Pflichtverteidigung – habe ich das Recht auf einen Pflichtverteidiger meiner Wahl?

  • 4 Minuten Lesezeit

Wer vom Gericht dazu aufgefordert wird, einen Pflichtverteidiger zu benennen, sollte von diesem Auswahlrecht unbedingt Gebrauch machen und sich an einen Strafverteidiger seines Vertrauens wenden. Denn das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant ist entscheidend für eine erfolgreiche Verteidigung. Doch hat man als Beschuldigter das Recht, den Verteidiger seiner Wahl auch tatsächlich als Pflichtverteidiger beigeordnet zu bekommen?

Was ist ein Pflichtverteidiger?

Nicht in jedem Strafverfahren kommt ein sogenannter Pflichtverteidiger zum Einsatz. Vielmehr muss ein Pflichtverteidiger nur in ganz bestimmten Fällen vom Gericht beigeordnet werden. Man spricht in diesen Fällen von einer notwendigen Verteidigung. Die notwendige Verteidigung ist in § 140 StPO geregelt und liegt zum Beispiel vor, wenn

  • die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
  • dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
  • gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft vollstreckt wird;
  • oder wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.

Liegt einer dieser Fälle vor, muss das Gericht dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger bestellen. Hat der Beschuldigte bereits einen Verteidiger, durch den das Verfahren gesichert ist, ist die Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers nicht notwendig. Der Wahlverteidiger kann sich aber aus Kostengründen als Pflichtverteidiger beiordnen lassen, etwa wenn der Beschuldigte kein Geld hat, den Verteidiger zu bezahlen.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers in der Praxis

Hat der Beschuldigte keinen Verteidiger, wird er vom Gericht dazu aufgefordert, innerhalb einer Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen. Die Frist ist in der Praxis zwischen ein und zwei Wochen lang. Macht der Beschuldigte innerhalb der gesetzten Frist nicht von seinem Auswahlrecht Gebrauch und benennt einen Verteidiger seines Vertrauens, wird ihm vom Gericht ein Verteidiger beigeordnet. Das Gericht bedient sich oftmals Verteidigern, mit denen es gerne zusammenarbeitet, weil sie den Prozess nicht stören oder aufhalten. Verteidiger, die sich durch Beweisanträge und andere prozessualen Mittel für ihre Mandanten einsetzen, werden dementsprechend selten beigeordnet. Selbstverständlich gibt es aber auch Gerichte, die etwa die Liste von lokalen Strafverteidigervereinigungen durchgehen oder aus ihren zahlreichen Visitenkarten eine zufällige Auswahl treffen.

Die Benennung eines Verteidigers

Trifft der Beschuldigte hingegen eine Auswahl und benennt einen Verteidiger, so wird ihm dieser in aller Regel beigeordnet werden. Einen Rechtsanspruch auf die Beiordnung des benannten Verteidigers hat der Beschuldigte zwar nicht. Weil das Vertrauensverhältnis zwischen dem Verteidiger und dem Beschuldigten aber eine wesentliche Voraussetzung für eine sachdienliche Verteidigung ist, darf die Beiordnung des benannten Verteidigers nur in strengen Ausnahmefällen abgelehnt werden.

Ablehnung des benannten Verteidigers nur in Ausnahmefällen

Ein Grund für die ausnahmsweise Ablehnung eines benannten Verteidigers ist das Beschleunigungsgebot. Dies greift insbesondere dann ein, wenn es sich um eine Haftsache handelt und einer oder mehrere Beschuldigte sich in Untersuchungshaft befinden. Ist der gewählte Verteidiger dann über einen längeren Zeitraum verhindert an Terminen teilzunehmen, kann seine Beiordnung als Pflichtverteidiger abgelehnt werden.

Darüber hinaus kann das Gericht einen vom Beschuldigten benannten Verteidiger aus wichtigem Grund nicht als Pflichtverteidiger bestellen. Ein wichtiger Grund liegt etwa vor, wenn das Verbot der Mehrfachverteidigung eingreift oder sonstige Interessenskonflikte vorliegen.

Die Beiordnung eines benannten Verteidigers kann hingegen nicht abgelehnt werden, weil es sich bei dem Verteidiger nicht um einen ortsansässigen Verteidiger handelt. Diese Rechtsprechung wurde aufgegeben, weil nicht die Ortsnähe, sondern das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Mandant entscheidend für eine sachgerechte Verteidigung ist.

Aktuelle Entscheidung des Landgerichts Dessau-Roßlau zur fehlerhaften Ablehnung eines Verteidigers

In einer aktuellen Entscheidung hat sich das Landgericht Dessau-Roßlau (Beschluss vom 7. März 2019 – 6 Qs 294 Js 7232/18) mit den Gründen einer ausnahmsweisen Ablehnung des benannten Verteidigers beschäftigt. Hintergrund war, dass das Amtsgericht dem Angeklagten die Beiordnung des von ihm benannten Verteidigers versagt und einen anderen Verteidiger beigeordnet hatte. Der Angeklagte war hiergegen mit der Beschwerde vorgegangen.

Das Amtsgericht hatte die Beiordnung des benannten Verteidigers mit der Begründung abgelehnt, dass der Verteidiger aus dem 150 km entfernten Braunschweig kam und die Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts nur in Betracht komme, wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis dargelegt worden sei. Darüber hinaus stufte das Amtsgericht das Verfahren als eilbedürftig ein. Es wollte Termine schon im Februar bis April anberaumen, der Verteidiger konnte hingegen erst im Juli freie Termine anbieten.

Dennoch ordnete das Landgericht dem Angeklagten schließlich den von ihm benannten Verteidiger bei und hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf. Der Verweis des Amtsgerichts auf das Beschleunigungsgebot griff insofern nicht durch, als dass sich der Angeklagte nicht in Haft befand. Außerdem sah das Landgericht es im Einklang mit der heutigen Rechtsprechung nicht als Schwierigkeit an, dass der Verteidiger nichts ortsnah war, zumal es sich lediglich um eine Entfernung von 150 Kilometern handelte.

Fazit

Von seinem Auswahlrecht sollte man als Beschuldigter immer Gebrauch machen. Denn wie diese Entscheidung zeigt, dürfen Gerichte den vom Beschuldigten benannten Verteidiger nur in absoluten Ausnahmefällen ablehnen. Man sollte sich bei der Verteidigerauswahl auch nicht nur auf Anwälte in der Gegend einschränken. Denn insbesondere in dörflichen Gegenden gibt es mehr Generalisten als Spezialisten, die sich nicht auf ein bestimmtes Rechtsgebiet festgelegt haben. Für Strafverfahren ist es aber unumgänglich, einen auf das Strafrecht spezialisierten Anwalt an seiner Seite zu haben. Denn im Strafrecht geht es oft um alles.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Steffen Dietrich

Beiträge zum Thema