Pflichtverteidigung

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Die sogenannte "notwendige Verteidigung" ist in den §§ 140 ff. StP0 umfassend geregelt, im Jugendstrafrecht gilt § 68 JGG. § 140 Abs.1 führt aktuell 11 Regelbeispiele auf, in denen ein Verteidiger notwendig ist, zB. wenn die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht beziehungsweise höheren Gerichten stattfindet, wenn dem Beschuldigten eine Tat zur Last gelegt wird, die mit einer Mindeststrafe von einem Jahr bedroht oder bei einer Inhaftierung. Außerdem kann eine notwendige Verteidigung vorliegen, wenn die Sach- oder Rechtslage schwierig ist, zB. bei Aussage gegen Aussage oder wenn ein sogenanntes Beweisverwertungsverbot in Betracht kommt, § 140 Abs.2 StP0.

Die breite Öffentlichkeit versteht unter Pflichtverteidigern Anwälte, die vom Gericht dem Beschuldigten beigeordnet werden, weil dieser erklärt, er kenne keinen Verteidiger oder habe kein Geld, ihn zu bezahlen. Bei diesen Konstellationen ist Willkür in der Tat Tür und Tor geöffnet. Seit dem 13.12.2019 ist das Recht der Pflichtverteidigung neu geregelt. Im Vorfeld war geplant, dass die Rechtsanwaltskammern Listen erstellen, aus denen die beizuordnenden Pflichtverteidiger ausgewählt werden, dies ist leider nicht Gesetz geworden. So kommt es in der Praxis vor, dass Richter Pflichtverteidiger bestellen, von denen sie wissen, dass diese Ihnen keine Probleme bereiten. Mir sind Fälle bekannt, in denen Beschuldigte, die des Mordes angeklagt waren, Fachanwälte für Erbrecht oder Mietrecht beigeordnet wurden. Junge Anwälte sind auf die Einnahmen aus Pflichtverteidigungen zuweilen angewiesen, enttäuschen sie die "Erwartungshaltung" des Richters, der sie beigeordnet hat, fallen diese Einnahmen zukünftig weg.  Wer sich als Pflichtverteidiger zum Verurteilungsgehilfen degradieren lässt, verrät die Interessen des Mandanten. Aber Gottseidank gibt es nach wie vor engagierte Kolleginnen und Kollegen, die sich von der "Drohung", es werde nach der Strafprozeßordnung verhandelt, nicht unter Druck setzen lassen, die gut vorbereitet sind, die Beweisanträge stellen, die es "wagen", Anordnungen des Vorsitzenden zu beanstanden, soweit dies notwendig ist, und auf Beschlußfassung nach § 238 StP0 bestehen. Wer einen bequemen "deal" bevorzugt, ist allerdings bei vielen Richtern besonders beliebt und wird viel häufiger beigeordnet, als die Unbequemen, die den Konflikt und die damit verbundene Arbeit selbst dann nicht scheuen, wenn das Honorar den Aufwand kaum kompensiert.

Als Pflichtverteidiger tätig werden kann man selbstverständlich auch, ohne sich bei Gericht/Staatsanwaltschaft anbiedern zu müssen. Wer einen Beschuldigten vertritt, dem eine Tat vorgeworfen wird, die sich im Katalog des § 140 StP0, ist zwar (zunächst) Wahlverteidiger und kann dann aber - unter Niederlegung des Wahlmandats - die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragen. Bei Mandatsübernahme ist der Beschuldigte natürlich darüber zu belehren, dass er im Falle einer Verurteilung der Staatskasse die Gebühren zu erstatten hat, die diese dem Verteidiger zahlen muss. Der Pflichtverteidiger hat gegenüber dem Mandanten übrigens keinen Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses, kann aber verlangen, dass der Mandant die Differenz zwischen den Pflichtverteidigergebühren und den Wahlanwaltsgebühren zahlt. Für jeden Beschuldigten der wichtige Rat: Werden Sie festgenommen und gefragt, ob Ihnen ein Verteidiger beigeordnet werden soll : Bestehen Sie darauf, dass nur ein Verteidiger beigeordnet wird, dem Sie vertrauen. Kennen Sie keinen Verteidiger, lassen Sie es nicht zu, dass Ihnen irgendein Rechtsanwalt an die Seite gestellt wird, sondern machen es zur Bedingung Ihres Einverständnis, dass dieser Fachanwalt für Strafrecht ist. Fachanwalt für Strafrecht wird nämlich nur, wer über erstes und zweites Staatsexamen hinaus eine gesetzlich festgelegte Mindestzahl von bearbeiteten Fällen und absolvierten Hauptverhandlungstagen sowie zusätzlich einen 120-stündigen Fortbildungskurs nachweisen kann.






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