Verhandlungsfähigkeit und Schuldfähigkeit - Urteil LG Augsburg vom 14.12.2010

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Die Möglichkeit der Verhandlungsunfähigkeit reicht nicht aus, um ein erstinstanzliches Urteil unwirksam werden zu lassen. Erforderlich ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - wie im Beschluss vom 20.07.2011 - 1 StR 325/11 - der fristgerechte Eingang des Rechtsmittels bzw. das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen:

„Mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14. Dezember 2010 wurde ein Angeklagter wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Nötigung, Freiheitsberaubung und unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach der Tat am 13. und 14. Juli 2010 befand sich der Angeklagte bis zum 31. August 2010 in der psychiatrischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Würzburg, nachdem der Angeklagte bei seiner Festnahme versucht hatte, sich zu erschießen. Die sachverständig beratene Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Dafür, dass der geständige Angeklagte während der Hauptverhandlung am 7. und 14. Dezember 2010 verhandlungsunfähig gewesen wäre, gab es weder Anhaltspunkte noch wird dies vom Beschwerdeführer behauptet. Nach der Verkündung des Urteilstenors erregte sich der Angeklagte allerdings sehr. Zur Entgegennahme der Urteilsbegründung musste er zwangsweise zu seinem Platz zurückgeführt und durch zwei Beamte fixiert werden. Deshalb wurde er anschließend wieder einige Zeit in der psychiatrischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt Würzburg untergebracht.

Mit einem auf den 30. April 2011 datierten Schreiben aus der Justizvollzugsanstalt Kaisheim, das allerdings bereits am 27. April 2011 bei den Justizbehörden in Augsburg eingegangen war, hatte der Angeklagte Revision eingelegt und beantragt, ihm gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dies hat sein Verteidiger mit einem am 23. Mai 2011 verfassten und am selben Tag beim Landgericht Augsburg eingegangenen Schriftsatz wiederholt. In diesem hat er auch die Revision begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wird vorgetragen, der Angeklagte sei - in der Zeit nach der Urteilsverkündung - in der Psychiatrie medikamentös behandelt worden. Er sei dementsprechend nicht in der Lage gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Eine Entscheidung über die Einlegung der Revision habe er nicht treffen können.

Der Angeklagte hat schon nicht mitgeteilt, wann die Behandlung mit Medikamenten endete oder ihn nicht mehr beeinträchtigte, wann also das Hindernis entfiel, das ihn - nach seinem Vortrag - hinderte, rechtzeitig Revision einzulegen. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Wahrung der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag nicht offensichtlich ist, gehört zur formgerechten Anbringung des Wiedereinsetzungsantrags auch, dass der Antragsteller mitteilt, wann dieses Hindernis entfallen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2010 - 2 StR 365/10)."

Nach Ansicht des 1. Strafsenats fehlt zudem ein ausreichend substantiierter Vortrag der Tatsachen, die ein Verschulden des Angeklagten an der Versäumung der Frist des § 341 Abs. 1 StPO ausschließen könnten. Es hätte von der Verteidigung ausgeführt werden müssen, welche Medikamente verabreicht wurden und welche Ausfallerscheinungen diese beim Angeklagten im Einzelnen bewirkten. Dazu und für die Glaubhaftmachung genügt die bloße Bezeichnung von Beweismitteln (sachverständiger Zeuge Dr. P, einzuholende Krankenakten, einzuholendes Sachverständigengutachten) ebenso wenig (vgl. Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 45 Rn. 16) wie die eigene Erklärung des Antragstellers (BGH, Beschluss vom 5. August 2010 - 3 StR 269/10, NStZ-RR 2010, 378).

Der Verfasser ist seit über 10 Jahren nachhaltig als Verteidiger und Zeugenbeistand vor den Gerichten des Landgerichtsbezirk Augsburg tätig. Er hat einen Fachanwaltskurs im Strafrecht erfolgreich absolviert.


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