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Patientin muss Zusatzleistungen auch ohne Unterschrift bezahlen

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anwalt.de-Redaktion

Es ist eines der hartnäckigsten juristischen Ammenmärchen, dass Verträge nur rechtsgültig sind, wenn sie unterschrieben wurden. Dieser Irrglaube verdreht die Regel mit der Ausnahme, denn im deutschen Vertragsrecht können Verträge grundsätzlich formfrei geschlossen werden. Nur in Ausnahmefällen ist von Gesetzes wegen für einen wirksamen Vertrag die Schriftform und damit eine eigenhändige Unterschrift erforderlich. Zu diesen Ausnahmen kann der Behandlungsvertrag zwischen Zahnarzt und Patient gehören. Ob es von dieser Ausnahme wiederum eine Ausnahme geben kann, mit der Folge, dass Patienten trotz fehlender Unterschrift zur Zahlung verpflichtet sind, musste der Bundesgerichtshof (BGH) klären. 

Teure Zahnprothese ohne unterschriebenen Vertrag 

In dem vorliegenden Fall benötigte eine Patientin eine Zahnprothese. Ihre Zahnärztin beriet sie über die verschiedenen Behandlungsalternativen und gab ihr schließlich zwei Heil- und Kostenpläne sowie den Behandlungsvertrag mit nach Hause. Während der eine Heil- und Kostenplan lediglich die medizinisch notwendigen Leistungen ohne erforderlichen Eigenanteil enthielt, enthielt der andere Plan die von der Patientin zusätzlich gewünschten ästhetischen Behandlungen. Die zweite Behandlungsmöglichkeit wird nicht vollständig von der Krankenkasse übernommen, sodass der Plan einen voraussichtlichen Eigenanteil von etwa 7.000 Euro auswies. 

Die Patientin reichte den teureren Heil- und Kostenplan bei der Krankenkasse ein. Nachdem diese ihn genehmigt hatte, brachte sie ihn zusammen mit dem Behandlungsvertrag zurück in die Zahnarztpraxis und wurde dementsprechend behandelt. Jedoch hatte die Patientin den Behandlungsvertrag nicht unterschrieben, was die Zahnarzthelferin nicht bemerkte. Am Ende belief sich der zu zahlende Eigenanteil auf 4.000 Euro. Die Patientin weigerte sich aber den Betrag zu zahlen. Ihre Weigerung begründete sie damit, dass sie den Vertrag nicht unterschrieben hatte und die Zahnärztin diesen Formmangel grob fahrlässig nicht bemerkt hätte. Da somit kein Vertrag zustande gekommen war, bestünde kein vertraglicher Zahlungsanspruch der Zahnärztin. 

Schriftform bei zahnärztlichen Leistungen

Auch wenn es aus beweistechnischer Sicht besser ist, Verträge schriftlich zu schließen, können die meisten Verträge nach dem deutschen Vertragsrecht formfrei geschlossen werden. Dieser Grundsatz gilt auch beim Behandlungsvertrag, der die Rechtsgrundlage für die Behandlung von Patienten darstellt. Von diesem Grundsatz macht die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) aber eine Ausnahme, denn nach ihr müssen von ihr abweichende Zahnarztleistungen schriftlich vereinbart werden. Die über das medizinisch notwendige Maß hinausgehenden Behandlungen der Patientin im vorliegenden Fall stellen eine derartige abweichende Vereinbarung dar. Deshalb hätte der Behandlungsvertrag zwischen der Zahnärztin und der Patientin schriftlich geschlossen werden müssen. Dabei legt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) fest, dass die Schriftform nur bei eigenhändiger Unterschrift gewahrt ist. Da diese im vorliegenden Fall fehlt, ist der Behandlungsvertrag wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Formvorschrift unwirksam.

Patientin kann sich bei umfassender Aufklärung nicht auf Formmangel berufen

Nach der Entscheidung des BGH darf sich die Patientin aber nicht auf diesen Formmangel berufen, da dieser Einwand in ihrem Fall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Als Treu und Glaube bezeichnen die Juristen einen Rechtsgedanken aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), der vorschreibt, dass jede Person in der Ausübung ihrer Rechte und der Erfüllung ihrer Pflichten auf die berechtigten Interessen der anderen Seite Rücksicht nehmen muss. Mit diesem Rechtsinstitut soll das Vertrauen der Vertragsparteien geschützt werden und ein Weg eröffnet werden schlechthin untragbare Ergebnisse zu korrigieren. Die Formunwirksamkeit dieses konkreten Behandlungsvertrages wegen der fehlenden Unterschrift wäre nach Ansicht der BGH-Richter ein solch untragbares Ergebnis.

Sinn und Zweck der besonderen Anforderungen der GOZ ist es, Patienten vor übereilten Bindungen zu schützen und sicherzustellen, dass sie vor Abschluss des Behandlungsvertrages umfassend über die zu erwartenden Kosten und Maßnahmen informiert sind. Deshalb müssen Zahnärzte ihren Patienten einen detaillierten Heil- und Kostenplan erstellen und einen Behandlungsvertrag unterschreiben lassen. In ihrer Entscheidung stellten die Richter zwar ausdrücklich klar, dass Formvorschriften im Interesse der Rechtssicherheit nicht aus bloßen Billigkeitserwägungen außer Acht gelassen werden dürfen, jedoch war die Patientin im vorliegenden Fall vor ihrer Entscheidung vollständig über die geplanten Leistungen und die voraussichtlich entstehenden Kosten informiert. Sie entschied sich ganz bewusst für die teurere Variante, da sie nur diesen Kostenplan ihrer Krankenkasse und der Zahnarztpraxis vorlegte. Erst nachdem sie alle Vorteile aus der zahnärztlichen Versorgung nach diesem Heil- und Kostenplan in Anspruch genommen hatte, berief sie sich auf die Unwirksamkeit des Vertrages wegen ihrer fehlenden Unterschrift. Dieses Verhalten der Patientin war in höchstem Maße widersprüchlich und treuwidrig. Da sie genau wusste, welche Maßnahmen zu welchen Kosten durchgeführt werden würden, darf sie sich nach Abschluss der Behandlung nicht darauf berufen, einen nicht unterschriebenen Vertrag vorgelegt zu haben. 

Büroversehen nicht automatisch eine grob fahrlässige Unkenntnis

Auch den Einwand der Patientin, dass die Zahnarztpraxis den Formmangel hätte kennen müssen, ließ das oberste Zivilgericht nicht gelten. Die grobe Fahrlässigkeit ist eine besonders schwerwiegende Form der Fahrlässigkeit, die nur dann vorliegt, wenn besonders schwer und unentschuldbar gegen die Anforderungen der gewöhnlichen Sorgfalt verstoßen wird. Voraussetzung für eine grob fahrlässige Unkenntnis ist deshalb, dass in ungewöhnlich hohem Maß gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen worden ist, sodass der Verstoß jedem einleuchtet. Diese Grenzen werden aber bei einem einfachen Büroversehen nicht überschritten. Die Zahnärztin muss sich deshalb nicht vorwerfen lassen, die Behandlung durchgeführt zu haben, obwohl sie hätte wissen müssen, dass der Behandlungsvertrag unwirksam ist. 

Im Ergebnis war der geschlossene Vertrag damit zwar wegen Formmangels unwirksam, die Patientin durfte sich aber aus den Gründen von Treu und Glauben nicht darauf berufen. Die Zahnärztin hat deshalb zu Recht die Zahlung der Eigenbeteiligung gefordert. 

Fazit

Entscheidet sich eine Patientin also nach einer umfassenden Beratung für eine Behandlung, kann sie die Zahlung des Eigenanteils nicht verweigern. Selbst dann, wenn der Behandlungsvertrag nicht unterschrieben ist, besteht ein Zahlungsanspruch des Zahnarztes, denn man kann sich nicht für eine teurere Behandlung entscheiden, das Vertragsformular nicht unterzeichnen, sich aber behandeln lassen und sich nach erfolgter Behandlung auf einen unwirksamen Vertrag berufen. 

(BGH, Urteil v. 03.11.2016, AZ.: III ZR 286/15)

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