Sittenwidrig niedriges Gehalt und Üblichkeit der Tarifvergütung

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Im Arbeitsverhältnis ist oftmals ein strukturelles Ungleichgewicht angelegt. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber die faktische Macht der Vertragsgestaltung hat und der Arbeitnehmer diesen Vertrag lediglich noch „abnicken“ kann. Was die Höhe des Gehaltes angeht, beschränken jedoch zwei Grenzen die Vertragsfreiheit. Die eine Grenze ist der zum 1. Oktober auf zwölf Euro angehobenem Mindestlohn, der gleich bei welcher Tätigkeit nicht unterschritten werden darf. Die andere Grenze ist die sogenannte Sittenwidrigkeit. Ist das Gehalt so niedrig, dass es als sittenwidrig gilt, ist stattdessen der für diese Tätigkeit übliche Lohn zu zahlen (§ 138 BGB in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB).


Was bedeutet Sittenwidrigkeit beim Gehalt?


Eine sittenwidrige Vergütungsabrede ist nichtig, statt dessen gilt das für die entsprechende Tätigkeit übliche Gehalt als vereinbart. Hierfür gibt es zwei Konstellationen:


  1. Der Arbeitgeber lässt sich unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen des Arbeitnehmers einen Vermögensvorteil gewähren, der in einem auffälligen Missverhältnis zu der Arbeitsleistung steht (§ 138 Abs. 2 BGB).
  2. Es besteht ein auffälliges Missverhältnis, zu dem weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten, z. B. eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers (§ 138 Abs. 1 BGB, „wucherähnliches Geschäft“).


Beträgt das Gehalt nicht mindestens zwei Drittel des in dem entsprechenden Wirtschaftszweig üblicherweise gezahlten Entgeltes, liegt ein auffälliges Missverhältnis vor. Wird in dem Wirtschaftszweig üblicherweise nach Tarif gezahlt, ist das Tarifentgelt maßgeblich. Anderenfalls ist das Lohnniveau der Wirtschaftsregion maßgeblich.


Etwas erleichtert wird die Beweisführung dadurch, dass bereits das „leichtfertige sich vor der Einsicht verschließen“ genügt. Deutlich vereinfacht ist die Beweisführung jedoch, wenn eine besondere Auffälligkeit zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt. In diesem Fall wird die verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers vermutet. Diese besondere Auffälligkeit wird angenommen, wenn das Gehalt lediglich die Hälfte oder gar weniger des Wertes der Arbeitsleistung beträgt.


Der Fall: Üblichkeit der Tarifvergütung bei Mehrheit der Tarifbindung


In einem kürzlich entschiedenen Fall hatte eine Mitarbeiterin einer Brauerei auf einen höheren Lohn geklagt. Sie war der Ansicht, lediglich etwas mehr als die Hälfte des tariflich vorgesehenen Entgelts für ihre Arbeitsleistung zu erhalten. In der Region überwiege jedoch die Tarifbindung.


Die Klage wurde abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht war der Auffassung, die Brauereien im Wirtschaftsgebiet sein überwiegend nicht tarifgebunden. Daher sei das allgemeine Lohnniveau für diese Tätigkeit in der Region entscheidend und dieses wurde nach Ansicht des Gerichts nicht um mehr als ein Drittel unterschritten. Gleichzeitig stellte das Gericht klar, dass wären mehr als 50 % der Arbeitgeber des Wirtschaftsgebiets tarifgebunden gewesen oder hätten die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 % der Arbeitnehmer des Wirtschaftsgebiets beschäftigt, die Tarifvergütung die übliche Vergütung gewesen wäre (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26.07.2022, Az. 5 Sa 284/21). In diesem Falle hätte also ein auffälliges Missverhältnis zwischen Gehalt und Wert der Arbeitsleistung vorgelegen. Hätte die Arbeitnehmerin zusätzlich eine verwerfliche Gesinnung des Arbeitgebers nachweisen können, hätte sie Anspruch auf die Zahlung des Tariflohns gehabt.



Weitere Hinweise zum Thema und zum Urteil können Sie in der Langversion unseres Blogbeitrags unter https://kanzlei-kerner.de/blog/wann-ist-tarifverguetung-ueblich-und-der-eigene-lohn-sittenwidrig/ nachlesen.



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