Scheinselbstständigkeit: Kostspielige Risiken für freie Mitarbeiter!

  • 3 Minuten Lesezeit

Lange Zeit fürchteten lediglich Unternehmen und Arbeitgeber die negativen Konsequenzen der Scheinselbstständigkeit. Gemeint sind Fälle, in denen Mitarbeiter einer an sich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit im Dienste des Arbeitgebers unter dem Deckmantel der freien Mitarbeit nachgehen. Denn stellt das Arbeitsgericht oder die Deutsche Rentenversicherung fest, dass ein Arbeitsverhältnis besteht, sind auch Scheinselbstständige wie Arbeitnehmer zu behandeln. Für Arbeitgeber wird es dann regelmäßig teuer: Sie müssen sowohl den Arbeitgeber- wie auch Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen!

Die deutschen Arbeitsgerichte musste sich in den letzten Jahren allerdings auch vermehrt mit einer anderen Perspektive auseinandersetzen, der wir diesen Rechtstipp gewidmet haben. Eines vorweg: Scheinselbstständigkeit kann auch für den betroffenen Mitarbeiter teuer werden, so die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 26. Juni 2019, Az.: 5 AZR 178/18)!


1. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Regress bei Scheinselbstständigkeit

Arbeitnehmer haben eine Reihe an Statusvorteilen, beispielsweise:

  • Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen
  • bezahlter Urlaubsanspruch
  • Kündigungsschutz

Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass neben der Pflicht des Arbeitgebers den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zurückzuzahlen, nunmehr auch eine Regressmöglichkeit gegen den vermeintlich freien Mitarbeiter in Betracht kommen kann. Scheinselbstständige laufen nun Gefahr erhebliche Rückerstattungen gegenüber ihrem vermeintlichen Auftraggeber leisten zu müssen.

Der ausschlaggebenden Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zu Grunde:

Der Beklagte war jahrelang bei der Klägerin als freier Mitarbeiter im IT-Bereich tätig. Vereinbart war ein Stundensatz von 60,00 Euro. Ein auf Antrag des Beklagten eingeleitetes Statusverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung ergab, dass er als Scheinselbstständiger beschäftigt wurde. Dementsprechend musste der Kläger die Sozialversicherungsbeträge nachzahlen. Damit war die Sache aus Sicht des Klägers jedoch noch nicht erledigt. Vielmehr verfolgte er mit seiner Klage beim Arbeitsgericht einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von mehr als 100.000 Euro für – aus Seiner Sicht – „überhöhte“ Honorarzahlungen. 

Der Kläger argumentierte, die auf Grundlage der freien Mitarbeit vereinbarte Vergütung gelte nun nicht mehr. Angesichts der Arbeitnehmereigenschaft bestünde für die geleistete Tätigkeit rückblickend nur ein vergleichsweise geringeres Gehalt. Arbeitnehmer erhielten nämlich für die gleiche Arbeit weitaus weniger Geld. Das diese übliche Vergütung übersteigende Honorar habe der Beklagte zu Unrecht erhalten und müsse es dem Kläger zurückzahlen.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschied, dass der Arbeitgeber die Rückzahlung der überhöhten Honorare verlangen kann, wenn – wie hier – der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlichen freien Mitarbeiters festgestellt wird.


2. Praktische Auswirkungen – Grenzenlose Regressmöglichkeiten für Arbeitgeber?

Sollte festgestellt werden, dass Mitarbeiter nicht – wie ursprünglich vereinbart – frei tätig, sondern wie Arbeitnehmer beschäftigt sind, sollten Arbeitgeber immer auch die Regressmöglichkeiten gegen den Scheinselbstständigen anwaltlich prüfen lassen.

Ähnlich wichtig ist die Unterstützung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht für den vermeintlich freien Mitarbeiter: Ungeachtet der neueren Rechtsprechung dürften die Arbeitsgerichte sich weiterhin mit Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes auseinanderzusetzen haben. Denn der Arbeitgeberregress kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Scheinselbstständige Vertrauensschutz genießt.

Aber warum wurde dem Kläger im obigen Verfahren dann der Rückforderungsanspruch zugesprochen? Hintergrund für den fehlenden Vertrauensschutz des Beklagten war hier, dass er selbst das Statusfeststellungsverfahren zur Klärung der rechtlichen Einordnung des Vertragsverhältnisses eingeleitet hatte. Auch in dem anschließenden Gerichtsverfahren hat er seinen Status als freier Mitarbeiter ausdrücklich abgestritten. Jedenfalls bei dieser Sachlage, so die Richter am BAG, musste der Beklagte damit rechnen, dass die Klägerin bei ihm Regress nimmt.


3. Fazit 

Im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt findet immer häufiger ein Rückgriff auf das Beschäftigungsmodell der freien Mitarbeit statt. Dies kann für beide Seiten sowohl Vorteile wie auch Nachteile mit sich bringen. Unbestritten ist das Phänomen der Scheinselbstständigkeit in diesem Zusammenhang das größte Risiko. Daher ist bei Durchführung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses besondere Vorsicht geboten. Denn die Entwicklungen der neueren Rechtsprechung zeigen, dass Scheinselbstständige und Unternehmen gleichermaßen finanzielle Einbußen zu befürchten haben. Nehmen Sie jederzeit gerne Kontakt zu uns auf!


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Hülya Senol

Beiträge zum Thema