Noch einmal: Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers bei nicht genommenem Urlaub

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In meinem Rechtstipp vom 11.02.2016 wurde das Urteil des Ladesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 12.06.2014 diskutiert. Danach soll der Arbeitgeber auch ohne vorherigen Urlaubsantrag seines Arbeitnehmers verpflichtet sein, von sich aus rechtzeitig den Urlaub zu gewähren. Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht nach, so soll er schadensersatzpflichtig sein. Dies ergibt sich daraus, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten dient und arbeitsschutzrechtlichen Charakter hat, so das LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.06.2014 (Az.: 21 SA 221/14; ebenso LAG München, Urteil vom 06.05.2015, Az.: 8 Sa 982/14).

Der originäre Urlaubsanspruch wandelt sich also um in einen Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers. Die abweichenden Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg und des LAG München sind vor dem Hintergrund der „Bollacke“-Entscheidung des EuGH vom 12.06.2014 (Aktenzeichen C 118/13) zu sehen, in der der EuGH die Vererblichkeit von Urlaubsabgeltungsansprüchen festgestellt hat. In dieser Entscheidung hat der EuGH klargestellt, dass ein Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Urlaub nach Artikel 7 der Arbeitszeitrichtlinie „nicht davon abhängig gemacht werden [kann], dass im Vorfeld ein entsprechender Antrag gestellt wurde. Auch wenn sich der EuGH in dieser Entscheidung nicht ausdrücklich dazu geäußert hat, ob der Arbeitgeber von sich aus verpflichtet ist, Urlaub zu gewähren, stellen die Entscheidungen des LAG München und des LAG Berlin-Brandenburg eine konsequente Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung dar. 

Wie schon ausgeführt steht das Urteil im Gegensatz zu der mehr als 30jährigen und ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Das BAG hat für die Entstehung des Schadensersatzanspruches das Vorliegen von Schuldnerverzug des Arbeitgebers zum Zeitpunkt des Verfalls des Urlaubsanspruches verlangt. Nach dieser Rechtsprechung schuldet der Arbeitgeber Ersatz für den verfallenden Urlaubsanspruch nur dann, wenn er mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug geraten ist und aus diesem Grund die durch den Zeitablauf eingetretene Unmöglichkeit des Urlaubsanspruchs nach §§ 280 Abs. 1, 287 Satz 2 BGB zu verantworten hat (vgl. z. B. BAG-Urteil vom 18.03.1997, Az.: 9 AZR 994/95).

Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer einen Urlaubsantrag gestellt haben muss und dass der Arbeitgeber mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug ist. Während das BAG früher noch vertreten hat, dass der Arbeitnehmer mit seinem Urlaubsantrag auch einen genauen Zeitraum angeben muss, in dem er den Urlaub nehmen will, ist seit dem Urteil des BAG vom 17.05.2001 (Az.: 9 AZR 197/10) ausreichend, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaubsantrag stellt und es dem Arbeitgeber überlässt, den Urlaubszeitraum festzulegen. In jedem Fall ist aber ein Antrag des Arbeitnehmers erforderlich.

Das Landesarbeitsgericht Köln ist nun mit seiner Entscheidung vom 22.04.2016 (Az.: 4 Sa 1095/15) der ständigen Rechtsprechung des BAG gefolgt, weil „der Arbeitgeber nicht von sich aus ohne ein entsprechendes Verlangen des Arbeitnehmers den Urlaub erteilen muss“. Da der Arbeitnehmer zudem nicht beweisen konnte, dass er einen Urlaubsantrag gestellt hat, hat das LAG Köln den Urlaubsabgeltungsanspruch verneint.

Die Revision gegen das Urteil des LAG Köln wurde zugelassen; die Revision gegen das Urteil des LAG München ist beim BAG unter dem Az.: 9 AZR 541/15 anhängig.

Ob sich durch die Entscheidungen LAG Berlin-Brandenburg und des LAG München bereits eine Rechtsprechungsänderung des BAG andeutet oder dieses in zukünftigen Fällen an seiner bisherigen Auffassung festhalten wird, bleibt abzuwarten.

Bis zu einer klärenden Entscheidung des BAG bedeuten die Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg und des LAG München für Arbeitgeber eine Rechtsunsicherheit. Wollen sich Arbeitgeber nicht dem Risiko entsprechender Schadensersatzforderungen aussetzen, sollten sie bei einem möglichen anstehenden Urlaubsverfall die betreffenden Arbeitnehmer rechtzeitig auffordern, von sich aus Urlaub zu nehmen und, falls diese der Aufforderung nicht nachkommen, diesen notfalls einseitig Urlaub zuweisen. Für den Zuständigkeitsbereich des LAG Köln jedoch kann dem Urteil entnommen werden, dass sich der Arbeitgeber auf die ständige Rechtsprechung des BAG berufen und somit „entschuldigen“ kann (LAG Köln, Urteil vom 22.04.2016, Az.: 4 Sa 1095/15, RN 41), wonach ein Antrag auf Urlaubsgewährung des Arbeitnehmers erforderlich ist.

Philip Keller

Rechtsanwalt, Köln


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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