Opferrechte: Einstellung unter Verweisung auf den Privatklageweg – was jetzt?

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Sie haben vor einigen Monaten Anzeige bei der Polizei erstattet, da Sie Opfer einer Straftat wurden. Ihre Vorstellung war, dass die Staatsanwaltschaft demnächst Anklage gegen den Täter erhebt, sie vor Gericht aussagen können und der Täter schließlich seine "gerechte Strafe" erhält. Stattdessen halten Sie nun einen Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft in den Händen. Dieser teilt Ihnen in einem Zweizeiler mit, dass das Verfahren gegen den Beschuldigten mangels öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung eingestellt wurde. Zusätzlich lässt man Sie wissen, dass Ihnen der Privatklageweg offenstehe.

Als Anzeigeerstatter bzw. Opfer sind Sie in dieser Situation regelmäßig erst einmal erstaunt und verwundert, und fragen sich: Was ist passiert? Ist das legitim? Kann ich dagegen etwas unternehmen? Und was ist eigentlich dieser „Privatklageweg“, von dem hier die Rede ist?


Was ist passiert?

Grundsätzlich sind Polizei und Staatsanwaltschaft dazu verpflichtet, jede begangene Straftat zu untersuchen und zu verfolgen (Legalitätsprinzip). Die strikte Einhaltung dieses Prinzips auch bei "Bagatellstraftaten" würde jedoch zu einer (ohnehin bereits bestehenden) Überlastung der Justiz führen. Daher gibt es in der Strafprozessordnung (StPO) Ausnahmen vom Legalitätsprinzip. Eine solche Ausnahme ist die "Einstellung unter Verweisung auf den Privatklageweg". Bei sogenannten "Privatklagedelikten" hat die Staatsanwaltschaft nur dann Anklage zu erheben, wenn ein "öffentliches Interesse" an der Strafverfolgung besteht (§ 376 StPO). Fehlt dieses öffentliche Interesse, wird das Verfahren eingestellt und der Geschädigte wird auf den Privatklageweg verwiesen.


Bei welchen Straftaten handelt es sich um Privatklagedelikte?

Die Privatklagedelikte sind im Gesetz abschließend aufgeführt (§ 374 StPO). Dazu gehören unter anderem:

  • Hausfriedensbruch
  • Beleidigung
  • Einfache oder fahrlässige Körperverletzung
  • Nötigung
  • Bedrohung
  • Sachbeschädigung


Wann ist ein "öffentliches Interesse" an der Strafverfolgung anzunehmen?

Damit ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung angenommen werden kann, muss „der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört sein und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit darstellen“. Mit dieser Floskel ist erst einmal nur wenig Erkenntnis gewonnen. Weiter hilft allerdings Ziff. 86 RiStBV (Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren), die den Begriff des „öffentlichen Interesses“ näher konkretisiert. Danach kann sich ein öffentliches Verfolgungsinteresse insbesondere ergeben aus:

  • Ausmaß der Rechtsverletzung
  • Rohheit oder Gefährlichkeit der Tat
  • Rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründe des Beschuldigten
  • Besondere Schutzbedürftigkeit des Verletzten
  • Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben oder
  • Relevante Voreintragungen des Beschuldigten in einem inländischen oder ausländischen Strafregister

Zur Verdeutlichung ein Beispiel und ein Gegenbeispiel.

Öffentliches Interesse ja:

Ein prominenter Fernsehsatiriker nennt ein ausländisches Staatsoberhaupt im Rahmen eines satirischen Beitrags "Ziegenficker" und löst damit eine weitreichende öffentliche Debatte über die Grenzen der Meinungsfreiheit sowie eine handfeste diplomatische Krise aus.

Öffentliches Interesse nein:

Nachbar A, verärgert über Nachbar B, weil dieser trotz mehrerer Erinnerungen durch A noch immer keine Anstalten macht, seine verwilderte, überhängende Hecke zurückzuschneiden, ruft dem B über den Gartenzaun zu: "Deine Dummheit wird nur noch von der Hässlichkeit deines Gartens übertroffen".


Kann ich mich gegen die Einstellung wehren und eine Anklage der Staatsanwaltschaft erzwingen?

Die Möglichkeiten gegen eine Einstellung vorzugehen, die auf einer Ablehnung des öffentlichen Interesses beruht, sind sehr eingeschränkt. Gegen eine solchermaßen begründete Verfahrenseinstellung kann der Anzeigende lediglich Gegenvorstellungen und Dienstaufsichtsbeschwerde erheben. Die Beschwerde an die Generalstaatsanwaltschaft (“Vorschaltbeschwerde”) und das sogenannte Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO) – normalerweise Mittel der Wahl, um als Geschädigter gegen eine Einstellung vorzugehen – sind dagegen von vornherein unstatthaft (§ 172 Abs. 2 StPO).


Wie funktioniert das Privatklageverfahren?

Im Privatklageverfahren übernimmt der Geschädigte selbst die Strafverfolgung, anstelle der Staatsanwaltschaft. Dies bedeutet, dass der Geschädigte eine Anklageschrift einreichen muss, in der auch die Beweismittel zu benennen sind, mittels derer die Schuld des Angeklagten nachgewiesen werden soll. Wenn das Gericht die Anklage zulässt, kommt es zu einem Hauptverfahren, in dem der Privatkläger die Anklage selbst vertritt. Natürlich kann der Privatkläger dabei auch einen Anwalt hinzuziehen. Bei bestimmten Privatklagedelikten wie Hausfriedensbruch, Beleidigung, Verletzung des Briefgeheimnisses, Körperverletzung, Bedrohung und Sachbeschädigung muss zuvor erfolglos ein Sühneverfahren vor einer Schiedsperson durchgeführt worden sein, bevor die Klage eingereicht werden kann. Mit einer erfolgreichen Privatklage kann der Geschädigte eine Bestrafung des Täters erwirken. Zudem können im Privatklageverfahren, ähnlich wie im regulären Strafverfahren, zivilrechtliche Ansprüche wie Schmerzensgeld und Schadenersatz geltend gemacht werden.


Ist es ratsam, den Privatklageweg zu beschreiten?

Meiner Ansicht nach gibt es auf diese Frage nur eine ehrliche und richtige Antwort: Nein. Aus Sicht der meisten Strafrichter dürfte eine Privatklage, die auf ihrem Schreibtisch landet, ziemlich sicher zu den unerfreulichsten und lästigsten Erscheinungen gehören, mit denen sie in ihrem Berufsalltag konfrontiert werden können. Anders ausgedrückt: Mit einer Privatklage kämpfen Sie gegen Windmühlen. Wenn das Verfahren aufgrund mangelnden öffentlichen Interesses eingestellt wurde und diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft nicht offensichtlich willkürlich war, ist es nahezu immer ratsam, die Angelegenheit auf der strafrechtlichen Schiene endgültig auf sich beruhen zu lassen. Je nach Lage des Falles kann ein zivilrechtliches Vorgehen eine ernstzunehmende Option sein.


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