Online-Glücksspiel – Vorlagebeschluss zum EuGH C-440/23, Entscheidung von höchster Stelle?

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Nachdem sich zwischenzeitlich der BGH in laufenden Verfahren insbesondere mit der Frage der Rückforderung von Verlusten von online-Casinos beschäftigt, steigt nun auch der EuGH in die Diskussion ein. Was bis zum heutigen Tag durch deutsche Gerichte verwehrt wurde, erfolgte kürzlich durch ein Gericht aus Malta. Der maltesische Prim’Awla tal-Qorti Ċivili reichte am 14.07.2023 ein Vorabentscheidungsersuchen zu verschiedenen Fragen ein, welche das Rechtsverhältnis zwischen maltesischen Spielangeboten und deutschen Gesetzmäßigkeiten klarstellen sollen. Das Verfahren wird unter dem Geschäftszeichen des EuGH C-440/23 geführt.


Was ist ein Vorabentscheidungsverfahren?

Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahren, zu finden in Art 267 AEUV, sind in aller Regel Auslegungsfragen bezüglich europarechtlicher Vorgaben. Viele EU-Richtlinien und Verordnungen stellen allenfalls allgemein einen Rechtsrahmen dar, welcher dann - wenn auch möglichst einheitlich - von den einzelnen Mitgliedsstaaten umzusetzen ist. Das hat zur Folge, dass europaweit einheitliche Regelungen nicht immer vorhanden sind und ein gewisser Interpretationsspielraum für die einzelnen Mitgliedsstaaten verbleibt.

Kommt nun ein nationales Gericht in einem Verfahren zu dem Punkt, an dem es verfahrensrelevante Unklarheiten oder Schwierigkeiten mit der Anwendung einer nationalen Regelung in Bezug auf eine europarechtliche Vorgabe sieht, dann setzt das Gericht das Verfahren aus und bittet den EuGH um Klärung. Dieser gibt sodann für den konkreten Fall eine Richtlinie vor, wie mit der Rechtsfrage umzugehen. Anhand der durch den EuGH am Ende gegebenen Auslegung der EU-Norm, kann das vorlegende Gericht anschließend den Sachverhalt unter Beachtung der europarechtlichen Vorgaben lösen. Auch wenn in einem Vorabentscheidungsverfahren der EuGH seine Bewertungen zunächst anhand des konkreten Falles gibt, haben diese dennoch eine, wenn man so will, „Leitfunktion“ für gleichartige oder vergleichbare Sachverhalt.


Was ist Gegenstand des aktuellen Verfahrens C-440/23?

Gegenstand des aktuellen Verfahrens ist eine Klage aus Malta. Dort hatte ein deutscher Rechtsanwalt in eigenem Namen auf Rückzahlung der Verluste geklagt, welche er sich zuvor von einem Spieler aus Deutschland hat abtreten lassen. Dabei geht es um Verluste aus Zweitlotterien sowie aus online-Automatenspiele sowie. Das beklagte Unternehmen hatte zwar eine maltesische, jedoch keine deutsche Lizenz. Das maltesische Gericht geht davon aus, dass der Sachverhalt, welcher in Deutschland spielt, nach deutschem Recht zu beurteilen sei und legt dem EuGH hierfür insgesamt 7 Fragen vor, welche es für entscheidungsrelevant hält.

Dabei sind zumindest die Vorlagefragen 1 und 7 für eigentliche Casino-Rückforderungen möglicherweise relevant (gekürzt und vereinfacht dargestellt):


  1. (Vorlagefrage Nr. 1) Steht es Art. 56 AEUV entgegen, wenn ein Mitgliedsstaat ein generelles Verbot von online-Glücksspielen erlässt, obwohl zum einen der Betrieb von Automatenspielen in stationären Spielbanken erlaubnisfähig ist und zum anderen private Anbieter zumindest dann Lizenzen erhalten können, wenn sie staatliche Glücksspielangebote vertreiben? 
  2. (Vorlagefrage Nr. 7) Steht Art. 56 AEUV einer Rückforderung jedenfalls dann entgegen, wenn der Casino-Betreiber in einem anderen Mitgliedsland nach den dortigen Voraussetzungen ordnungsgemäß lizenziert und überwacht wird?

Insbesondere die Vorlagefrage 7 ist weitestgehend auch Gegenstand aller Rückforderungsklagen. Die weiteren Vorlagefragen Nr. 2 bis 6 betreffen sogenannte Zweitlotterien, welche erst einmal bei der Frage der Rückforderungen gegenüber reinen online-Casinos ausgespart werden können.


Warum ruft ein Gericht aus Malta den EuGH an und kein deutsches Gericht?

Auch das ist eher unklar. Einzelheiten zum Verfahrenslauf in Malta sind nicht bekannt. Es ist dennoch schon bemerkenswert, mit welcher Intention ein deutscher Kläger ernsthaft vor einem maltesischen Gericht auf Rückzahlung von Verlusten klagt, die er bei einer Spielteilnahme in Deutschland erlitten hat. Das ganze könnte ein charmanter Versuch des Anwalts sein, den sogenannten bill 55 zu umgehen, welcher einer Vollstreckung deutscher Urteile auf Malta derzeit entgegengehalten werden kann. Würde der deutsche Kläger vor dem maltesischen Gericht gewinnen, dann dürfte jedenfalls kein „Urteil eines anderen EU-Landes“ vorliegen und der Vollstreckungsschutz aus bill 55 würde möglicherweise nicht greifen. Allerdings ist das eher spekulativ.

Grund könnte ebenso sein, die Option einer Vorlage an den EuGH durch ein maltesisches Gericht zu fingieren. Zumindest sind bislang alle deutschen Gerichte einheitlich davon ausgegangen, dass eine Vorlage an den EuGH deshalb nicht erforderlich sei, da die Fragen der Regelung des online-Glücksspiels auf rein nationaler Ebene durch den EuGH bereits geklärt seien.

Spannend ist bereits, ob das ganze Vorgehen des maltesischen Gerichts in der Form überhaupt zulässig ist. Das dürfte eine nicht ganz unerhebliche Frage sein. Durch die seitens des maltesischen Gerichts proklamierte Anwendung deutschen Rechts auf das Klageverfahren, stellt sich das Gericht im Grunde genommen komplett gegen die deutsche Rechtsprechung, welche bislang instanzenübergreifend stets die Vorlage an den EuGH angelehnt hat. Ob also in einem Gerichtsverfahren in einem anderen EU-Land das dortige Gericht unter Annahme der Anwendbarkeit deutschen Rechts dieses mal so eben dem EuGH zur Prüfung vorlegen kann, hat zumindest einen Beigeschmack.


Wie lange wird es dauern, bis eine Entscheidung des EuGH vorliegt?

Vorausgesetzt, das Ersuchen ist überhaupt zulässig, dann ist in aller Regel von einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von 16 Monaten auszugehen. Eine Entscheidung wird es daher definitiv nicht mehr in diesem Jahr geben, mit Glück möglicherweise Ende nächsten Jahres, eher Anfang 2025.


Herrscht danach Klarheit?

Zumindest hinsichtlich der vorgetragenen Fragen herrscht dann Klarheit. Allerdings bedingen diese im Anschluss nicht selten weitere Fragen, denn der EuGH kann und wird sicherlich nicht eine Rechtsmaterie komplett abschließend verbindlich bewerten.

Daher ist es auch hier mit Blick auf die gestellten Fragen nicht auszuschließen, dass sich Folgeprobleme auftun, welche abermals Interpretationsspielraum haben


Welche Auswirkung hat der Vorlagebeschluss auf laufende Verfahren?

Aus der EuGH-Vorlage könnte sich durchaus noch eine weitere Relevanz ergeben. In erster Linie steht eine denkbare Verfahrensaussetzung analog § 148 ZPO im Raum. Das bedeutet, vergleichbare laufende Verfahren, für welche die Vorlagefragen entscheidungserheblich sein könnten, werden seitens des jeweiligen Gerichts so lange ausgesetzt, sprich ruhend gestellt, bis eine Entscheidung des EuGH vorliegt. Damit würden sich laufende Verfahren an deutschen Gerichten deutlich verzögern

Ob allerdings nun großflächig Verfahrensaussetzungen seitens der einzelnen Gerichte vorgenommen werden, ist eine andere Frage. Es kristallisiert sich aber derzeit klar heraus, dass aktuell seitens der Casino-Anbieter in aller Regel Aussetzungsanträge in laufenden Verfahren gestellt werden. Und wie es nun mal so ist, mit unterschiedlichem Erfolg.


So hat kürzlich das LG Magdeburg 10 O 597/23 einen Hinweis an die beteiligten Parteien gegeben, dass es beabsichtigt, das Verfahren auszusetzen. Die Begründung dazu erscheint auf den ersten Blick durchaus plausibel. Insbesondere verweist das LG Magdeburg darauf, dass es nicht darauf ankommt, dass sämtliche Oberlandesgerichte sich in ihren Entscheidungen einheitlich für die klagenden Spieler ausgesprochen haben und es daher auf eine Stellungnahme des EuGH sowieso nicht ankomme. Das LG Magdeburg verweist auf die ähnliche Problematik in den Dieselfällen. Auch dort gab es eine mehr oder weniger einheitliche Rechtsprechung, welche gar vom BGH bestätigt wurde. Diese Rechtsprechung wurde erst vom EuGH gekippt. Damit verweist das LG Magdeburg darauf, dass es zumindest nicht komplett ausgeschlossen ist, dass auch im Falle der Casino-Thematik der EuGH eine abweichende Sichtweise haben könnte und er die Rechtsprechung in Deutschland ganz oder aber in Teilen kippt. Ob das der Fall sein wird, spielt für das LG Magdeburg bei der Bewertung einer Verfahrensaussetzung keine Rolle. Entscheidend ist eben nur, dass diese Option nicht komplett ausgeschlossen werden kann.


Etwas anders sieht das OLG Oldenburg 8 W 32/23 die Verfahrensaussetzung. Dieses argumentiert weniger mit der Option der theoretischen Auswirkung am Beispiel des Dieselfälle, sondern stützt sich auf die Rechtsprechung des EuGH zum Thema online-Glücksspiel selbst. Hier hatte der EuGH bereits vor Jahren angemerkt, dass es jedem Mitgliedsland freisteht, den Glücksspielsektor an eigenen Vorgaben zu messen und entsprechend auch eigenständig zu regeln. Für den hierzu anzuwendende Maßstab gesteht der EuGH den einzelnen Mitgliedsstaaten einen großzügigen Beurteilungsspielraum, sodass auch mit Blick auf europarechtliche Vorgaben die deutschen Regelungen des GlüStV keinen offensichtlichen Verstoß gegen das EU-Recht darstellen. Auf der Schiene des OLG Oldenburg befindet sich derzeit die Mehrheit der deutschen Gerichte.


Das OLG Brandenburg 2 U 36/22 hingegen geht von der Irrelevanz des EuGH-Verfahrens für die reinen Casino-Fälle aus, denn im Wesentlichen geht es vor dem EuGH um Zweitlotterien und damit um einen gänzlich anderen Klagegegenstand.

Stand heute ist also (noch) nicht mit einer umfassenden Aussetzung von Verfahren zu rechnen, was sich aber auch mit Fortgang des EuGH-Verfahrens ändern kann. Abzuwarten bliebe auch, inwieweit die Zahl der Berufungen steigt, denn auch dadurch wird Zeit gewonnen.


Gibt es eine Prognose, wie der EuGH entscheiden wird?

Offen ist vorab, inwieweit die Vorlage des maltesischen Gerichts überhaupt zulässig ist, siehe oben. Verneint der EuGH bereits diesen Punkt, dann wird es ggf. auch kein Statement in der Sache selbst geben. Hält der EuGH die Vorlage aus Malta für zulässig, bleibt abzuwarten, ob der EuGH bei seiner bisherigen großzügigen Sichtweise zur Regelung des Glücksspielsektors bleibt. Zumindest deutet erst einmal nichts auf eine Änderung hin. Dann liegt es jedenfalls auch nahe, dass er die Regelungen des GlüStV mit Blick auf Art. 56 AEUV nicht bemängeln wird. Offen ist zudem, wie sich die weiteren Vorlagefragen zu den Zweitlotterien überhaupt auf Sachverhalte zu Casino- und/ oder Sportwettenrückforderungen auswirken. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass hier eine Vorlage aus Malta erfolgt ist und daher die Richtung, in welche zu argumentieren sein wird, nicht unbedingt pro deutsche Rechtsprechung sein dürfte. Welche Gesamtkonsequenzen sich aus einer möglichen Entscheidung des EuGH ergeben, ist daher am Ende – Stand heute – offen.


Im Ergebnis ist festzuhalten:

Mit der Vorlage an den EuGH ist dieser erstmals mit der Rückzahlungsproblematik befasst. Ob die Vorlage zulässig ist, bleibt abzuwarten. Abzuwarten ist ebenso, wie sich die Oberlandesgerichte und der BGH mit Blick auf das Vorlageverfahren positionieren. Nicht zuletzt auch deshalb, als dass die Vorlagefragen in erster Linie Zweitlotterien betreffen. Jeder klagende Spieler sollte aber damit rechnen, dass zumindest die Frage der Verfahrensaussetzung künftig verstärkt zu diskutieren sein wird und eine Verfahrensaussetzung nicht komplett ausgeschlossen werden kann, siehe etwa LG Magdeburg.


Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich idealerweise über das Kontaktformular oder per Email.

www.ra-grunow.de

info@ra-grunow.de



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