Online-Glücksspiel – (keine) Aussetzung des Verfahrens bei Casino-Rückforderungen am Beispiel OLG Bamberg 10 U 22/23

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Aktuell ist in vielen anhängige Prozessen, in denen es um Rückforderungen von reinen Casino-Verlusten geht, zu sehen, dass regelmäßig die Frage einer Verfahrensaussetzung diskutiert wird. Hintergrund sind sowohl die Vorlagefrage zum EuGH C-440/23, in welcher ein maltesisches Gericht die deutschen Glücksspielvorgaben prüfen lassen möchte als auch die Verfahrensaussetzung des BGH I ZR 53/23.

Gerade durch das anhängige EuGH-Verfahren sind nicht wenige Gerichte zurückhaltend mit einer vorherigen eigenen Entscheidung und wollen diese von den möglichen Wertungen des EuGH abhängig machen. In der Folge setzen die Gerichte in Teilen die laufenden Verfahren aus, sprich, sie werden ruhend gestellt und sollen erst nach Entscheidung des EuGH weitergeführt. Bestärkt werden könnte diese Sichtweise vor allem auch deshalb, weil selbst der BGH I ZR 53/23 in einem Revisionsverfahren die Aussetzung mit Blick auf den EuGH angeordnet hat. Was allerdings im Detail dahinter steckt, ist unklar, denn der BGH hat seinen Beschluss zur Verfahrensaussetzung nicht begründet.


In einem Berufungsurteil des OLG Bamberg 10 U 22/23 vom 27.0.2024, in welchem am Ende dem Kläger die erlittenen Casino-Verluste auch zugesprochen wurde, ging es recht ausführlich auch um die Frage der Verfahrensaussetzung. Das OLG Bamberg prüft dabei sämtliche relevante Punkte der Verfahrensaussetzung strukturiert durch und kommt zum Ergebnis, dass eine Aussetzung nicht zu erfolgen hat. Dabei nimmt es vor allem ausführlich Bezug auf das anhängige EuGH-Verfahren und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass jedenfalls ein Aussetzung mit Verweis auf das EuGH-Verfahren nicht so einfach vorzunehmen ist. Im Wesentlichen konzentriert sich das OLG Bamberg dabei auf 3 Kernpunkte:


1. Welche Konsequenz hätte es denn überhaupt, wenn der EuGH die Regelungen des GlüStV als europarechtswidrig ansieht?

Diese interessante Frage dürfte von vielen aussetzenden Gerichten zu kurz gegriffen beantwortet werden. Denn selbst bei einem Wegfall des relevanten Passus des § 4 Abs. 4 GlüStV würde ein Glücksspielangebot nicht per se als rechtskonform anzusehen sein, denn es bedarf auch dann zumindest einer Erlaubnis. Allerdings hatte eine solche Erlaubnis zu keiner Zeit je ein Anbieter beantragt, was allerdings rein pro forma und rein vorsorglich möglich gewesen wäre. Hierzu teilt das OLG Bamberg entsprechend mit:

„Auch ein (…) unionsrechtswidriges Totalverbot führt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dazu, dass Online-Glücksspiele gänzlich ohne Erlaubnis angeboten werden dürften. (…)

Das Unionsrecht fordert selbst bei (unterstellter) Unionsrechtswidrigkeit des Totalverbots weder eine Duldung noch eine voraussetzungslose Genehmigung der Veranstaltung und Vermittlung solcher, sondern lediglich die Prüfung sowie Bescheidung hierauf gerichteter Erlaubnisanträge unter Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und Transparenz anhand objektiver, nichtdiskriminierender und im Voraus bekannter Maßstäbe.

Die Beklagte hat jedoch unstreitig zu keinem Zeitpunkt eine Glücksspielerlaubnis nach deutschem Recht innegehabt oder auch nur beantragt.“

Mit anderen Worten: selbst dann also, wenn der EuGH sich gegen das Totalverbot der Casino-Angebote stellen würde, wäre wenigstens eine grundsätzlich zu erteilende Erlaubnis notwendig, welche jedoch in aller Regel weder vorlag noch überhaupt beantragt wurde.


2. Hilft hierbei denn nicht die maltesische Lizenz des Anbieters? 

Selbstverständlich dürfte nun an dieser Stelle der Einwand der Casino-Anbieter kommen, dass je eine maltesische Lizenz vorgelegen habe und diese auch über die europarechtliche „Dienstleistungsfreiheit“ gelten müsse. Nein, das muss sie gerade nicht. Hier hatte der EuGH selbst bereits vor Jahren klargestellt, dass es den nationalen Behörden vorbehalten bleibt, trotz Vorliegens einer gültigen Lizenz eines anderen EU-Staates die Zulässigkeit des Glücksspielangebotes „…vom Besitz einer von seinen eigenen Behörden erteilten Erlaubnis abhängig zu machen.“ Darauf weist auch das OLG Bamberg hin und führt dazu ergänzend an, dass der Anbieter, sofern er von einer problemlos für den Bereich Deutschland geltenden maltesischen Lizenz zum Zeitpunkt des Angebots ausgegangen ist, sich schlicht in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befunden hat. Übersetz und einfach gesagt: hätte sich der Anbieter mit der rechtlichen Lage befasst, hätte er den Irrtum über die Geltung der Lizenz vermeiden können.

Daraus dürften sich wenigstens erhebliche Zweifel ergeben, ob ein Warten auf die Entscheidung des EuGH überhaupt zielführend ist, wenn doch am Ende das Ergebnis gleich ist: das Angebot ist wegen einer fehlenden Erlaubnis nicht rechtmäßig – so oder so.


3. Keine Aussetzung mit Verweis auf das ausgesetzte BGH-Verfahren, sofern sich der  Anspruch auch aus § 823 BGB ergibt

Ferner geht das OLG Bamberg ebenso davon aus, dass eine Verfahrensaussetzung auch nicht mir Verweis auf die durch den BGH selbst vorgenommenen Verfahrensaussetzung zu begründen ist. Grund dafür sei, dass sich der Fall des BGH nur mit einer Rückforderung nach § 812 BGB befasst. Das OLG Bamberg diskutierte jedoch ebenso die Anwendbarkeit des § 823 BGB und bejahte diesen auch. Da ein Rückforderungsanspruch aus § 823 BGB aber nicht Gegenstand des ausgesetzten BGH-Verfahrens war, konnte auch keine vergleichbare Situation für den Fall des OLG Bamberg angenommen werden, sodass auch aus diesem Grund weder die Aussetzung des BGH noch die zu erwartende Entscheidung des EuGH Relevanz für die Entscheidung des OLG Bamberg mit Blick auf § 823 BGB haben.


Und andere Gerichte? Wie sieht es grundsätzlich mit der Verfahrensaussetzung aus?

Bei allen Betrachtungsweisen jedoch gilt, dass die Entscheidung der Verfahrensaussetzung im Ermessen des jeweiligen Gerichts liegt. Hält das jeweilige Gericht also die Vorlagefrage des EuGH in einem anderen Verfahren für beachtlich und verfahrensrelevant, kann das Gericht sein eigenes Verfahren durchaus weiterhin aussetzen. Der Grundgedanke dabei aber ist, dass die Prozessparteien einen Anspruch auf möglichst zügige Durchführung ihres Verfahrens haben. Dem steht natürlich eine Verfahrensaussetzung auf zunächst unbekannte Dauer entgegen. Daher nehmen vor allem erstinstanzlich diverse Gerichte an, dass hier das Interesse der Prozessparteien an der Fortsetzung des Verfahrens das Aussetzungsinteresse überwiegt. Für alles weitere steht letztlich ja auch noch die Berufungsinstant zur Verfügung.


So betont das LG Lübeck 15 O 134/22 in einem Beschluss vom 15.02.2024 zu einer Zurückweisung des Aussetzungsantrags:

„Auf Klägerseite hat das Gericht das Interesse eingestellt, dass das Verfahren nicht auf zeitlich unabsehbare Zeit verschleppt wird. Dieses Interesse wiegt schwer, da nicht abzusehen ist, wann mit einer Entscheidung des EuGH gerechnet werden kann und zudem zu berücksichtigen ist, dass neben der oben genannten europarechtlichen Fragestellung noch eine Reihe weiterer rechtlicher Einwände durch die Beklagtenseite erhoben wurden und daher damit zu rechnen ist, dass das Verfahren auch dann nicht für die Klägerseite in erster Instanz abgeschlossen werden kann, wenn der EuGH die Rechtsansicht der Klägerseite bestätigt.“

Übersetzt heißt das: es mag ja sein, dass die Entscheidung des EuGH zu online-Glücksspiel relevant ist. Allerdings kann niemand sagen, wann die abschließende Entscheidung überhaupt getroffen wird. Zudem kommen auch andere Punkte in Betracht, welche für die Klageparteien zu bewerten sind und die überhaupt nicht Gegenstand des EuGH-Verfahrens sind. Darauf verweist ja auch das OLG Bamberg, siehe oben zu § 823 BGB.


Etwas anders sieht es beispielsweise das LG Magdeburg 10 O 597/23, welches die Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf EuGH C-440/23 deshalb für angebracht hält, da auch für andere Klagewellen, wie etwa den Abgasfällen, erst der EuGH sich gegen eine komplett einheitliche Rechtsprechung der deutschen OLG und des BGH stellte und merkt dazu an:

„Dennoch hat dann der EUGH am 21.03.2023 faktisch gegen die Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte entschieden, worauf der VIa Senat des BGH mit seiner Urteilsserie vom 26.06.2023 seine Rechtsprechung geändert hat.“

Nur deshalb also, weil eine einheitliche OLG-Rechtsprechung und nun sicherlich auch eine darauf bezogene Grundlinie des BGH vorhanden ist, heißt das ausweislich des LG Magdeburg noch lange nicht, dass dem auch der EuGH folgen wird. 

Auch die Rechtsprechung des OLGs ist derzeit nicht einheitlich, was die Verfahrensaussetzungen angeht. Ob sich zudem etwas mit Blick auf den Hinweisbeschluss des BGH vom 22.03.2024 ändern wird, bleibt jedoch abzuwarten, denn dort ging es nicht um einen Casino-Fall, sondern um die Rückforderung von Sportwettenverlusten, für welche auch der BGH eine durchaus unterschiedliche Behandlung annehmen möchte. 


Kann ich denn gegen eine Verfahrensaussetzung irgendwie vorgehen?

Eine Beschwerde gegen die Verfahrensaussetzung ist zwar möglich. Allerdings ist umstritten, was genau in einem solchen Beschwerdeverfahren überprüft werden darf. Die überwiegende Auffassung geht wohl dahin, dass das Beschwerdegericht nur überprüfen darf, ob überhaupt ein anhängiges EuGH-Verfahren vorliegt, das irgendwie Auswirkung auf das Verfahren hat. So hat beispielsweise das OLG Köln I-19 W 1/24 kürzlich eine Beschwerde gegen eine Verfahrensaussetzung zurückgewiesen mit der Begründung, dass jedenfalls mit dem Verfahren EuGH C-440/23 ein Verfahren am EuGH anhängig ist, welches jedenfalls eine Auswirkung auf laufende Verfahren haben "könnte". Darauf, wie wahrscheinlich eine solche Auswirkung auf das ausgesetzte Verfahren ist, kommt es nicht an, solange zumindest eine dahingehende Wahrscheinlichkeit besteht. Das OLG Köln I-19 W 1/24 führt dazu aus:

„Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung. Der allgemeine prozessrechtliche Grundsatz, dass Instanzgerichte ihre Sachentscheidung ohne Steuerung und Einflussnahme von außen treffen dürfen und müssen, verbietet zwar auch in der vorliegenden Konstellation eine umfassende Überprüfung der Aussetzungsentscheidung. Es muss im Rechtsweg jedoch zumindest geklärt werden können, ob eine "Parallelsache" vorliegt, d.h. eine Aussetzung in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO dem Grunde nach in Betracht kommt.“

Gleiches bestätigt das OLG 19 W 18/24 nochmals mehr oder weniger wortgleich.


Etwas anders sieht es beispielsweise das OLG Oldenburg 8 W 32/23, welches betont, dass es jedenfalls für Gerichte der ersten Instanz nicht angezeigt ist, die Verfahren auszusetzen, da jedenfalls das Interesse der Klageparteien an einer zügigen Entscheidung höher zu gewichten ist, als ein Abwarten auf eine irgendwann in der Zukunft zu erwartende EuGH-Entscheidung. Das jedenfalls dann, wenn der Gegenstand der Vorlagefrage durch den EuGH eigentlich bereits geklärt ist, der EuGH daher de facto schon seine alte Rechtsauffassung aufgeben müsste. Es teilt hierzu mit:

„Es kann dahingestellt bleiben, ob der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung im Rahmen der neuerlichen Vorlagefrage aufrechterhalten wird. Erstinstanzliche Gerichte der Mitgliedsstaaten sind entgegen der Argumentation der Beklagten nicht unter prozessökonomischen Gesichtspunkten gehalten, ihr Verfahren wegen der Abhängigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens auszusetzen, da die gerichtliche Durchsetzung von Unionsrecht andernfalls bis zum Abschluss des Vorabentscheidungsverfahrens faktisch verbhindert wäre.“

Hiernach käme es also nicht darauf an, ob nun ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH anhängig ist oder nicht, da dieses kein ausreichender Grund für eine – erstinstanzliche – Verfahrensaussetzung sei.


Welche Sichtweise in den nächsten Wochen und Monaten durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Beide Sichtweisen haben natürlich ihr Für und Wider. Geht man jedoch davon aus, dass unabhängig von einer unterstellten Europarechtswidrigkeit des Totalverbots § 4 Abs. 4 GlüStV eine grundsätzliche Erlaubnis in jedem Fall zumindest zu beantragen war, das wiederum für den jeweils konkret verklagten Anbieter nie passiert ist, dann wäre die Verfahrensaussetzung nichts weiter als prozessuale Förmelei, die am Ende nicht wirklich entscheidungserheblich ist. Hält man sich das vor Augen, dann macht eine Verfahrensaussetzung nur wenig bis gar keinen Sinn.


Sollten Sie Rückfragen zu diesem oder einem anderen Sachverhalt haben, können Sie mich gern kontaktieren. Sie erreichen mich idealerweise über das Kontaktformular oder per Email.


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