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Sozialrecht - Krankengeld trotz zeitlicher Lücke in der AU-Bescheinigung

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I. Bislang galt eine sehr strenge und in Teilen als ungerecht empfundene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wenn zwischen den Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit (AU) durch einen Fehler des Arztes eine zeitliche Lücke entstand. 

Hier konnten teilweise sehr erhebliche Ansprüche auf Krankengeld bis hin zum Pflichtversicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung verloren gehen. Das BSG hat regelmäßig das Verschulden des Arztes nicht den gesetzlichen Krankenkassen zugerechnet und auf Amtshaftungsansprüche gegenüber dem Arzt verwiesen. Die Gewährung von Krankengeld bei verspäteter Meldung war nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben waren und die Versicherten keinerlei Verschulden an der unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung der AU traf (BSG, Urteile vom 8.2.2000 – B 1 KR 11/99 R -, vom 8.11.2005 – B 1 KR 30/04 R – und vom 10.5.2012 – B 1 KR 20/11 R).

II. Nunmehr hat das BSG mit Urteil vom 11.5.2017, – B 3 KR 22/15 R – diese Rechtsprechung aufgegeben und entschieden:

„(…) Unter der Voraussetzung, dass keine Zweifel an der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit im maßgeblichen Zeitraum vorliegen und keinerlei Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch ersichtlich sind, hat der Versicherte – wie hier die Klägerin – Anspruch auf Krankengeld, wenn er

1.  alles in seiner Macht Stehende und ihm Zumutbare getan hat, um seine Ansprüche zu wahren, indem er einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt persönlich aufgesucht und ihm seine Beschwerden geschildert hat, um a) die ärztliche Feststellung der AU als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und b) dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. anspruchserhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeld-Anspruch erfolgt ist,

2.  der Versicherte an der Wahrung der Ansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung des Vertragsarztes gehindert wurde (wie hier durch die irrtümlich nicht zeitgerecht erstellte AU-Bescheinigung),

3.  und der Versicherte – zusätzlich – seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend macht (…)“

Hinweis des Experten für Sozialrecht

Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis. Immer wieder kommt es zu verspäteten Feststellungen der AU wegen Überlastung der Ärzte, Irrtümern des Personals oder einfach Unwissenheit über die Rechtslage.

Es sollten alle laufenden Widerspruchs- und Klageverfahren auf die neue Rechtslage hin neu begründet werden. Altfälle sind (bis zur Verjährung 4 Jahre rückwirkend) mit Hilfe eines Antrags auf Überprüfung wieder aufzunehmen.

Es kommt entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an. 

Es wird fachkundige Unterstützung von spezialisierten Anwälten dringend angeraten. Wir helfen Ihnen gerne – bundesweit.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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