Verjährung Pflichtteil droht - Einleitung eines Erbscheinverfahrens nicht immer zur Hemmung ausreichend

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1. Ausgangssituation

Wann verjährt der Pflichtteilsanspruch?

Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch entstehen mit dem Erbfall. Sie müssen allerdings gefordert werden, ansonsten verjähren sie binnen drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem die berechtigte Person Kenntnis vom Erbfall und der Enterbung erlangt hat. Fristende ist also stets erst der 31. Dezember des Jahres, in dem die drei Jahre verstrichen sind. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch, der gegen den Beschenkten geltend gemacht wird, verjährt kenntnisunabhängig und tagesgenau binnen drei Jahren ab dem Erbfall.


Wo muss man den Pflichtteil geltend machen?

Den Pflichtteil sowie den vorgelagterten Auskunfts- und Wertermittlungsanspruch fordert man direkt von dem Erben bzw. der Erbengemeinschaft. Wird der Anspruch nicht erfüllt bzw. keine außergerichtliche Einigung erzielt, kann der Anspruch gerichtlich beim Zivilgericht eingeklagt werden.


Hemmung der Verjährung

Wer die Wirksamkeit eines Testaments angreift, durch das er enterbt ist, sollte die Verjährungsfrist des Pflichtteilsanspruchs immer im Blick haben. Ein Erbscheinsverfahren oder ein anderes Verfahren hemmt diese Verjährung der Pflichtteile nicht automatisch.

Pflichtteilsansprüche und auch Pflichtteilsergänzungsansprüche unterliegen der kurzen Regelverjährung von drei Jahren nach §§ 195, 199 BGB.


2. Voraussetzung für einen Verjährungsbeginn

a)

Voraussetzung für das Anlaufen der Verjährung ist nicht lediglich die Anspruchsentstehung, sondern daneben Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und der Person des Schuldners (§ 199 I BGB). Im Fall der Pflichtteilsberechtigung genügt deshalb nicht Kenntnis vom Todesfall an sich. Hinzutreten muss vielmehr die Kenntnis des Berechtigten von der enterbenden oder beeinträchtigenden Verfügung von Todes wegen bzw. Verfügung unter Lebenden. Dies setzt voraus, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht nur allgemein von deren Existenz erfährt, sondern auch ihren wesentlichen Inhalt mit dem daraus resultierenden Ausschluss seines Erbrechts erkennt, ohne dass er freilich alle Einzelheiten erfasst haben muss.


b)

Berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit der Enterbung schließen die erforderliche Kenntnis aus und verzögern den Verjährungsbeginn so lange, wie sie nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Die erforderliche Kenntnis kann auch fehlen, wenn der Berechtigte infolge Tatsachen- oder Rechtsirrtums davon ausgeht, die ihm bekannte Verfügung sei unwirksam und entfalte daher keine beeinträchtigende Wirkung. Das gilt jedenfalls dann, wenn Wirksamkeitsbedenken nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind.

(1)

Streiten Erbprätendenten über die Wirksamkeit eines Testaments, durch das frühere Testamente widerrufen worden sind, die u.a. ein Vermächtnis enthalten, hat die durch das Vermächtnis Begünstigte i.d.R. keine den Lauf der Verjährungsfrist auslösende Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände und ist auch nicht auf Grund grober Fahrlässigkeit in Unkenntnis, solange die Beweisaufnahme über die Echtheit des späteren Testaments und die Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt seiner Errichtung nicht abgeschlossen ist.

Berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit der beeinträchtigenden Verfügung, nicht aber der davon unabhängige Irrtum über das Bestehen des Pflichtteilsrechts aus anderen Gründen, etwa der Unwirksamkeit eines Pflichtteilsverzichts schließen die erforderliche Kenntnis ebenfalls aus.


(2)

Zweifel an der Testierfähigkeit verzögern den Verjährungsbeginn so lange, wie sie nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind, wobei aber volle Überzeugung von der Rechtswirksamkeit der beeinträchtigenden Verfügung ebenfalls nicht erforderlich ist.

Beispiel: im Hinblick auf die teilweise Betreuung des Erblassers und die Umstände der Testamentserrichtung im Zusammenhang mit dessen Krankheit können zunächst berechtigte Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bestehen. Diese Wirksamkeitsbedenken verzögern den Verjährungsbeginn aber nur solange, wie sie nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Abzustellen ist insoweit auf den Zeitpunkt, zu dem ein vernünftig Denkender seine Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments zurückgestellt und seine Wirksamkeit anerkannt hätte.

Zweifel an der Wirksamkeit des Testaments sind beispielsweise dann zurückzustellen, wenn in einem Erbscheinsverfahren der zur Frage der Testierfähigkeit beauftragte Sachverständige zu dem Ergebnis kommt, dass der Erblasser zum Zeitpunkt der letztwilligen Verfügung testierfähig war.

Im vorliegenden Fall bestanden derartige Bedenken gegen die Wirksamkeit des Testaments, die nicht von vornherein von der Hand zu weisen waren.

Zur Hemmung von Pflichtteilsansprüchen im Erbscheinsverfahren bei Geltendmachung von Tesierunfähigkeit auch OLG Hamm, Urteil vom 02.03.2023 - 10 U 108/21:

„ Der Kläger hatte im Erbscheinsverfahren vorgetragen, er gehe von einer die Testierfähigkeit des Erblassers ausschließenden Demenz aus, weil er seit dem Jahr 2007 Veränderungen wahrgenommen habe, wobei ihm deutliche Anzeichen für eine dementielle Verwirrtheit allerdings erst im Jahr 2011 aufgefallen seien (Bl. 3 der Beiakte 80 VI 374/16 AG P.). Dass der Kläger mangels eines näheren Kontakts zum Erblasser in der Zeit zwischen 2007 und 2010 keine detaillierteren Tatsachen zum Zustand des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung im Jahr 2009 benennen konnte, diese ihm vielmehr erst im Verlauf des Beschwerdeverfahrens durch das Sachverständigengutachten bekannt geworden sind, ist unerheblich. Denn immerhin hat der Sachvortrag des Klägers den 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm im Beschwerdeverfahren zur Einholung eines Sachverständigengutachtens bewogen.


Erstmals hatte der Senat dort bereits mit einer Verfügung des Berichterstatters vom 15.02.2018 darauf hingewiesen, dass der Vortrag des Klägers zu der Frage der Testierfähigkeit des Erblassers als noch ausreichend erscheine, um diese Frage von Amts wegen weiter aufzuklären (Bl. 103/104 Beiakte 80 VI 374/16 AG P.). Sodann hatte der Berichterstatter mit Verfügung vom 03.01.2019 darauf hingewiesen, dass sich aus den zwischenzeitlich beigezogenen Behandlungsunterlagen des Hausarztes des Erblassers erhebliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende kognitive Beeinträchtigung des Erblassers bereits im Jahre 2009 ergeben - deshalb werde die Einholung eines gerontopsychiatrischen Sachverständigengutachtens in Erwägung gezogen (Bl. 132 Beiakte 80 VI 374/16 AG P.).

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Begutachtung durch den gerichtlich beauftragten Sachverständigen R. waren die vom Kläger vorgetragenen Bedenken gegen die Wirksamkeit des Testaments auch durchaus berechtigt.

Der Sachverständige hat in seinem Gutachten die Bedenken des Klägers zwar nicht in dem Sinne bestätigt, dass für den hier maßgeblichen Zeitraum Februar 2009 mit der nötigen Sicherheit eine Testierunfähigkeit des Erblassers festgestellt werden konnte. Nach den Ergebnissen der Begutachtung war der Erblasser aber im Oktober 2008 wegen einer akuten Dekompensation in stationärer psychiatrischer Behandlung. In dem Entlassungsbericht vom 24.10.2008 seien - so der Sachverständige - kognitive Defizite des Erblassers beschrieben worden (Gutachten S. 16/18). Mangels anderer Informationen sei aber davon auszugehen, dass die aufgrund der Behandlung eingesetzte Besserung bis Februar 2009 angehalten habe (Gutachten S. 48). Im Februar 2009 sei die Demenz zwar sicherlich weiter fortgeschritten gewesen. Es lasse sich aber nicht feststellen, wie sehr die kognitive Verfassung des Erblassers eingeschränkt gewesen sei (Gutachten S. 47). Damit hat der Sachverständige eine Testierunfähigkeit des Erblassers jedoch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen.“


3. Zusammenfassung

Geboten ist insoweit immer eine Einzelfallbetrachtung. Allein das Fortdauern eines Erbscheinsverfahrens führt daher nicht dazu, dass von Unkenntnis von Pflichtteilsansprüchen auszugehen ist, zumal die Entscheidung im Erbscheinsverfahren ohnehin nicht zu einer materiellen Rechtskraft führt. Es genügt für eine solche – den Verjährungsbeginn hemmende – „Unkenntnis” nicht, dass bis zum Ende des Erbscheinverfahrens nicht hinreichend sicher feststand, ob der Antragsteller lediglich pflichtteilsberechtigt war. Hierzu müssen „erhebliche rechtliche Zweifel, verwickelte oder zweifelhafte Rechtsfragen” vorliegen, die – bevor Kenntnis bejaht werden kann – „eine gewisse Klärung gefunden haben müssen”.

Bei Fragen rund um das Erbrecht und bei der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen stehe ich Ihnen gerne anwaltlich beratend zur Seite.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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