Sind Reichsbürger Mörder? Ein wegweisender BGH-Beschluss zum Thema der niedrigen Beweggründe

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Am 22.03.23 kam es bei einer groß angelegten Razzia der Ermittlungsbehörden gegen die sogenannte Reichsbürgerszene zu mehreren Hausdurchsuchungen. Bei einer dieser Hausdurchsuchungen soll ein Verdächtiger die Polizeibeamten des Sondereinsatzkommandos mit einer großkalibrigen Schusswaffe erwartet haben. Im Wohnzimmer des verdächtigen kam es dann zum Schusswechsel mit der Polizei. Ein Polizist soll dabei durch eine Kugel am Arm getroffen worden sein.


Gegen den Verdächtigen wurde durch einen Richter am Bundesgerichtshof (BGH) ein Haftbefehl erlassen. Unter anderem wird ihm mehrfach versuchter Mord vorgeworfen. Aber wie kommt es eigentlich dazu, dass jemand wegen Mordes und nicht etwa wegen Totschlags strafrechtlich verfolgt wird?

Mord – der Totschlag mit dem kleinen „Etwas“


Das Verhältnis zwischen beider Straftatbestände Mord gem. § 211 StGB und Totschlag gem. § 212 StGB ist seit jeher in Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Lehre umstritten. Der BGH vertritt dabei die herrschende Meinung, dass es sich bei Mord und Totschlag um zwei voneinander unabhängige Straftatbestände handelt.


Die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Straftatbeständen liegen jedoch zunächst auf der Hand. In beiden Fällen muss der Täter einen anderen Menschen durch eine kausale Handlung vorsätzlich getötet haben.


Bei der Strafbarkeit wegen Mordes nach § 211 StGB kommen darüber hinaus weitere Umstände dazu, die eine entsprechende Strafbarkeit begründen: die sogenannten objektiven bzw. subjektiven Mordmerkmale.

Welche Mordmerkmale gibt es?


Sowohl die objektiven als auch die subjektiven Mordmerkmale sind im Gesetz abschließend in § 211 Abs. 2 StGB geregt. Eingeführt wurde der § 211 Abs. 2 StGB im Jahre 1941 durch das nationalsozialistische Regime. In dieser Form besteht der Paragraph in Bezug auf die Mordmerkmale auch bis heute fort.


Objektive Mordmerkmale knüpfen immer an die Art und Weise der Tötungshandlung, also an das „Wie“ der Tötung an. Sie haben immer mit dem äußeren Geschehen der Tat zu tun. Das Gesetz nennt im Einzelnen die heimtückische Begehung der Tat, die grausame Begehung der Tat und eine Begehung der Tat mit gemeingefährlichen Mitteln.


Die subjektiven Mordmerkmale knüpfen dagegen an die Motive des Täters an. Das Gesetz benennt auch diese Motive abschließend. In der Aufzählung finden sich die Tötung aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier, um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, oder sonst aus niedrigen Beweggründen.


Bereits die Erfüllung einer dieser objektiven oder subjektiven Merkmale reicht dabei aus, um die Strafbarkeit wegen Mordes nach § 211 StGB zu begründen. Es können aber auch mehrere gleichzeitig erfüllt sein.

Die niedrigen Beweggründe und ein weiterer, wegweisender BGH-Beschluss


Was man unter den einzelnen objektiven und subjektiven Begriffen zu verstehen hat, wird im Gesetz nicht explizit festgelegt. Die Definitionen der jeweiligen Merkmale haben sich in jahrelanger Rechtsfortbildung durch die obersten Gerichte entwickelt.


Bei den subjektiven Mordmerkmalen geben besonders die niedrigen Beweggründe den Gerichten viel Spielraum um festzulegen, was nun einen solch besonders niedrigen Beweggrund darstellen soll. Grundsätzlich liegt nach Auffassung des BGH ein besonders niedriger Bewegrund vor, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Dies ist wiederum durch das Tatgericht für jeden Einzelfall neu zu entscheiden, wobei durch richtungsweisende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung verfolgt wird.


So geschehen beispielsweise durch den Beschluss des BGH vom 06.09.2022.

Was ist passiert?


Der Täter in diesem Fall war für die Reichsbürgerszene aktiv. Als klassischer Reichsbürger bestritt er in der Vergangenheit, ganz im Sinne der sog. Reichsbürgerbewegung, die Existenz und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Er sah sich selbst als „Bundesstaatsangehöriger des Herzogtums Baden“. Vor allem erkannte er dabei die Ausübung hoheitlicher Gewalt durch die Organe der Bundesrepublik sowie deren Länder nicht an und leugnete auch die Legitimität staatlichen Handelns, so wie es in der Szene üblich ist.


In diesem Sinne hielt der Täter es auch nicht für notwendig der Forderung eines Streifenwagens der Polizei nachzukommen. Die Polizeibeamten forderten ihn zum Anhalten auf, nachdem sie ihn dabei beobachtetet hatten, wie er in seinem Fahrzeug mit überhöhter Geschwindigkeit durch eine Ortschaft fuhr. Zudem war der Täter aufgrund des Genusses von Alkohol offensichtlich nicht mehr dazu in der Lage das Fahrzeug sicher zu führen.


Nachdem die Polizei ihn zunächst durch das Versperren der Fahrbahn dazu bringen konnte anzuhalten, entschloss sich der Täter das Fahrzeug zu beschleunigen und einen Polizeibeamten, der aus seinem Fahrzeug gestiegen war, gezielt anzufahren, obwohl er ihn - laut den Feststellungen des BGH - auch hätte umfahren können. Der Polizeibeamte, der durch die Abgabe mehrerer Schüsse auf die Windschutzscheibe des Täters, noch vergeblich versucht hatte das Fahrzeug zum Stehen zu bringen, wurde zunächst auf der Motorhaube des Täterfahrzeugs für ca. 30 Meter mitgeschleppt und dann durch eine Lenkbewegung des Täters von der Motorhaube auf die Straße geschleudert. Er erlitt dabei schwerwiegende Verletzungen. Der BGH stufte dieses Verhalten rechtlich als versuchten Mord ein und bejahte dabei das subjektive Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe.


Wie begründet der BGH das Vorliegen niedriger Beweggründe in diesem Fall?


Der BGH führte hierzu in seinem Beschluss aus, dass sich die Beweggründe des Täters als niedrig darstellen, weil er den geschädigten Polizeibeamten aufgrund dessen Funktion als Organ der BRD angegriffen hat, welche für den Täter nicht existiert. Ihm ging es laut dem BGH darum, „seine – ersichtlich unzutreffende – Rechtsauffassung gewaltsam durchzusetzen und sich aus egoistischen Motiven staatlicher Einflussnahme zu entziehen“. Dabei stellte der BGH fest, dass die ideologische Überzeugung des Täters den Tod des Polizeibeamten aus seiner Sicht legitimierte, da er in ihm „lediglich einen Repräsentanten der von ihm nicht anerkannten Staatsgewalt“ sah. Die versuchte Tötung hatte ihre Wurzel in der reichsbürgerischen Überzeugung des Täters, „die darauf gerichtet ist, sich bewusst über die rechtlichen Regeln hinwegzusetzen, deren Beachtung für das Funktionieren eines demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens konstitutiv ist.“ Nach Auffassung des BGH erweist sich ein solches Motiv nicht nur als „im besonderen Maß gemeinschaftsbedrohlich, sondern ist mit grundlegenden gesellschaftlichen Wertentscheidungen schlechthin unvereinbar und steht damit sittlich auf tiefster Stufe“.


Machen sich zugehörige Mitglieder der Reichsbürgerbewegung in einem solchen Fall also immer wegen Mordes strafbar?


Das kommt drauf an. In jedem Fall ist klar, dass die Gerichte nicht unmittelbar an den Beschluss des BGH gebunden sind, denn es gilt der unter anderem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Demnach entscheidet das Gericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung. Deshalb muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden muss, welche Motive das Handeln des Täters getragen haben und ob sie als niedrig einzustufen sind. Klar sein dürfte jedoch, dass – sollten die Motive für die Tötungshandlung aus der reichbürgerlichen Ideologie herrühren - ein niedriger Bewegrund und damit auch eine Strafbarkeit wegen Mordes nach § 211 Abs. 1 StGB, in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein wird.




Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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