OLG Köln: IDO e.V. handelte rechtsmissbräuchlich

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OLG Köln entscheidet: der IDO e.V. handelte rechtsmissbräuchlich

Der IDO - Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen e.V. (IDO) hatte in der Vergangenheit massenhaft abgemahnt und vielfach auch Vertragsstrafen geltend gemacht. Allerdings ist seit geraumer Zeit umstritten, ob der Verein hierbei rechtsmissbräuchlich handelte. Das OLG Köln hat nunmehr in einem von mir geführten Verfahren eine Klage des IDO auf Zahlung von Vertragsstrafe abgewiesen und seine Entscheidung damit begründet, dass der IDO rechtsmissbräuchlich handelt. Das Urteil ist bemerkenswert, weil das OLG Köln seine Entscheidung auf mehrere Indizien für Rechtsmissbrauch stützt (OLG Köln, Urteil vom 21.06.2023, Az. 6 U 147/22). Im nachfolgenden Beitrag erläutere ich die Entscheidung und die Auswirkungen auf andere laufende Vertragsstrafenverfahren.


Rückblick


Das Problem der Rechtsverteidigung mit dem Argument des Rechtsmissbrauchs ist, dass der Abgemahnte so umfangreich oder konkret zu Indizien für ein rechtsmissbräuchliches Handeln vortragen muss, dass aus diesem Vortrag auf einen Rechtsmissbrauch geschlossen werden kann. Die Hürde für eine erfolgreiche Rechtsverteidigung liegt also recht hoch. Das zeigen auch verschiedene gerichtliche Entscheidungen, die zugunsten des IDO ergangen sind. Zuletzt hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in dem Verfahren zum Aktenzeichen I ZR 111/22 ein Urteil des OLG Düsseldorf aufgehoben, welches wegen der Mitgliederstruktur des IDO von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen des Vereins ausgegangen war. Warum die Frage des Rechtsmissbrauchs beim IDO trotz der Entscheidung des BGH noch nicht abschließend geklärt ist, hatte ich in zwei Beiträgen kürzlich bereits erläutert:


Trotz BGH-Urteil: Rechtsmissbrauch beim IDO e.V. nicht abschließend geklärt


Zu der aktuellen Entscheidung des OLG Köln:


Das OLG Köln hatte bereits in einem früheren von mir betreuten Verfahren die Rechtsauffassung vertreten, dass Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des IDO bestehen. Diese Rechtsauffassung hat das OLG Köln mit seiner aktuellen Entscheidung nunmehr nochmals bekräftigt und die Klage auf Zahlung von Vertragsstrafe abgewiesen. Bemerkenswert ist an der Entscheidung die Tatsache, dass das Gericht wegen verschiedener Anhaltspunkte von einem Rechtsmissbrauch ausgegangen ist:


1. Mitgliederstruktur des IDO:


Mit der Mitgliederstruktur des IDO hatte sich der BGH zuletzt bereits sehr intensiv beschäftigt. Der BGH war insoweit mit seiner Entscheidung zum Az. I ZR 111/22 davon ausgegangen, dass es für die Klagebefugnis eines Verbands grundsätzlich nicht darauf ankomme, über welche mitgliedschaftlichen Rechte dessen - mittelbare oder unmittelbare - Mitglieder verfügen. Vor diesem Hintergrund sah der BGH die Mitgliederstruktur des IDO, die eine deutlich überwiegende Anzahl von passiven Mitgliedern aufweist, als unproblematisch an. Das Argument meiner Rechtsverteidigung zielte allerdings in eine etwas andere Richtung. Dementsprechend führte des OLG Köln in seiner Entscheidung aus:


„Der Umstand, dass der Kläger eine Vielzahl passiver und nur wenige aktive Mitglieder hat, spricht zwar für sich genommen noch nicht dafür, dass bereits die Mitgliederstruktur lndiz für missbräuchliches Vorgehen darstellt (BGH GRUR 2023, 585 Tz.. 32-34). Das ändert sich aber, wenn bereits bei der Mitgliederakquise ein Verfahren praktiziert wird, dass dafür sorgt, dass die aktive Mitgliedschaft gar nicht erst angeboten, über ihre Voraussetzungen nicht informiert, sondern allein eine passive Mitgliedschaft angeboten wird. (…) Die Steuerung der Mitgliedschaft ist vielmehr strukturell auf eine Mitwirkung verengt, die im Ausgangspunkt auf die Zahlung von Beiträgen reduziert ist. Damit werden Strukturen geschaffen, die darauf ausgerichtet sind, aktive Mitgliedschaften zu begrenzen oder gar zu verhindern, gleichzeitig durch eine breite passive Mitgliederschaft eine weite Klagebefugnis zu schaffen, die den Verband dadurch erst in die Lage versetzt, in einem sehr weiten Umfang Abmahntätigkeiten zu ermöglichen, die ihrerseits die Voraussetzung für das Abschließen von

Vertragsstrafevereinbarungen darstellt (…). 


2. Tätigkeit zur Gebührenerzielung


Zu den Indizien für eine vorwiegend der Gebührenerzielung dienende Tätigkeit führte das OLG Köln aus:


„Als lndiz für eine vorwiegend der Gebührenerzielung dienende Tätigkeit hat der Beklagte Tatsachenvortrag aus dem unter dem Aktenzeichen 81 O 102120 geführten Verfahren vor dem LG Köln eingebracht und sich zu eigen gemacht, wonach seinen Vorstandsmitgliedern, einem Teil seiner Mitarbeiter und auch der im Mehrheitsbesitz des Klägers stehenden IDO Management GmbH sowie deren Geschäftsführern und Mitarbeitern, hohe Vergütungen und andere Zuwendungen insbesondere aus den Einnahmen aus Abmahnkosten und Vertragsstrafen zufließen. lm Jahr 2020 seien 44% der Einnahmen von mehr als 3,2 Mio. Euro an nur sechs Personen ausgeschüttet worden, die überdies zueinander in einer engen persönlichen Verbindung stehen. Der Beklagte hat hierzu zwar ausgeführt, dass die Höhe der Zahlungen durch entsprechende Leistungen gerechtfertigt sei, die Zahlungen an die

Dienstleistungstochter spiegelten Beratungs- und Serviceleistungen gegenüber den Mitgliedern. Allerdings ist die Ausschüttungspolitik gerade dann bedenklich, wenn die Entscheidung hierüber durch die Mitgliederstruktur gefördert wird. Daraus resultiert die besondere Gefahr, dass die Einnahmen durch hohe Ausschüttungen letztlich überwiegend dem lnteresse weniger Beteiligter und gerade nicht der Finanzierung der im öffenlichen lnteresse gewährten Möglichkeit zur Abmahn- und Klagetätigkeit

zufließen. Gerade dadurch entfernt sich der Verband von seiner selbst auferlegten Zielsetzung.“


3. gezieltes Verschonen der eigenen Mitglieder


Zu den Indizien für das gezielte Verschonen der eigenen Mitglieder führte des OLG Köln aus:


„Als ein drittes lndiz führt der Beklagte an, dass der Kläger gezielt eigene Mitglieder bei seinem auf die Durchsetzung lauterer Wettbewerbsgrundsätze bezogenen Vorgehen verschont. Das gezielte Verschonen eigener Mitglieder ist geeignet, einen Missbrauch zu begründen, wenn Anhaltspunkte für ein planmäßiges Verhalten vorliegen und damit der Verein unzulässigerweise nur im Mitglieder-, nicht aber auch im öffentlichen lnteresse tätig wird (BGH GRUR 2023, 585 Tz. 50). lm hiesigen Verfahren führt der Beklagte Einlassungen ein durch die Verfahren LG Stuttgart 37 O 41/20 KfH, Anl. B41 (Abmahnungen von Grundpreisverstößen, die auch von Mitgliedsunternehmen des Klägers nachgewiesen wurden), LG Darmstadt 15 O 14/20 (Wettbewerbsverstoß bei Mitgliedern der Kosmetikbranche), die auch im Berufungsverfahren vor dem OLG Frankfurt noch vorgetragen wurden (Anl. B42) und LG Köln 81 O 102/20 (Grundpreisverstöße von Baustoffhändlern, Anl. B33; Senat 6 U 67/21, Anl. B 43). Der Kläger hat demgegenüber nicht konkret dargelegt, warum diese Verhaltensweisen geduldet und nicht weiterverfolgt wurden. Zwar ist ein selektives Vorgehen nicht für sich genommen missbräuchlich, weil das Verschonen eigener Mitglieder kompensiert werden kann durch Informationen und weichere Formen der Disziplinierung. lm Zusammenhang mit Maßnahmen der Mitgliedersteuerung und einer Mittelverwendung, die stärker auf Ausschüttung als Mitteleinsatz zur effektiven Bekämpfung von Missbräuchen auch in den eigenen Reihen gerichtet ist, ergibt sich daraus allerdings der Eindruck einer Strategie, die darauf gerichtet ist, Mitgliederinteressen vor Kollektivinteressen zu stellen, obgleich letztere durchzusetzen das Satzungsziel sein soll.“


4. zu weit gefasste Unterlassungserklärungen


Zu den zu weit gefassten Unterlassungserklärungen des IDO führte das OLG Köln aus:


„Als viertes lndiz nennt der Beklagte zu weit gefasste Unterlassungserklärungen. Grundsätzlich sind zu weit formulierte Erklärung ein lndiz dafür, dass nicht nur konkrete Verstöße angegriffen, sondern eine weitergehende Vertragshaftung angestrebt wird. Das begründet ein lndiz für einen Missbrauch. Hierzu wurden Einlassungen vorgelegt und einbezogen, die zu weit gefasste Unterlassungserklärungen in anderen Verfahren betrafen, namentlich OLG Frankfurt, 15 U 166/18 (Anl. B22) und LG Essen, 45 O 23/21 (Anl. B 44). lm vorliegenden Fall hat die Abmahnung Verstöße im Fernabsatz gerügt und in die Unterwerfungserklärung aufgenommen (Bl. 252), obgleich es nur um einen nachgewiesenen Verstoß beim lnternethandel ging, der lediglich einen Ausschnitt des Fernabsatzes (neben Post und Telekommunikation) darstellt. Anders als der Kläger in der mündlichen Verhandlung gemeint hat, lassen sich Formen des Distanzhandels sehr wohl vom lnternethandel abgrenzen, so dass für die weitere Fassung des Unterlassungsanspruchs auch zur Erfassung kerngleicher Verstöße kein

Anlass bestand.“


5. Anzahl von Abmahnungen, die nicht weiterverfolgt worden sind, obwohl keine Unterlassungserklärungen abgegeben worden waren


„Als fünftes Indiz hat der Beklagte die Nichtverfolgung von abgemahnten Verstößen genannt und unwidersprochen vorgetragen, der Kläger habe in zahlreichen Fällen Abmahnungen ausgesprochen und diese nicht weiterverfolgt, wenn die dortigen Schuldner sich nicht unterworfen haben. Hierbei handelt es sich um die im Folgenden dargestellte Anzahl an Fällen:


(es folgten Angaben für die Jahre 2017 bis 2020, aus denen sich ergibt, dass der IDO in dem genannten Zeitraum mehr als 5.000 der eingeleiteten Abmahnverfahren nicht weiterverfolgt hatte, obwohl keine Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen abgegeben worden waren.)


Insgesamt hat der Kläger danach weitaus mehr Verfahren nicht verfolgt als gerichtlich geltend gemacht, obwohl keine anderweitige Erledigung etwa durch Abgabe einer Unterlassungserklärung erfolgt ist. Dies spricht dafür, dass der Kläger es anstrebt, zeitnah möglichst viele Unterlassungsverpflichtungserklärungen zu erhalten. lm Jahr 2020 wurden nur ¼ der abgemahnten und nicht unstreitig erledigten Verstöße gerichlich verfolgt. Der Kläger verweist darauf, dass die Nichtverfolgung prozesstaktische Gründe gehabt hätte, zum Teil hätten sich Sachverhalte erledigt, zum Teil seien höchstrichterliche Entscheidungen abgewartet worden. Doch bleibt auch bei diesen Umständen eine außergewöhnlich hohe Quote nicht gerichtlich verfolgter Verstöße, die den Eindruck erhärten, dass der Kläger über Abmahnungen versucht, Vertragsbindungen einzugehen, die dann im Falle nochmaliger Verstöße verlässliche Einkünfte generieren. Auch vorliegend hat der Kläger allein die Vertragsstrafe geltend gemacht, ohne eine Unterlassung zu fordern (Anl. K4, Bl.24).“


Für das OLG Köln entscheidend: Das Gesamtbild


Das OLG Köln stellte sodann auf eine Gesamtbetrachtung der einzelnen Indizien für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des IDO ab:


„Die vorgetragenen lndizien mögen jedes für sich genommen noch nicht geeignet sein, missbräuchliches Verhalten zu demonstrieren, in der Gesamtabwägung führten sie jedoch dazu, dass ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen vorliegt, so dass die Geltendmachung der Vertragsstrafe im vorliegenden Fall durch § 242 BGB gehindert ist. Für die Beurteilung eines Missbrauchs kommt es nämlich auf die Berücksichtigung der gesamten Umstände an. Die vom Beklagten vorgetragenen Indizien fügen sich zu einer Gesamteinschätzung, die ein missbräuchliches Vorgehen erkennbar machen. Sie demonstrieren eine strategische Ausrichtung des klägerischen Vereins dahingehend, Entscheidungsstrukturen durch gezielte Akquise neuer Mitglieder auf wenige Personen zu konzentrieren, um dadurch eine breite Abmahnbefugnis zu erwerben, die ihrerseits Basis für weite Unterlassungserklärungen erzeugt, auf deren Basis Verstöße Dritter einfach bepreist und zur Einnahmenerzielung funktionalisiert werden können. Die dabei akquirierten Einnahmen werden zu hohen Anteilen an wenige Personen ausgeschüttet, kommen also weniger der Durchsetzung kollektiver Interessen als der Deckung privatem Nutzens zugute. Durch eine gezielte quantitativ beträchtliche Nichtverfolgungstaktik gegenüber eigenen Mitglieder werden Anreize geschaffen, der Organisation beizutreten und dadurch auch der effektiven Bekämpfung von Wettbewerbsverstößen, welche der Verband in seiner Satzung verspricht, zu entgehen.“


Keine Revision möglich


Das OLG Köln hat die Revision nicht zugelassen und dies damit begründet, dass in dem Verfahren eine tatsachenbezogene Abwägung im Einzelfall vorzunehmen war. Insoweit ist das Gericht davon ausgegangen, dass sich die vorgenommene Gesamtabwägung nicht in einen Widerspruch zu der jüngsten Entscheidung des BGH ergibt.


Was das Urteil des OLG Köln für laufende Parallelverfahren bedeutet:


Das Urteil des OLG Köln macht Hoffnung für die noch laufenden Parallelverfahren. Es zeigt aber gleichzeitig, wie wichtig umfangreicher und detaillierter Vortrag zum Rechtsmissbrauch für eine Rechtsverteidigung ist.


Sie sollen auch eine Vertragsstrafe an den IDO zahlen oder haben bereits eine Klage des IDO erhalten? 


  1. Die wichtigste Entscheidung: Lassen Sie sich fachkundig anwaltlich beraten!
  2. Leisten Sie ohne vorherige Beratung keine Zahlung!


Ich vertrete bereits seit geraumer Zeit Betroffene zu Vertragsstrafenforderungen des IDO und verfüge daher über Erfahrung aus einer Vielzahl von Vertragsstrafenverfahren.


Ich berate Sie bundesweit auch kurzfristig telefonisch.


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  • Schicken Sie mir eine E-Mail an: rostock@internetrecht-rostock.de
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Andreas Kempcke

Rechtsanwalt 

Fachanwalt für IT-Recht

Internetrecht-Rostock.de


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Foto(s): Andreas Kempcke

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