Persönlichkeitsrecht: zulässige identifizierende Verdachtsberichterstattung

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Persönlichkeitsrecht: Voraussetzungen einer zulässigen identifizierenden Verdachtsberichterstattung


Der Botschafter der Republik Armenien klagt erfolgreich gegen SPIEGEL und MDR (BGH, Urteil vom 20.06.2023, VI ZR 262/21).


Der Kläger nahm die Beklagten auf Unterlassung von Wortberichterstattungen in Anspruch. Jeweils am 02.11.2018 erschienen auf den Websites der Beklagten Artikel im Zusammenhang mit der armenischen Mafia.


Hintergrund der Berichterstattungen


Nachdem es im Jahr 2014 zu einer Schießerei vor einer Spielothek gekommen ist, setzte das Bundeskriminalamt (BKA) gemeinsam mit mehreren Landeskriminalämtern eine Projektgruppe namens FATIL ("Fight against Thieves in Law", also "Kampf gegen 'Diebe im Gesetz'") ein. Im Fokus der Ermittlungen standen armenische Gruppen der organisierten Kriminalität.


"Diebe im Gesetz" sind Führungspersonen innerhalb mafiöser Strukturen. Zwar sind sie nicht an der unmittelbaren Ausführung von Aktivitäten beteiligt, sie haben allerdings maßgeblichen Einfluss innerhalb der Organisation.


Im Sommer 2018 wurde das Projekt FATIL beendet. Im März 2018 übersandte das BKA an einige Landeskriminalämter ein Schreiben, dass Informationen zum Botschafter der Republik Armenien zum Inhalt hatte. Informationen, die im Jahr 2015 aus dem Anlass der Entsendung des Klägers als Botschafter über diesen gesammelt wurden. Dabei wird der Inhalt eines dem BKA durch den Bundesnachrichtendienst (BND) im Jahr 2008 zur Verfügung gestellten, nur für den Dienstgebrauch bestimmten Behördengutachtens wiedergegeben und bewertet. Eine Stellungnahme des BKA zu einem Gespräch des Klägers mit Vertretern des Bundesinnenministeriums ist ebenfalls Bestandteil dieses Schreibens.


Berichterstattung SPIEGEL & MDR


In beiden Artikeln wird über die Ermittlungskommission FATIL und deren Ergebnis sowie unter namentlicher Nennung über den Kläger berichtet, der zum Zeitpunkt des Rechtsstreits Botschafter der Republik Armenien in Deutschland war.


Es wird darüber gemutmaßt, dass die Verzahnung zwischen Kriminalität und Politik in Deutschland möglicherweise bis in diplomatische Kreise reiche.


 „Der derzeitige Botschafter der Republik Armenien stand bereits vor zehn Jahren in Verdacht, in internationale Schleuseraktivitäten   verwickelt gewesen zu sein.“ [...] 


„Allerdings zog der Diplomat immer wieder das Interesse von Behörden auf sich, weil er offenbar häufiger Bargeld bei einer       deutschen Bank einzahlte. 2005 ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft erstmals wegen des Verdachts der Geldwäsche gegen den Kläger. Damals soll der damalige Botschaftsangehörige laut der BKA-Dokumente den Behörden mitgeteilt haben, die zahlreichen Auslandsüberweisungen und Gutschriften         gehörten zur 'gängigen Praxis' der armenischen Botschaft. Die Ermittlungen wurden eingestellt." (SPIEGEL)


Unter dem Artikel des MDR gab es eine Verlinkung zu dem Video-Beitrag "Armenische Mafia auch in Deutschland aktiv". Hierbei handelte es sich um einen Ausschnitt aus dem "MDR Thüringen Journal", in welchem inklusive Namensnennung ab Minute 1:42 über den Kläger berichtet wurde.


Schutzinteresse des Klägers überwiegt


Nachdem das Landgericht Berlin die Beklagten zunächst auf Unterlassung der Veröffentlichung der streitgegenständlichen Passagen verurteilt hatte, wurde das Urteil durch die eingelegte Berufung der Beklagten durch das Kammergericht leicht abgeändert. Schlussendlich hatte die dagegen eingelegte Revision des Klägers jedoch Erfolg.


Der BGH hat seine bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung verfeinert


Leitsatz des Bundesgerichtshof:


"Für eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist jedenfalls ein  Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst "Öffentlichkeitswert" verleihen, erforderlich. 


Die Darstellung darf ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt.


Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit       gerechtfertigt ist."



  • Mindestbestand an Beweistatsachen
  • keine Vorverurteilung
  • vorige Stellungnahme Betroffener (grundsätzlich)
  • Informationsbedürfnis Allgemeinheit


Der BGH stützt sich bei seiner Entscheidung auch auf die Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, in denen es heißt "Die Würde des Menschen ist unantastbar [...]" und "Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt."


Sorgfaltspflicht & Wahrheitsgehalt


Bevor Behauptungen verbreitet werden, ist der Wahrheitsgehalt sorgfältig zu recherchieren. Die Pflichten einer fundierten Recherche im Hinblick auf den  Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten, weshalb die Medien grundsätzlich strengeren Anforderungen unterliegen als Privatleute.


Nach Auffassung des BGH sind die Beklagten ihrer publizistischen Sorgfaltspflicht nicht ausreichend nachgekommen.


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Rechtsanwalt David Werner Vieira ist u. a. auf Medienrecht spezialisiert.


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