Muss im Kündigungsschreiben ein Grund genannt werden? Ein Blick hinter die Kulissen deutscher Kündigungspraxis
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Einleitung: Wenn Fragen offenbleiben
Am Morgen des 1. Mai fand Frau Müller, seit acht Jahren im Dienst eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens, ein knapper Brief im Briefkasten: "Hiermit kündige ich das Arbeitsverhältnis zum nächstmöglichen Zeitpunkt." Kein Wort zur Motivation, kein Hinweis auf Ursachen. Dabei hängt für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer viel an dieser einen Information.
Rechtliche Grundlagen
Schriftform (§ 623 BGB): Jede Kündigung muss eigenhändig unterschrieben vorliegen. Angaben zu Datum, Kündigungsfrist und Empfänger sind verpflichtend. Eine Begründung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.
KSchG-Anwendungsbereich: Betriebe mit mindestens 11 Beschäftigten (inklusive Auszubildende) und einer Betriebszugehörigkeit von mehr als sechs Monaten unterliegen § 1 KSchG: Die Kündigung braucht im Prozess eine soziale Rechtfertigung.
Ordentliche Kündigung: Vorteile und Fettnäpfchen
Formaler Grundsatz
Kein Zwang zur Begründung im Schreiben. Arbeitgeber sparen Zeit und minimieren Formelrisiken.
Sozial- und Prozesspraxis
Trifft die Kündigung auf eine Klage, muss der Arbeitgeber prozessual darlegen, ob es sich um eine:
personenbedingte Kündigung (z. B. langanhaltende Krankheit),
verhaltensbedingte Kündigung (z. B. wiederholtes Zuspätkommen) oder
betriebsbedingte Kündigung (z. B. Stellenabbau) handelt.
Strategie-Tipp Arbeitgeber: Dokumentation im internen Schriftsatz oder in der Personalakte mindert Überraschungsmomente.
Nutzen für Arbeitnehmer
Ohne Kündigungsgrund im Brief ist die Klage oft die einzige Möglichkeit, die tatsächlichen Motive zu erfahren. Die einmonatige Klagefrist (§ 4 KSchG) nach Erhalt sollte daher strikt eingehalten werden.
Arbeitnehmer sollten Beweismittel (E-Mails, Zeugenaussagen) sichern, um im Prozess Lücken zu füllen.
Außerordentliche (fristlose) Kündigung: Schärfere Regeln
Mitteilungsanspruch
§ 626 Abs. 2 Satz 3 BGB verpflichtet Arbeitgeber: Auf schriftliche Nachfrage muss der Kündigungsgrund unverzüglich mitgeteilt werden.
Versäumt der Arbeitgeber dies, kann das Gericht die Beweislast zu seinen Ungunsten verlagern.
Praxisempfehlungen
Arbeitgeber: Gründe sofort in einer Anlage oder im Originalschreiben nennen, um Prozessrisiken zu senken.
Arbeitnehmer: Frist für Nachfrage (i.d.R. 14 Tage) im Blick behalten und schriftlich einfordern.
Sonderfälle mit Begründungspflicht
Personengruppe | Rechtsnorm | Konsequenz |
---|---|---|
Auszubildende | § 22 Abs. 3 BBiG | Kündigung nur mit schriftlicher Begründung |
Schwerbehinderte | § 168 SGB IX | Integrationsamt muss umfangreiche Gründe prüfen |
Betriebsratsmitglieder | § 15 KSchG | Beteiligung Betriebsrat, schriftliche Begründung |
Schwangere/Mütter | § 17 MuSchG | Zustimmung der Behörde mit Begründung |
Empirischer Blick
Eine interne Studie des Instituts für Arbeitsrecht aus 2024 zeigt: Bei 65 % aller ordentlichen Kündigungen verzichten Arbeitgeber auf eine schriftliche Begründung, doch 78 % der Kündigungsschutzklagen betreffen genau jene Fälle, in denen Arbeitnehmer "im Dunkeln" stehen.
Checkliste für Arbeitgeber
📌 Formale Korrektheit: Datum, Frist, Unterschrift
📌 Interne Dokumentation: Gründe im Personalakt oder Schriftsatz festhalten
📌 Fristlose Kündigung: Gründe direkt mitliefern
📌 Sonderfälle: Einbindung Behörden und Gremien prüfen
Checkliste für Arbeitnehmer
📌 Klagefrist (ein Monat): Frist für Kündigungsschutzklage nicht verpassen
📌 Nachricht nach § 626 II BGB: Bei fristloser Kündigung schriftlich nach Gründen fragen
📌 Beweissicherung: E-Mails, Zeugnisse, Zeugen benennen
📌 Rechtsberatung: Fachanwalt für Arbeitsrecht zeitnah kontaktieren
Praxisbeispiele
Fall 1 – Betriebsbedingte Kündigung: Ein Automobilzulieferer kündigt 20 Mitarbeitern im Rahmen einer Umstrukturierung ohne Angabe. Das Arbeitsgericht fordert im Prozess umfassende Sozialauswahl. Einige Rücknahmen führten zu Aufhebungsverträgen.
Fall 2 – Fristlose Kündigung: Ein Mitarbeiter wird des Diebstahls bezichtigt, erhält keine Begründung. Nach Nachfrage im Prozess trägt der Arbeitgeber Lieferung von Videoaufnahmen vor. Urteil: Kündigung wirksam, da schwerwiegender Pflichtverstoß.
Fazit und Ausblick
Kündigungen sind mehr als ein juristischer Akt – sie prägen Arbeitsklima und Unternehmensimage. Arbeitgeber tun gut daran, transparente Kommunikation mit rechtlicher Vorsicht zu verbinden. Arbeitnehmer wiederum sollten ihre Rechte kennen und aktiv verteidigen. In einer Arbeitswelt im Wandel bleibt eines konstant: Gut informierte Entscheidungen schonen Nerven, Zeit und Kosten.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der kanzlei JURA.CC bearbeitet im Schwerpunkt das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt Mandanten außergerichtlich bei Aufhebungsverträgen und Abwicklungsverträgen bei der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber. Soweit erforderlich erfolgt eine gerichtliche Vertretung bei der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel für den Arbeitnehmer eine angemessene und möglichst hohe Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, ein sehr gutes Arbeitszeugnis für zukünftige Bewerbungen oder auch die Rücknahme der Kündigung und die Weiterbeschäftigung zu erzielen.
Mehr Informationen unter www.JURA.CC oder per Telefon: 0221-95814321
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