Entgeltgerechtigkeit.

„Leichtlohngruppen“ und systemische Diskriminierung

Trotz des Urteils wurden viele Tätigkeiten, in denen überwiegend Frauen beschäftigt waren, als „leichter“ eingestuft und entsprechend schlechter bezahlt. Diese sogenannten Leichtlohngruppen blieben noch bis in die 1980er Jahre verbreitet und führten zu struktureller Benachteiligung. Zwar beruhte die Eingruppierung formal auf der Art der Tätigkeit – in der Praxis spiegelte sie jedoch stereotype Vorstellungen über „typisch weibliche“ Arbeit wider.

Gesetzliche Gleichstellung im Zivilrecht

Erst 1958 fiel das sogenannte „Hausfrauenprivileg“ in § 1358 BGB, das dem Ehemann das Recht einräumte, den Arbeitsvertrag seiner Frau zu kündigen. Die 1977 in Kraft getretene Reform des Ehe- und Familienrechts brachte die Abschaffung der Hausfrauenehe. Frauen konnten nun unabhängig vom Ehemann berufstätig sein – ein grundlegender Schritt in Richtung ökonomischer Selbstbestimmung.


Europarechtliche Vorgaben zur Entgeltgleichheit

Artikel 157 AEUV

Die zentrale europarechtliche Norm ist Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Dort heißt es:

„Jeder Mitgliedstaat sorgt dafür, dass das Prinzip des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit angewendet wird.“

Die Vorschrift ist unmittelbar anwendbares EU-Primärrecht und gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Sie verpflichtet nicht nur zu legislativen Maßnahmen, sondern auch zur praktischen Durchsetzung durch Justiz und Verwaltung.

Richtlinie 75/117/EWG und ihre Weiterentwicklung

Die sog. Entgeltgleichheitsrichtlinie 75/117/EWG von 1975 konkretisierte Art. 157 AEUV und verpflichtete die Mitgliedstaaten zur Umsetzung in nationales Recht. Die Richtlinie betont, dass „gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ für Frauen und Männer zu gewährleisten ist – unabhängig von der Berufsbezeichnung.

Diese Richtlinie wurde später durch die Richtlinie 2006/54/EG ersetzt, die verschiedene Gleichstellungsrichtlinien konsolidierte und um weitere Vorschriften, insbesondere zu Sanktionen und Durchsetzung, ergänzt wurde.


Nationale Umsetzung in Deutschland

Frühe Regelungen im BGB

Die Entgeltgleichheitsrichtlinie wurde zunächst über § 612 Abs. 3 BGB umgesetzt. Diese Norm sah ausdrücklich vor, dass ein geringeres Entgelt wegen des Geschlechts unzulässig ist. Mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) im Jahr 2006 wurde diese Norm durch § 7 AGG ersetzt, der ein umfassendes Benachteiligungsverbot enthält.

Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) von 2017

Trotz rechtlicher Verbote bestand weiterhin ein erheblicher Gender Pay Gap. Um die Kluft zu verringern, trat 2017 das Gesetz zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern (EntgTranspG) in Kraft. Es umfasst u. a.:

  • Individueller Auskunftsanspruch (ab 200 Beschäftigten): Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können erfahren, wie ihre Tätigkeit im Vergleich zu anderen gleichen oder gleichwertigen Tätigkeiten vergütet wird.

  • Prüfverfahren für Arbeitgeber zur internen Analyse ihrer Entgeltstrukturen.

  • Berichtspflichten für Unternehmen ab 500 Beschäftigten.


Aktuelle Rechtsprechung: BAG stärkt Lohngleichheit

Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21) erneut betont, dass Verhandlungsgeschick allein keine sachliche Rechtfertigung für eine geschlechtsbezogene Entgeltdifferenz darstellt.

Im konkreten Fall wurde einer Arbeitnehmerin für identische Tätigkeit ein geringeres Grundgehalt gezahlt als einem männlichen Kollegen, der sein Gehalt besser ausgehandelt hatte. Das BAG stellte klar:

„Der Arbeitgeber muss darlegen und beweisen, dass sachliche Gründe – unabhängig vom Geschlecht – die Gehaltsdifferenz rechtfertigen.“

Dieses Urteil ist wegweisend: Es setzt dem häufigen Argument der „freien Marktverhandlung“ Grenzen und legt die Beweislast bei Entgeltunterschieden auf den Arbeitgeber.


Der Gender Pay Gap – Ein Blick auf die Zahlen

Unbereinigter vs. bereinigter Gender Pay Gap

Nach Angaben der EU-Kommission lag der unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland 2022 bei rund 18 %, während der EU-Durchschnitt bei etwa 13 % liegt. Der bereinigte Gap, der Unterschiede in Berufserfahrung, Teilzeitquote, Branche usw. berücksichtigt, liegt in Deutschland bei rund 6–7 %.

Die Ursachen sind vielfältig:

  • Berufliche Segregation: Frauen arbeiten häufiger in schlechter bezahlten Berufen (Pflege, Erziehung).

  • Teilzeitquoten: Frauen sind überproportional in Teilzeit beschäftigt.

  • Karrierehindernisse: Frauen durchbrechen seltener die „gläserne Decke“.


Ausblick: Europäische Richtlinie zur Entgelttransparenz

Die EU-Richtlinie (EU) 2023/970 zur Lohntransparenz wurde am 10. Mai 2023 verabschiedet. Sie verpflichtet Unternehmen zu:

  • Offenlegung von Gehaltsdaten und Gender Pay Gaps ab 100 Beschäftigten,

  • Einführung von Pay Audits bei Lücken über 5 %,

  • Klagerechten mit Beweislastumkehr zugunsten von Beschäftigten.

Diese Richtlinie muss bis 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Ihre Wirksamkeit hängt von einer konsequenten Durchsetzung durch Justiz, Aufsichtsbehörden und betriebliche Akteure ab.


Die Lohngleichheit von Männern und Frauen ist rechtlich klar normiert – in der Verfassung, im EU-Recht und in der deutschen Gesetzgebung. Doch die praktische Umsetzung ist noch lückenhaft. Die historische Entwicklung – von diskriminierenden „Leichtlohngruppen“ über wegweisende BAG-Urteile bis hin zum Entgelttransparenzgesetz – zeigt, dass rechtliche Regelungen notwendig, aber allein nicht hinreichend sind.

Aktuelle Urteile wie das des BAG 2023 und neue europäische Initiativen zur Lohntransparenz können entscheidende Impulse setzen. Es liegt nun an Gesetzgebern, Unternehmen und Gerichten, diesen Anspruch auf Entgeltgleichheit konsequent umzusetzen.

Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der kanzlei JURA.CC bearbeitet im Schwerpunkt das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt Mandanten außergerichtlich bei Aufhebungsverträgen und Abwicklungsverträgen bei der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber. Soweit erforderlich erfolgt eine gerichtliche Vertretung bei der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel für den Arbeitnehmer eine angemessene und möglichst hohe Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, ein sehr gutes Arbeitszeugnis für zukünftige Bewerbungen oder auch die Rücknahme der Kündigung und die Weiterbeschäftigung zu erzielen.

Mehr Informationen unter www.JURA.CC oder per Telefon: 0221-95814321

Foto(s): kanzlei JURA.CC

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