Online-Glücksspiel – BGH I ZR 88/23 mit Hinweisbeschluss zum Thema Rückforderung von Verlusten bei online-Sportwetten

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Im Verfahren des BGH I ZR 88/23 zur Rückforderung von Verlusten bei online Sportwetten war zum 02.05.2024 der Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt. Um hier in Vorbereitung der Verhandlung schon einmal seine Sicht der Dinge den Parteien darzulegen, hat der BGH am 22.03.2024 einen Hinweisbeschluss erlassen. In diesem Beschluss setzt der BGH sich über 25 Seiten hinweg recht umfangreich mit der relevanten Problematik auseinander. Das Ergebnis seiner Analyse ist, dass er die Revision des Sportwettenanbieter mit hoher Wahrscheinlichkeit für nicht erfolgreich hält.

Der Beschluss ist noch nicht veröffentlicht, schlägt aber dennoch bereits jetzt recht hohe Wellen, nicht nur unter Spielern und Anwälten, auch die Presse widmet sich bereits verstärkt der Thematik. Doch was steht denn nun tatsächlich in den 25 Seiten des BGH? Kam es dort am Ende wirklich nur auf ein vermeintlich nicht eingehaltenes Einzahlungslimit von 1.000,00 € an, wie an vielen Stellen zu lesen? Nein, das sicherlich nicht ausschließlich. Daher hier einmal ein etwas erweiterter Blick auf den Beschluss selbst und die Punkte, welche der BGH in diesem anspricht.


Welche Punkte spricht der BGH an?

Grundthema, welches der BGH diskutiert, ist ein Anspruch aus § 812 BGB. Voraussetzung dafür wäre, dass die Einzahlungen des Spielers erfolgten, obwohl der Spielvertrag nichtig nach § 134 BGB war. Und da sind wir schon bei einem der wesentlichen Diskussionspunkte: die Nichtigkeit der Spielverträge nach § 134 BGB.

Der BGH stellt klar, dass ein Glücksspielangebot nach dem GlüStV 2012 einer Erlaubnis bedarf, also einer gültigen Lizenz. Liegt diese nicht vor, dann besteht ein Verstoß gegen die entsprechenden Verbotsnormen des GlüStV, sprich, es liegt unmissverständlich ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz vor.

Die große Frage war nun, wie wirkt sich ein solcher Verstoß gegen ein Verbotsgesetz aus? Die Nichtigkeit eines Vertrags nach § 134 BGB ergibt sich nicht per se aus dem Verstoß. Hierzu gab es in den letzten Wochen und Monaten nicht wenige Amts- und Landgerichte, die genau diesen Punkt – egal ob für Sportwetten oder Casino-Angebote – ausdrücklich zurückgewiesen haben mit der Folge, dass die Klagen verloren gegangen sind.


Dem stellt sich nun der BGH im Grundsatz entgegen. Anders als einige ablehnende Gerichte zuvor stellt der BGH klar, dass der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz jedenfalls dann zur Nichtigkeit führt, wenn alles andere dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes widersprechen würde. Ob also dem alten GlüStV 2012 ein Schutz des einzelnen Spielers zu entnehmen ist und gerade deshalb die Nichtigkeit anzunehmen sei, war einer der umstrittensten Punkte aller Klageverfahren und den Ausführungen in der juristischen Literatur. Dabei stellt sich der BGH ausdrücklich auch gegen die Wertungen der Literatur (allen voran Prof. Dr. Köhlers in der NJW 34/2023) und positioniert sich für den individuellen Schutzcharakter des GlüStV. Hier legt der BGH zunächst den Sinn und Zweck des GlüStV dar und teilt dann unmissverständlich mit:

„Die effektive Durchsetzung der genannten legitimen Ziele erfordert grundsätzlich die Nichtigkeit der unter Verstoß gegen die Erlaubnispflicht auf Grundlage eines Internetverbots geschlossenen Glücksspielverträge.“


Dabei geht der BGH noch weiter und teilt ebenso der Auffassung der Anbieter eine Absage, dass es ja darauf ankomme, dass jeder Spieler das Verlustrisiko letztlich kennen müsse. Schließlich verliere ein Spieler mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch bei legalen Glücksspielangeboten. Diese Auffassung wird regelmäßig von den Glücksspielanbieter mit Verweis auf den BGH selbst gezogen, welcher im Beschluss BGH XI ZR 515/21 im Rahmen der Rückforderung gegenüber Zahlungsdienstleistern genau diesen Punkt den Spielern entgegenhält. Dazu teilt der BGH mit:

„Gegen die Schutzbedürftigkeit der Spieler spricht dabei nicht, dass das Verlustrisiko bei erlaubten Spielen ebenfalls besteht und bekannt sein muss. Das gesetzliche Verbot dient auch dem Schutz des Spielers vor sich selbst.“

Er betont in diesem Zusammenhang ebenso ausdrücklich, dass bei einer angenommenen Wirksamkeit der Verträge und der denkbaren Option der Spieler, wenigstens sonstige Schadensersatzansprüche gegen die Anbieter zu haben, „der mit dem GlüStV 2012 angestrebte Schutz der Bevölkerung unzureichend“ wäre. In diesem Zusammenhang geht der BGH davon aus, dass es auch keine Alternative zur Nichtigkeit gibt. Insbesondere das immer wieder gebrachte Argument, allein staatliche Maßnahmen gegen illegales Glücksspiel seien vollkommen ausreichend, weist der BGH zurück und teilt mit:

„Durch verwaltungs- und strafrechtliche Maßnahmen kann dem gesetzlichen Verbot kein hinreichender Nachdruck verliehen werden. Unerlaubte Glücksspiele im Internet werden überwiegend aus dem Ausland angeboten. Diese Anbieter können sich auf diese Weise dem Zugriff der Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden entziehen.“

Nüchtern betrachtet liegt das im Grunde eigentlich auf der Hand, sodass es schon verwunderlich ist, dass dieses Argument teilweise tatsächlich ernsthaft und erfolgreich diskutiert wurde.


In diesem Zusammenhang erwähnenswert, jedoch eigentlich ebenso von sich aus bereits nachvollziehbar, ist der Hinweis des BGH auf den sog. „Umlaufbeschluss der Chefinnen und Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder vom 08.09.2020“. Vereinfacht gesagt hatte sich dort eine gemeinsame Kommission dazu entschlossen, mit Blick auf die bevorstehende Änderung des GlüStV 2021 zurückhaltend bei einem Vorgehen gegen online Glücksspielangebote zu sein.  Der BGH verweist darauf, dass sich daraus keine, einem Verwaltungsakt gleichkommende Legalisierung herleiten lässt.


Letztlich betont der BGH ebenso ausdrücklich, dass allein die Nichtigkeitsfolge und die Option des Anspruchs nach § 812 BGB keine falschen Anreize im Sinne eines „Spielens ohne Risiko“ setzt. Er verweist darauf, dass dies allenfalls für Einzelfälle gelten mag, Sinn und Zweck des GlüStV aber eben dem übergeordnet sind.


Recht ausführlich kommt der BGH dann noch einmal auf den Beschluss des BGH XI ZR 515/21 zurück, welcher derzeit ausnahmslos in jeder Klage dem Rückforderungsanspruch entgegengehalten wird. Dort hatte der BGH einen Rückforderungsanspruch gegenüber Zahlungsdienstleister zurückgewiesen. Als hinreichenden Grund dafür sah der BGH, dass aus den Gesetzesmaterialien zum GlüStV 2012 zu entnehmen sei, dass die Vorgaben des GlüStV, welche sich an Zahlungsdienstleister richten, sich nicht auf das Vertragsverhältnis zwischen Spieler und genutztem Zahlungsdienstleister auswirken sollen. Dazu teilt der BGH nun mit:

„Diese Überlegungen lassen sich nicht auf das Verhältnis zwischen Glücksspielanbieter und Spieler übertragen“

Und weiter heißt es:

„Es ist kein Wille der Landesgesetzgeber erkennbar, das Vorgehen gegen Glücksspielanbieter, die gegen das im Glücksspielstaatsvertrag geregelte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verstoßen, zu begrenzen und insbesondere nicht das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen Glücksspielanbieter und Spieler einzugreifen.“


Mit diesen Kernaussagen ebnet der BGH den Weg hin zu einem Anspruch aus § 812 BGB aufgrund Nichtigkeit der zuvor geschlossenen Spielverträge. All diese Punkte sind also die Grundvoraussetzung für alle anderen weiteren Überlegungen dahingehend, inwieweit ein Sportwettenangebot im Internet zu einem nichtigen Vertrag geführt hat.


Aber was hat das jetzt mit diesem Einzahlungslimit von 1.000,00 € auf sich, von dem man überall liest?

An dieser Stelle kommen nun die Besonderheiten der Sportwettenangebote zum Tragen. Denn auch zum Zeitpunkt des GlüStV 2012 bestand das Verbot von Sportwetten unter dem Vorbehalt einer möglichen zu erteilenden Erlaubnis (sog. Erlaubnisvorbehalt). Ein solches Konzessionsverfahren wurde auch tatsächlich durchgeführt, kam jedoch ewig nicht zu einem Ergebnis bis im Jahr 2016 das Verwaltungsgericht Darmstadt sich einschaltete und eine Konzessionserteilung durch die Aufsichtsbehörde anordnete. Eine solche Erlaubnis wurde aber dennoch nicht erteilt, sondern erst weit später, beginnend ab dem Jahr 2020.

Damit stellte sich die Frage: wie wirkt sich ein solches Konzessionsverfahren aus, insbesondere, wenn die Voraussetzungen der Konzessionserteilung doch eigentlich vollumfänglich vorgelegen haben. Darüber könnte man zumindest mal nachdenken. Entsprechend wägt der BGH hier auch das pro und contra mit diversen Argumenten ab.

Der BGH trifft dazu aber keine Entscheidung. Muss er auch nicht, denn klar war – und das ist der Knackpunkt – dass die Voraussetzungen einer Konzessionserteilung für den hier beklagten Sportwettenanbieter gerade nicht vorgelegen haben. Eine Lizenz kam seinerzeit nur dann in Betracht, wenn die besonderen Schutzbestimmungen des § 4 Abs. 5 GlüStV 2012 erfüllt waren. Und hier gibt § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 vor, dass der Höchsteinsatz des Spielers auf 1.000,00 € pro Monat begrenzt ist. Das war beim beklagten Anbieter nicht der Fall, sodass allein aufgrund dieses Fehlers das Angebot „nicht lizenzfähig“ war.

Interessanterweise führt der BGH auch aus, dass es nicht darauf ankommt, ob sich dieses Einzahlungslimit auf den klagenden Spieler überhaupt ausgewirkt hat. Selbst dann also, wenn der Spieler beispielsweise tatsächlich nur 500,00 € pro Monat eingezahlt hat, war das Angebot als solches bereits im Grundsatz fehlerhaft, egal, ob der Spieler selbst die 1.000,00 €-Grenze nun überschritten hat oder nicht.

Eine Lizenz hat daher gar nicht erteilt werden dürfen, sodass es im Ergebnis bei dem Gesetzesverstoß und damit bei der Nichtigkeit des Spielvertrags aufgrund der fehlenden Lizenz verbleibt.


Was ist mit Verjährungsfragen?

Zur weiterhin äußerst relevanten Problematik der Verjährung sagt der BGH rein gar nichts. Er betont lediglich, dass er mit den Wertungen des Berufungsgerichts zur dort diskutierten Verjährungsfrage keine Probleme hat. Nur: dort ging es nicht darum, ob nun 3 Jahre Verjährung oder 10 Jahre Verjährung oder sonst was gilt. Dort ging es darum, ob die 3 Jahre auch dann eingehalten worden sind, wenn die Klage zwar innerhalb der 3 Jahre erhoben wurde, diese aber erst Monate nach Ablauf der 3 Jahre beim Glücksspielanbieter zugestellt wurde.


Was ist mit einem Anspruch auf Rückzahlung aus § 823 BGB?

Nicht geäußert hat sich der BGH zu einem denkbaren weiteren Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB. Ob eine Anwendung von § 823 BGB auf Glücksspielsachverhalte möglich ist, wird sehr unterschiedlich gesehen. Die wichtigste Konsequenz der Anwendung von § 823 BGB ist eine andere Verjährungsfolge. Denn Ansprüche nach § 823 BGB verjähren in jedem Fall erst nach 10 Jahren, sodass Spieler hieraus einen deutlich höheren Zeitraum abdecken können, ohne sich vertiefend mit dem umstrittenen Punkten der 3-jährigen Verjährungsfrist des § 812 BGB auseinandersetzen zu müssen.


Hat der Beschluss des BGH auch Auswirkungen auf reine online-Casino Sachverhalte?

Davon ist durchaus auszugehen. Die Grundgedanken, welche der BGH zur Wirksamkeit der Spielverträge trifft, lassen sich vermutlich mit guter Begründung auch auf reine Casino-Sachverhalte übertragen. Einige Gedanken dahingehend dann in einem separaten Rechtstipp.


Hat der Beschluss auch Auswirkung auf laufende Verfahren vor anderen Gerichten?

Auch davon ist auszugehen. Der Hinweisbeschluss dürfte, spätestens nach seiner Veröffentlichung, nicht unerhebliche Auswirkungen auf laufende Verfahren haben. Das betrifft sowohl die Verfahren der ersten Instanz als auch anhängige Berufungsverfahren.

Ob eine Übertragung der Gedanken des BGH 1:1 auf alle Sportwettenfälle möglich ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Dazu zählt insbesondere die Frage, ob und welche Verstöße gegen eine maßgebliche Lizenzierbarkeit des Wettangebots sprechen. Einmal pauschal unterstellt, ein Anbieter hat tatsächlich im relevanten Klagezeitraum das 1.000,00 €-Limit eingehalten, dann muss geprüft werden, ob im jeweils konkreten Fall weitere Vorgaben eines lizenzfähigen Angebots verletzt sind. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Diskurs mit den Anbietern auf anderer Ebene verschiebt, möglicherweise genau hierhin.

Allerdings: unberührt von den Ausführungen des BGH bleiben all jene Fälle, die erstinstanzlich verloren gegangen sind und für welche die Rechtsmittelfristen abgelaufen sind. Ist das Verfahren erst einmal rechtskräftig beendet, wird es nicht wieder aufgerollt. Gleiches gilt für Verfahren, welche bereits durch einen Vergleich beendet sind und eine möglicherweise eingeräumte Widerrufsfrist bereits abgelaufen ist.


Haben der Beschluss und seine rechtlichen Punkte Auswirkungen auf das Vollstreckungsproblem Bill55/ Malta?

Nein. Egal wie der BGH entscheiden wird, an den weiterhin bestehenden Vollstreckungsproblemen von erhaltenen Urteilen ändert das Verfahren nichts. Selbst dann nicht, wenn es am Ende ein echtes Urteil des BGH geben würde. Wie es also an dieser Baustelle weitergeht, bleibt abzuwarten.


Wie geht es nun weiter?

Stand jetzt und heute sind die Ausführungen lediglich eine erste vorläufige Einschätzung des BGH. In der Theorie wäre es also denkbar, dass nunmehr ein Feuerwerk an Argumentation bis zur mündlichen Verhandlung erfolgt, durch welches der BGH seine Meinung revidiert, zumindest in Teilen abändert. Allerdings dürfte das eher unwahrscheinlich sein. Allein schon der Ausführlichkeit der Ausführungen des BGH ist sehr wohl zu entnehmen, dass er seine Wertungen mit Bedacht und gut überlegt gegeben hat. Ob daher die Verhandlung am 02.05.2024 tatsächlich stattfindet, sei in den Raum gestellt. Doch auch dann, wenn die Revision zurückgenommen wird, haben die dargestellten Ausführungen des BGH wenigstens eine erhebliche Signalwirkung.

Klar ist, dass mit den Ausführungen des BGH einige wesentliche Streitpunkte in eine sehr spielerfreundliche Richtung gerückt worden sind. Klar ist aber auch, dass weitere Punkte anhaltend ungeklärt sind. Das betrifft insbesondere die Frage der Verjährung. Wenigstens die Frage der Verjährung dürfte zu einem weiteren Revisionsverfahren führen, hier hatte das OLG Oldenburg im letzten Jahre bereits ausdrücklich die Revision zugelassen.

Dennoch, durch die nun recht deutlich gestiegenen Chancen, einen Rückforderungsprozess jedenfalls in materiell-rechtlicher Hinsicht zu gewinnen, sollte ein jeder Spieler, welcher Verluste erlitten hat, dringend ein weiteres Vorgehen im Rahmen einer möglichen Rückforderung prüfen. Denn unstreitig dürfte sein: irgendwann schlägt in einem Großteil der Fälle die Verjährung zu, so oder so. Recht zu haben, dieses aber allein aufgrund der Verjährung nicht zu bekommen, dürfte wohl die unglücklichste Variante sein.


update 12.04.2024: der Hinweisbeschluss ist inzwischen veröffentlicht und über die Urteilsdatenbank des BGH abrufbar.


Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich idealerweise über das Kontaktformular oder per Email.

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Tel.: 030-756 562 64






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