Rückstellung für ungewisse oder streitige Verbindlichkeiten bei der Prüfung der Überschuldung

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von Felix Tittel


Aufgabe der Geschäftsführung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist u.a. die Überwachung der Liquidität (Zahlungsfähigkeit) und der Vermögenssituation (Überschuldung).


Erheblich Probleme bereitet dabei regelmäßig der Umgang mit ungewissen oder streitigen Verbindlichkeiten. Dabei spielt die Frage des Rechts bzw. der Pflicht zur Bildung von Rückstellungen für solche Verbindlichkeiten sowohl auf der Ebene der Handelsbilanz, der Steuerbilanz als auch der für die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung maßgeblichen materiellen Bilanz (= Überschuldungsbilanz) eine Rolle.


Die Ansätze der Steuer- und der Handelsbilanz ermöglichen dabei eine zutreffende Beurteilung der Vermögenslage der Gesellschaft nur mit Einschränkungen. Allerdings hat ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag in der Handelsbilanz indizielle Wirkung hinsichtlich des Vorliegens einer insolvenzrechtlichen bzw. materiellen Überschuldung. Der Geschäftsführer hat spätestens in diesem Falle zu prüfen, ob eine materielle Überschuldung im Sinne des § 19 Insolvenzordnung (InsO) vorliegt. Maßgeblich für die Bewertung der Aktiven und Passiven in der Überschuldungsbilanz sind dabei die sog „wahren Werte“.


Kritisch sind dabei vor allem zwei Fallgruppen. Die erste bilden die streit- oder prozessbefangenen Verbindlichkeiten, die zweiten die Gewährleistungsrisiken.


Hinsichtlich der ersten Gruppe besteht Einigkeit darüber, dass eine streitige Verpflichtung jedenfalls zu beachten ist, wenn das Bestehen der Forderung trotz des Bestreitens evident ist. Problematisch sind die Fälle, in denen der Geschäftsführer mit guten Gründen annimmt, dass die Verbindlichkeit nicht oder nicht so besteht. Die Meinungen über den richtigen Augenblick für eine vollständige oder teilweise Berücksichtigung der Verbindlichkeit reichen von ihrer materiell-rechtlichen Fälligkeit bis zu ihrer rechtskräftigen Feststellung.


Stellt man sich diese Fragen (wie ein Insolvenzverwalter, der Haftungsansprüche wegen Insolvenzverschleppung prüft) ex post, so ist es aufgrund eines inzwischen ergangenen rechtskräftigen Urteils oft leicht zu argumentieren, dass eine streitige Verbindlichkeit zu passivieren war.


Die Geschäftsführung steht bis zu einer solchen Entscheidung vor einem Prognosedilemma:

Passiviert sie streitige Verbindlichkeiten zu früh, droht das Risko, dass Sie trotz (ex ante) unbegründeter Verbindlichkeiten einen Insolvenzantrag stellt und so die Gesellschaft und ihre Gläubiger schädigt. Passiviert sie den Antrag zu spät, droht der Geschäftsführung die drakonische Insolvenzverschleppungshaftung gem. § 15 b InsO bzw. entsprechender Vorschriften sowie das Risiko der Strafverfolgung.


Ähnlich verhält es sich bei der Frage der Passivierung von Gewährleistungsrückstellungen:

Klar ist: Für die bis zum Tag der Bilanzaufstellung bekannt gewordenen Gewährleistungs- und Garantiefälle ist jeweils eine entsprechende Einzelrückstellung zu bilden.


Fraglich ist, ob auch Pauschalrückstellungen aufgrund von Erfahrungswerten gebildet werden müssen, auch wenn noch keine konkreten Gewährleistungsfälle von Gläubigern bekannt gemacht worden sind.


Diese Fallgruppe kennzeichnet sich handels- und steuerrechtlich dadurch, dass

  • der Kaufmann aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit der Inanspruchnahme von Garantieverpflichtungen rechnen muss, oder
  • sich aus der branchenmäßigen Erfahrung und der individuellen Gestaltung des Betriebs die Wahrscheinlichkeit ableiten lässt, Garantieleistungen erbringen zu müssen (BFH, Urteil v. 30.6.1983, IV R 41/81, BStBl. 1984 II S. 263; BFH, Urteil v. 24.3.1999, I R 20/98, BStBl. 2001 II S. 612).

Insolvenzrechtlich existiert zu dieser Frage wenig Material. Jedoch legt der insolvenzrechtlich maßgebliche Gedanke des Gläubigerschutzes hier nicht nur für ein Passivierungsrecht, sondern auch für eine Passivierungspflicht nahe.

Dies führt wiederum dazu, dass sich die Geschäftsführung insbesondere im insolvenznahen Bereich sehr sorgfältig mir Frage der Bildung von Rückstellungen befassen sollte, um die Finanzierung der Gesellschaft zu sichern bzw. die Frage der Insolvenzreife möglichst verfahrenssicher zu beurteilen.


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