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Sturz im Bus – Unfallversion bestreiten ist nicht ausreichend

  • 4 Minuten Lesezeit
Gabriele Weintz anwalt.de-Redaktion

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Jeder, der schon einmal mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war, kennt das: Man steigt in den Bus, die Straßenbahn oder die U-Bahn und kaum hat man das Verkehrsmittel betreten, geht die Fahrt auch schon los. Oftmals bleibt dabei kaum Zeit, sich auf einen freien Sitzplatz zu setzen oder sich ausreichend festzuhalten. Kommt es dann zu einem Sturz mit Verletzungsfolgen, stellt sich die Frage der Haftung in Bezug auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Frau besteigt Bus und stürzt

Eine ältere Frau stieg am 19.03.2012 in einen Bus, kaufte beim Fahrer noch eine Fahrkarte, passierte dann die Sperre zwischen dem Fahrer- und dem Fahrgastbereich und wollte auf dem Sitzplatz direkt hinter dem Fahrer Platz nehmen. In diesem Moment fuhr der Busfahrer jedoch so ruckartig an, dass die Frau rückwärts in die erste Sitzreihe stürzte, noch bevor sie sicheren Halt suchen konnte. Bei dem Sturz erlitt sie eine Fraktur des 4. Lendenwirbelkörpers und zog sich zudem Läsionen des 8. und 9. Brustwirbelkörpers zu. Die Verletzungen mussten nicht operativ versorgt werden, allerdings hatte die Frau starke Schmerzen und ist seitdem erheblich bewegungseingeschränkt.

Klage zunächst abgewiesen

Die Frau war der Meinung, dass sich der Busfahrer aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und ihrer offensichtlich eingeschränkten Bewegungsfähigkeit vor dem Anfahren erst hätte vergewissern müssen, dass sie auf einem Sitzplatz Platz genommen hat. Daher verklagte sie das Busunternehmen auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld – zunächst jedoch ohne Erfolg. Die Richter am Landgericht (LG) Darmstadt stellten in ihrem Urteil fest, dass der Busfahrer zum einen keinen Fahrfehler begangen hat und zum anderen, dass die Frau offensichtlich nicht schwer behindert war. Daher trete die Betriebsgefahr des Busses hinter das Mitverschulden der Frau nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vollständig zurück.

Keine Kontrollpflicht des Fahrers

In der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bekam die Frau schließlich teilweise recht. Die Richter stellten fest, dass die Frau nach §§ 280, 249, 253 BGB tatsächlich einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hat. Das LG war zutreffend davon ausgegangen, dass sich ein Fahrgast nach Betreten eines öffentlichen Verkehrsmittels selbst überlassen ist und der Fahrer sich vor Anfahrt nicht davon vergewissern muss, dass der Fahrgast tatsächlich einen Platz gefunden hat.

Bestreiten des Unfallhergangs nicht ausreichend

Die Frau äußerte sich sowohl in der Klageschrift als auch in der Verhandlung dazu, wie sie den Bus bestieg und direkt hinter dem Busfahrer Platz nehmen wollte. Aufgrund fehlender Halteeinrichtungen konnte sie sich nicht ausreichend festhalten. Außerdem habe der Fahrer nach ihrer Aussage selbst angegeben: „Ich habe geglaubt, sie sitzt.“ Diesen Vortrag der Klägerin hat das beklagte Busunternehmen nicht ausreichend bestritten. Ein bloßes Bestreiten nach § 138 BGB war nicht ausreichend, da das Unternehmen im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast die Möglichkeit gehabt hätte, durch Befragung des Fahrers zur Aufklärung des Unfallhergangs beizutragen. Dies war aber offensichtlich nicht der Fall.

Frau hat genug zur Aufklärung beigetragen

Die Richter nahmen es wohlwollend zur Kenntnis, dass die Frau alles in ihrer Macht Stehende getan habe, den Bus und den Fahrer zu identifizieren und damit das Unfallgeschehen aufzuklären; sie konnte nämlich die von ihr gelösten Fahrscheine vorlegen. Daraus ging hervor, welcher Bus benutzt wurde, welcher Fahrer den Bus steuerte und in welche Richtung der Bus unterwegs war. Allerdings wurde aufseiten des beklagten Busunternehmens weder ausreichend dokumentiert, was für ein Bus auf der Fahrt zum Einsatz gekommen war, noch welcher Fahrer den Bus steuerte, denn der in den Unterlagen geführte Fahrer ist den Bus erwiesenermaßen nicht gefahren. Der offensichtliche Fahrertausch wurde ebenfalls nirgends dokumentiert. Dem beklagten Unternehmen wurde vom Senat des Gerichts die Möglichkeit einer Stellungnahme gegeben, diese wurde jedoch nicht genutzt. Das Unternehmen bestritt lediglich die Unfallversion der Frau, was nicht ausreichend ist. Es hätte der Unfall aus Sicht des Fahrers geschildert werden müssen. Da aber nicht bekannt ist, wer den Bus tatsächlich gefahren hat, war eine solche Stellungnahme nicht zu erwarten.

Schadensersatz und Schmerzensgeldanspruch bestehen

Die Richter stellten fest, dass das Unternehmen die Gefährdungslage nach § 7 Straßenverkehrsgesetz (StVG) geschaffen habe und deshalb grundsätzlich nach §§ 7 Abs. 2 StVG, 115 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) für den Schaden der Klägerin hafte. Die Frau war nach Ansicht der Richter körperlich wohl doch so sehr beeinträchtigt, dass der Fahrer auf sie hätte Rücksicht nehmen müssen. Allerdings muss sich die Frau ein Mitverschulden in Höhe v. 50 % anrechnen lassen, denn sie hätte sich jederzeit einen so festen Stand verschaffen müssen, dass sie auch beim Anfahren nicht zu Sturz kommt. Auch wenn keine Haltevorrichtungen vorhanden waren, wäre auch ein Festhalten am Sitz ausreichend gewesen. Aus diesem Grund erhält die Frau 5000 Euro unter Berücksichtigung ihrer Selbstverursachung, die Hälfte ihres verlangten Schadensersatzes und Schmerzensgeldes. Außerdem wurde festgestellt, dass sie auch Ansprüche auf Feststellung von möglichen Zukunftsschäden hat.

(OLG Frankfurt am Main, Urteil v. 19.02.2015, Az.: 22 U 113/13)

(WEI)

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