Online-Glücksspiel: Mehrere OLG-Senate lehnen eine Aussetzung des Verfahrens wegen des EuGH-Verfahrens ab

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Dr. Redell Rechtsanwälte erstreiten wichtige Entscheidungen im Hinblick auf eine Aussetzung des Verfahrens wegen des anhängigen EuGH-Verfahrens

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In drei von unserer Kanzlei geführten Verfahren haben der 21. Zivilsenat des OLG Hamm, der 1. Zivilsenat des OLG Koblenz und der 6. Zivilsenat des OLG Nürnberg jeweils eine Aussetzung des eigenen Verfahrens im Zusammenhang mit der Rückforderung von Verlusten eines Spielers beim unerlaubten Online-Glücksspiel wegen des anhängigen EuGH-Verfahrens C-440/23 abgelehnt. Das Besondere dabei ist, dass die jeweiligen Entscheidungen der vorgenannten OLG-Senate zeitlich nach der Entscheidung des I.Zivilsenats des BGH vom 10.01.2024 ergangen sind, mit welcher der I. Zivilsenat das bei ihm anhängige Verfahren - ohne nähere Begründung - wegen des anhängigen EuGH-Verfahrens ausgesetzt hatte. Diese Entscheidungen sind nach unserer Rechtsauffassung zutreffend und demnach sehr zu begrüßen.

Aussetzung eines Verfahrens nach § 148 ZPO

Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann ein Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Die Aussetzung erfordert damit Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtsstreit zu treffenden Entscheidung im Sinne einer zumindest teilweise präjudiziellen Bedeutung. Eine Aussetzung nach § 148 Abs. 1 ZPO kommt auch dann in Betracht, wenn eine Vorlage zur Vorabentscheidung durch den EuGH erforderlich ist. Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung einer Frage ab, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde, ist die Aussetzung des Verfahrens analog § 148 Abs. 1 ZPO grundsätzlich auch ohne gleichzeitiges (weiteres) Vorabentscheidungsersuchen in dem auszusetzenden Verfahren zulässig.

Ermessensentscheidung des Gerichts

Liegen die Voraussetzungen einer Aussetzung vor, steht ihre Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Bei seiner Ermessensausübung hat das Gericht die Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und die mit der Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung gegeneinander abzuwägen. Die Entscheidung ist zu begründen, damit sowohl die Ermessensausübung als auch die Erwägungen des Gerichts, die die Annahme einer Vorgreiflichkeit im Sinne der Vorschrift rechtfertigen, vom Beschwerdegericht nachvollzogen werden können.

OLG-Senate lehnen Aussetzungen ab

Nach Auffassung des 21. Zivilsenates des OLG Hamm ist eine Aussetzung des Verfahrens abzulehnen, da sich im Streitfall keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts stelle, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten sei. So habe der EuGH bereits entschieden, dass es im Ergebnis Sache der nationalten Gerichte sei, nationale Maßnahmen im Glücksspielsektor im Einzelfall zu prüfen. Auch die Folgen einer etwaigen Europarechtswidrigkeit von Regelungen im Bereich des Glücksspiels und die Anforderungen an ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung für das Angebot von Glücksspielen seien in der Rechtsprechung des EuGH bereits hinreichend geklärt. Zudem seien die Vorlagefragen nicht vorgreiflich. Denn selbst wenn das Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 europarechtswidrig wäre, wären die Glücksspielbetreiber gehalten gewesen, eine eigene Erlaubnis zu beantragen. Das Europarecht fordere bei unterstellter Europarechtswidrigkeit des Verbots von Online-Glücksspielen weder eine Duldung noch eine voraussetzungslose Genehmigung der Veranstatung und Vermittlung solcher Glücksspiele, sondern lediglich die Prüfung sowie Bescheidung hierauf gerichteter Erlaubnisanträge. Dies gelte selbst dann, wenn keine Erlaubnis hätte beantragt werden können. Ein derartiges Genehmigungsverfahren habe der betroffene Online-Glücksspiel-Anbieter aber nicht geführt.

Diese Rechtsauffassung entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des I. Zivilsenats des BGH (vgl. BGH, Beschluss vom 26.01.2023 - I ZR 79/22 - bestätigt durch Beschluss vom 08.11.2023).

Nach Auffassung des 1. Zivilsenates des OLG Koblenz würden die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vorliegen. Es fehle an einem Vorlageerfordernis und damit auch an dem für die nach § 148 Abs. 1 ZPO erforderliche Vorgreiflichkeit entscheidenden Element einer möglichen rechtlichen Beeinflussung. Das in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 normierte Verbot der Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen im Internet, von dem Ausnahmen nur für Lotterien und Sportwetten möglich waren, habe den Zweck, den besonderen Gefahren von Glücksspielen im Internet entgegenzuwirken und sei mit dieser Zielrichtung von der höchstrichterlichen europäischen und deutschen Rechtsprechung bereits als mit Unionsrecht vereinbar angesehen worden. Dabei habe der EuGH betont, dass die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen gehört, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer Harmonisierung des betreffenden Gebiets durch die Gemeinschaft sei es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben. Dabei könne allein der Umstand, dass ein Mitgliedstaat ein anderes Schutzsystem als ein anderer Mitgliedstaat gewählt habe, keinen Einfluss auf die Beurteilung der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen haben. Der Bundesgerichtshof habe keinen Anlass für eine (erneute) Vorlage an den EuGH gesehen. Im Ergebnis sei die richtige Auslegung des Unionsrechts daher derart offenkundig („acte clair“), dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibe. Unabhängig davon sei das Verfahren C-440/23 jedenfalls insoweit nicht präjudiziell für den zu entscheidenden Rechtsstreit. Die nicht begründete Aussetzung eines Revisionsverfahrens durch den Bundesgerichtshof (Beschluss vom 10.01.2023 - I ZR 53/23) stehe diesen Erwägungen nicht entgegen und habe keine bindende Wirkung dahingehend, dass alle „Online-Glücksspiel-Verfahren“ auszusetzen wären.

Der 6. Zivilsenat des OLG Nürnberg schließt sich den Rechtsauffassungen der anderen beiden Senate mit einer vergleichbaren Begründung an und ergänzt hierzu, dass die zahlreichen Rechtsfragen, die dem EuGH seitens des maltesischem Gericht vorgelegt worden seien, schon aufgrund ihrer Pauschalität keine Aussetzung des hier zu entscheidenden Verfahrens bedingen würden. Zudem würden "argumentativ unterlegte Anhaltspunkte vorgetragen, wonach im Vorlageverfahren schon kein Spieler klagt, wodurch dort ein abweichender Sachverhalt zu beurteilen" sei.

"Diese Entwicklung ist sehr zu begrüßen. Nachdem der I. Zivilsenat des BGH aus unserer Sicht relativ unglücklich aber wohl bedacht seine Entscheidung vom 10.01.2024 nicht begründet hatte, mehrten sich die Spekulationen hierüber, was im Ergebnis dazu geführt hat, dass viele Instanzgerichte - aus unserer Sicht unzutreffend - die jeweiligen Verfahren ausgesetzt haben. Nach unserer Rechtsauffassung hat sich der EuGH bereits ausreichend und abschließend mit den aufkommenden Rechtsfragen beschäftigt, weswegen der BGH eine eigene (weitere) Vorlage an den EuGH bis heute ablehnt. Nicht verwunderlich, dass es das streitgegenständliche Verfahren vor dem EuGH nur über Umwege (über Malta) und unter merkwürdigen Umständen (deutscher Anwalt kauft einem Spieler den eigenen Anspruch ab, der Spieler nimmt daraufhin seine Klage gegen den Online-Glücksspiel-Anbieter zurück und der deutsche Anwalt klagt sodann gegen denselben Online-Glücksspiel-Anbieter vor einem Gericht auf Malta) bis zum EuGH geschafft hat. Letztlich sind wir zuversichtlich, dass sich die Gerechtigkeit durchsetzen wird, was nicht zuletzt auch durch die aktuellen Entscheidungen der genannten OLG-Senate bestärkt wird." sagt Rechtsanwalt Dr. Patrick Redell, welcher für seine Mandanten in den vorgenannten OLG-Verfahren beratend tätig ist.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie unter: https://www.redell.com/blog

Sollten Sie auch Verluste beim Online-Glücksspiel erlitten haben, melden Sie sich gerne unverbindlich bei uns über rechtsanwalt@redell.com. Ihre Anfrage wird selbstverständlich vertraulich und diskret behandelt.



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