Mitbestimmung des Betriebsrats bei Mindestbesetzung von Pflegepersonal

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Mit einem Beschluss vom 26.07.2017 hat das Arbeitsgericht in Kiel entschieden, dass Vorgaben bezüglich eines Mindestschlüssels von Pflegekräften zu Patienten der sogenannten „erzwingbaren“ Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen, da mit dieser Maßnahme einer Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten durch Überlastung vorgebeugt werden kann.

Arbeitsgericht Kiel, Beschluss v. 26.07.2017, gerichtliches Aktenzeichen: 7 BV 67 c/16

Was war passiert?

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 des Betriebsverfassungsgesetzes unterliegen der Mitbestimmung durch den Betriebsrat „Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften“.

Der Arbeitgeber ist eine orthopädische Spezialklinik, in der ungefähr 300 Arbeitnehmer beschäftigt sind.

Mit dem Betriebsrat bestanden über geraume Zeit Meinungsverschiedenheiten darüber, wie viel Personal mindestens auf Stationen zur Gewährleistung von Sicherheits- und Gesundheitsschutzvorschriften einzusetzen sind. Da die Gespräche hierzu keine Einigung brachten, wurde eine Einigungsstelle eingesetzt. Diese beauftragte einen Arbeitsmediziner mit einem Sachverständigengutachten über die Situation von Pflegebeschäftigten auf den in Rede stehenden Stationen. Auch nachdem gutachterlich festgestellt wurde, dass die gegenwärtige Personalsituation zu einer Gefährdung der Gesundheit der Beschäftigten führen könnte, einigten sich die Betriebspartner, Betriebsrat und Arbeitgeber nicht auf irgendwelche zu ergreifenden Maßnahmen. Die Einigungsstelle setzte deshalb durch Einigungsstellenspruch bestimmte Mindestbesetzungszahlen für Pflegepersonal fest.

Der Arbeitgeber war hiermit nicht einverstanden. Er stellte den Antrag beim Arbeitsgericht, festzustellen, dass der Einigungsstellenbeschluss unwirksam ist.

Der Klinikbetreiber, also der Arbeitgeber, wendet ein, es gebe in dieser Frage gar kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Durch den Einigungsstellenspruch sei unzulässig in seine unternehmerische Freiheit eingegriffen worden.

Wie entschied das Arbeitsgericht Kiel diesen Fall?

Das Arbeitsgericht hält den Einigungsstellenspruch für wirksam. Der Arbeitgeber unterlag daher mit seinem Antrag.

Das Arbeitsgericht begründet dies damit, dass die Einigungsstelle über die Kompetenz zu einer verbindlichen Regelung verfügt habe. Es handle sich um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz). Die Maßnahme betreffe den Gesundheitsschutz. Das Mitbestimmungsrecht erfasse alle Regelungen des Arbeitgebers, mit denen Gesundheitsschäden verhindert werden sollten, soweit diese Rahmenvorschriften konkretisieren. Dazu sei erforderlich, dass eine „gesetzliche Handlungspflicht objektiv bestehe“ und „mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlange“, um das Ziel Arbeits- und Gesundheitsschutz erreichen zu können. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz) bestehe eine solche Rahmenvorschrift für den Arbeitgeber in Gestalt einer „Generalklausel“. Damit werde eine Handlungspflicht für den Arbeitgeber festgelegt, nach der der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zum Arbeitsschutz treffen muss. Aus dem Sachverständigengutachten habe sich ergeben, dass die Arbeitsbelastung auf den Stationen zu hoch sei, sodass eine Gefährdung für die Mitarbeiter bestehe.

Ein unzulässiger Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers sei nicht gegeben. Den mit den Mindestbesetzungszahlen verbundenen Eingriff in die unternehmerische Betätigungsfreiheit müsse der Arbeitgeber hinnehmen, weil das Grundrecht des Unternehmers mit den Grundrechten der Arbeitnehmer abgewogen werden müsse. Diese hätten ein Recht darauf, dass sie gesunde Arbeitsbedingungen vorfänden.

Was bedeutet das Urteil in der Praxis?

Aus Sicht von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald von der Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel in Stuttgart könnte die Entscheidung eine wichtige Bedeutung für die Mitbestimmung in Pflegebetrieben erlangen. Der Beschluss ist nach den hier vorliegenden Informationen nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob die Meinung des Arbeitsgerichts Kiel sich durchsetzen wird. Für Betriebsräte sollte dies jedoch ein Anlass sein, zu überprüfen, ob auf die oft als bedrückend empfundene, niedrige Personaldecke in Pflege- und Krankenhauseinrichtungen nicht auf diese Weise Einfluss genommen werden kann. Arbeitgeber sollten aus Haftungsgründen prüfen, ob sie die Stationen mit ausreichend Personal bestückt haben. Nicht jede als zu gering empfundene Personalausstattung ist jedoch mit einer Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten gleichzusetzen. Dazu sind die Praxisbereiche und Stationsstrukturen viel zu unterschiedlich. Wenn dies aber von Gutachtern beispielsweise bestätigt werden könnte, dann wäre der Arbeitgeber möglicherweise in Zugzwang, weil dann eine Schutzpflicht über das Arbeitsschutzrecht ausgelöst würde. Diese Konstellation hat hier zu einem Einigungsstellenspruch geführt.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart


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