Schadenersatz im Mercedes-Abgasskandal – LG Stuttgart sieht sittenwidrige Schädigung durch Thermofenster

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Schwering Rechtsanwälte hat am Landgericht Stuttgart ein Urteil erstritten, das ein Meilenstein im Mercedes Abgasskandal ist (Az.: 23 O 169/20). Das Gericht hat mit Urteil vom 16.02.2021 nicht nur bestätigt, dass ein Thermofenster bei der Abgasrückführung eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, sondern auch, dass Daimler dabei sittenwidrig gehandelt und dem Kraftfahrt-Bundesamt wichtige Informationen zur Funktionsweise des Thermofensters vorenthalten und die Behörde getäuscht hat. „Dieses Verhalten hat das Gericht als sittenwidrig eingestuft. Unser Mandant hat daher Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Das Urteil ist wegweisend für viele weitere Verfahren im Abgasskandal“, sagt Rechtsanwalt Andreas Schwering.

Der BGH hatte mit Beschluss vom 19.01.2021 festgestellt, dass die Verwendung eines Thermofensters alleine noch keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begründet. Dies können sich aber ändern, wenn weitere Merkmale einer Schädigung hinzukommen, z.B. dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wichtige Informationen vorenthalten wurden (Az.: VI ZR 433/19).

Unzulässige Abschalteinrichtungen gegenüber KBA verschwiegen

Genau das war in dem Fall vor dem Landgericht Stuttgart geschehen. Der Mandant von Schwering Rechtsanwälte hatte 2013 einen Mercedes E 250 CDI 4Matic mit dem Dieselmotor des Typs OM 651 und der Abgasnorm Euro 5 gebraucht mit einer Laufleistung von 10.000 Kilometern zum Preis von 38.880 Euro gekauft. Für das Modell liegt kein verpflichtender Rückruf des KBA vor, Mercedes bot aber im Rahmen einer freiwilligen Service-Maßnahme das Aufspielen eines Software-Updates an.

Der Kläger machte daher Schadenersatzansprüche geltend. In dem Fahrzeug kämen unzulässige Abschalteinrichtungen u.a. in Gestalt einer Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung und eines Thermofensters bei der Abgasrückführung zum Einsatz. Durch letzteres würde die Abgasrückführung bei sinkenden Außentemperaturen reduziert. Die Funktionen führten im Ergebnis dazu, dass die Stickoxid-Emissionen im realen Straßenverkehr deutlich höher seien als im Prüfzyklus. Gegenüber dem KBA seien die Funktionen im Typengenehmigungsverfahren nicht offengelegt und die Behörde getäuscht worden.

Landgericht Stuttgart gibt Klage statt

Das Landgericht Stuttgart folgte der Argumentation des Klägers. Das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung. Der Kläger sei dadurch vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden und habe Anspruch auf Schadenersatz nach § 826 BGB. Daimler habe den Vorwurf nicht widerlegen können, so das Gericht.

Die Daimler AG sei ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. Unstreitig werde die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren. Sie habe trotz Hinweises des Gerichts nicht aufgezeigt, welche konkreten Auswirkungen die Reduzierung der Abgasrückführung (AGR) auf die Stickoxid-Emissionen habe.

Grundsätzlich stehe eine unzulässige Abschalteinrichtung der Erteilung der Typengenehmigung im Wege, stellte das LG Stuttgart klar. Daimler habe zwar darauf verwiesen, dass gegenüber dem KBA im Typengenehmigungsverfahren Angaben zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster) gemacht wurden. Von der Legalisierungswirkung sei eine Abschalteinrichtung, die in den Typengenehmigungsunterlagen nicht konkret und unter Darstellung ihrer Auswirkungen auf die Emissionen beschrieben werde, nicht erfasst. Dem Beschreibungsbogen lasse sich hierzu nur die Angabe entnehmen, dass die AGR-Rate u.a. durch den Parameter „Lufttemperatur“ gesteuert werde. Daimler habe in dem Verfahren auch nicht behauptet, dass gegenüber dem KBA weitere Einzelheiten erläutert wurden, z.B. dass bei diesem Fahrzeugtyp die AGR-Rate bei Außentemperaturen unter 7 Grad reduziert werde, so das LG Stuttgart.

Auch Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung ist unzulässige Abschalteinrichtung

Außerdem stelle auch die Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung eine unzulässige Abschalteirichtung dar. Der Kläger habe hierzu hinreichend substantiiert vorgetragen. Daimler habe den Vorwurf hingegen nur pauschal und vage bestritten. Im Ergebnis entspreche die Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung einer Prüfstandserkennung. Auch das KBA stufe eine solche Funktion als unzulässige Abschalteinrichtung ein, erklärte das LG Stuttgart.

Daimlers Verhalten sittenwidrig

Das Verhalten Daimlers sei auch als sittenwidrig zu sehen, so das Gericht weiter. Dabei verkannte es nicht, dass gemäß des BGH-Beschlusses vom 19.01.2021 das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung alleine noch nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründet. Allerdings habe Daimler die Typengenehmigung für das Modell nur durch Täuschung des KBA erlangt. Die Sittenwidrigkeit ergebe sich hier aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter durch Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich dem KBA, welches ebenfalls durch die Nicht-Offenlegung der unzulässigen Abschalteinrichtungen bzw. Angabe falscher Daten im Zulassungsverfahren getäuscht wurde. Dabei habe Daimler die Schädigung der Käufer und der Umwelt in Kauf genommen. Die vorsätzliche Täuschung begründe auch den Vorwurf der Sittenwidrigkeit, fand das LG Stuttgart deutliche Worte.

Rückabwicklung des Kaufvertrags

Dem Kläger sei schon mit Abschluss des Kaufvertrags ein Schaden entstanden, da davon ausgegangen werden könne, dass er das Fahrzeug bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht gekauft hätte. Er könne daher die Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen. Gegen Rückgabe des Fahrzeugs muss Daimler den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung erstatten. Der Kläger hatte den Wagen für 38.880 Euro gekauft und ist damit rund 156.000 Kilometer gefahren. Dafür muss er sich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von knapp 21.000 Euro anrechnen lassen, so dass er noch knapp 17.900 Euro erhält.

„Nachdem die Oberlandesgerichte Köln und Naumburg Daimler bereits zu Schadenersatz im Abgasskandal verurteilt haben, sind die Chancen auf Schadenersatz durch das Urteil des Landgerichts Stuttgart noch einmal erheblich gestiegen und es können auch Ansprüche wegen der Verwendung eines Thermofensters durchgesetzt werden. Thermofenster wurden nicht nur von Daimler, sondern auch von anderen Herstellern bei zahlreichen Dieselmodellen eingesetzt“, erklärt Rechtsanwalt Schwering.

Mehr Informationen: https://www.rechtsanwaelte-schwering.de/



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