Rechtsmissbrauch bei Entschädigungsansprüchen wegen nicht erfolgter Einladung

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Rechtsmissbrauch bei Entschädigungsansprüchen wegen nicht erfolgter Einladung zum Vorstellungsgespräch

Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung.

Ist der Bewerber nicht offensichtlich fachlich ungeeignet, kann ein Anspruch nicht allein wegen Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen werden, weil der Bewerber eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung aus Gründen einer Behinderung, insbesondere wegen der unterbliebenen Einladung zum Vorstellungsgespräch. Die beklagte Gemeinde schrieb im April 2018 die Stelle eines/einer Betriebsleiter/in für ein Projekt aus. Neben zwingenden Voraussetzungen wurden im Anforderungsprofil weitere wünschenswerte Kenntnisse oder Fähigkeiten genannt.

Auf diese Stelle bewarb sich der Kläger mit dem per E-Mail übersandten Schreiben vom 26.04.2018, das mit Anlagen insgesamt 53 Seiten umfasste. Unter den Anlagen befand sich ein eingescannter Gleichstellungsbescheid der Agentur für Arbeit, aus dem sich ein GdB von 30 ergibt. Mit Schreiben vom 30.05.2018 teilte das Amt dem Kläger mit, eine andere Person für die Stelle ausgewählt zu haben. Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhielt der Kläger nicht.

Daraufhin forderte der Kläger mit Schreiben vom 23.07.2018 eine Entschädigung in Höhe von 6 Bruttomonatsgehältern, weil die Beklagte ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. 

Die Beklagte meint, der Kläger erfülle offensichtlich nicht die Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle, der Hinweis auf die Schwerbehinderung sei in den Anlagen „versteckt“ gewesen und der Kläger habe sich nur zum Schein beworben. Die Vielzahl erfolgloser Bewerbungen und das Führen mehrerer Entschädigungsprozesse spreche im Übrigen für einen Rechtsmissbrauch. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von einer Bruttomonatsvergütung verurteilt. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Entscheidungsanalyse

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG auf Zahlung einer Entschädigung, da er wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde. Die Verletzung der in § 165 Satz 3 SGB IX geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung.

Diese Pflichtverletzung ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein (BAG, Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15).

Eine Einladung ist allerdings entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 165 Satz 4 SGB IX). „Offensichtlich“ fachlich nicht geeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung genügen nicht. Schwerbehinderte Bewerber/innen müssen auch dann zwingend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, wenn die Sichtung der Bewerbungsunterlagen ergibt, dass andere Bewerber deutlich besser geeignet sind (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.08.2017 – 3 Sa 479/16).

Hier hat das LAG Mecklenburg-Vorpommern festgestellt, dass der Kläger nicht offensichtlich ungeeignet für die ausgeschriebene Tätigkeit ist. Die Beklagte hat die sich aus der Verletzung des § 165 Satz 3 SGB IX ergebende Kausalitätsvermutung auch nicht widerlegt. Der Anspruch des Klägers ist auch nicht wegen Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.

Dies wäre der Fall, wenn der Kläger sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihm darum gegangen ist, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, eine Entschädigung geltend zu machen. Auf Rechtsmissbrauch kann aber nicht bereits deshalb geschlossen werden, weil eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat oder führt (BAG, Urteil vom 26.01.2017 – 8 AZR 848/13).

Zwar bewarb sich der Kläger in diesem Fall bundesweit auf eine Vielzahl von Stellenanzeigen, zum Teil sagte er Vorstellungstermine ab oder zog Bewerbungen zurück, nachdem er eine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten hatte. Das allein ist aber kein Anzeichen für eine mangelnde Bereitschaft, eine Stelle im Falle einer Zusage anzutreten, so das LAG Mecklenburg-Vorpommern.

Praxishinweis

Die Entfernung zwischen dem Wohnort und dem potenziellen neuen Arbeitsplatz (hier: 530 km) steht einer Ernsthaftigkeit der Bewerbung ebenfalls nicht entgegen. Ein Arbeitsplatzwechsel verlangt häufig eine gewisse örtliche Mobilität, die zahlreiche Beschäftigte im eigenen, oft finanziellen Interesse hinnehmen und hinnehmen müssen. Eine Verlagerung des Lebensmittelpunktes durch Umzug an den neuen Arbeitsort muss damit nicht zwangsläufig verbunden sein. Ebenso ist es möglich, zum auswärtigen Arbeitsort zu pendeln und den Wohnort nur am Wochenende aufzusuchen.

Weshalb der Kläger hierzu nicht bereit gewesen sein sollte, hat die Beklagte nicht dargelegt.

Wenn Sie Fragen zum Rechtsmissbrauch bei Entschädigungsansprüchen wegen nicht erfolgter Einladung zum Vorstellungsgespräch haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.


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