Videoaufzeichnung einer KFZ-Kamera (Dashcam) ist als Beweismittel im Strafverfahren zulässig

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Die Aufzeichnung einer Videokamera („Dashcam”) im KFZ oder am Fahrradhelm darf im Strafverfahren als Beweismittel verwendet werden. So hat es das AG Nienburg zutreffend entschieden.

Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:

Der der Zeuge H befuhr mit dem die vierspurige B pp. in Fahrtrichtung N. Auf Höhe der touristischen Unterrichtungstafel überholte der Angeklagte mit dem PKW auf der linken Fahrspur den auf der rechten Fahrspur fahrenden Zeugen H. Als sich das Fahrzeug des Angeklagten etwas mehr als eine Fahrzeuglänge vor das Fahrzeug des Zeugen geschoben hatte, wechselte der Angeklagte bei freier Bahn und ohne Anzeige der Fahrtrichtung von der linken auf die rechte Spur. Dort angelangt verlangsamte er seine Geschwindigkeit, so dass sich der Abstand der beiden Fahrzeuge sofort auf weniger als eine Fahrzeuglänge verringerte. Mit diesem Fahrmanöver wollte der Angeklagte den Zeugen H. zum Abbremsen oder Ausweichen verleiten und so für ein vorausgehendes, vermeintlich verkehrswidriges Verhalten maßregeln. Um einen Auffahrunfall zu verhindern, wechselte der Zeuge H. auf den linken Fahrstreifen und überholte das Fahrzeug des Angeklagten. Während der Zeuge H. noch sein Fahrzeug beschleunigte, driftete das Fahrzeug des Angeklagten über die Mittelmarkierung, so dass sich die linken Räder auf der linken Fahrspur befanden und der Zeuge H. seinerseits weiter nach links zur Leitplanke ausweichen musste. Als sich die beiden Fahrzeuge auf gleicher Höhe befanden, betrug der Seitenabstand zwischen den Fahrzeugen bei einer Geschwindigkeit von rund Km/h 100 nur noch ungefähr 5 cm. Es ist unerklärlich, warum der Seitenabstand von wenigen Zentimetern nicht weiter unterschritten wurde und warum es nicht zu einem schweren Verkehrsunfall gekommen ist. Der Zeuge H. fuhr sodann zum „pp. Döner”. Der Angeklagte folgte dem Zeugen mit seinem Fahrzeug und hielt ebenfalls auf dem Parkplatz an. Auf dem Parkplatz überzog der Angeklagte den Zeuge H. mit einer Schimpftirade und betitelte den Zeugen als „dummen Wichser” und „Arschloch”.

Im vorliegenden Verfahren hatte der Zeuge aufgrund eines auffälligen Fahrverhaltens des hinter ihm fahrenden KFZ zum Zwecke der Beweissicherung eine neben seinem Innenspiegel angebrachte Kamera (sogenannte Dashcam). Die Kamera filmte die Straße vor dem KFZ des Zeugen und speichert die Datei digital auf einer Speicherkarte, inkl. Datum und Uhrzeit.

Das Amtsgericht Nienburg hat die Aufnahmen der Kamera mit im Ergebnis überzeugender Begründung als Beweismittel zugelassen. Die Bildfolge und die dazugehörigen Einzelbildausdruck seien in vollem Umfang verwertbar, weder stehe ein Beweiserhebungs-, noch ein Beweisverwertungsverbot entgegen.

Die Anfertigung der Kameraaufzeichnung durch den Zeugen H. sei gemäß dem BDSG zulässig.

Auch wenn diese Wertung des Amtsgerichts im Ergebnis zutreffend ist, so übersieht das Amtsgericht hier § 1 Abs. 1 BDSG und die Tatsache, dass das BDSG gar nicht anwendbar ist. Das BDSG gilt nach § 1 Abs. 1 BDSG für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch

  1. öffentliche Stellen des Bundes,
  2. öffentliche Stellen der Länder, soweit der Datenschutz nicht durch Landesgesetz geregelt ist und soweit sie Bundesrecht ausführen oder als Organe der Rechtspflege tätig werden und es sich nicht um Verwaltungsangelegenheiten handelt,
  3. nicht-öffentliche Stellen, soweit sie die Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen verarbeiten, nutzen oder dafür erheben oder die Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien verarbeiten, nutzen oder dafür erheben, es sei denn, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung der Daten erfolgt ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten.

Die Datenerhebung erfolgte hier ganz offensichtlich für einen privaten Zweck des Zeugen und stand in keinem Zusammenhang mit einer beruflichen oder hoheitlichen Tätigkeit. Damit ist das BDSG nicht anwendbar.

Das Gericht begründete seine im Ergebnis richtige Entscheidung anders:

Gemäß § 4 Abs. 1 BDSG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG sei die Aufnahme zulässig.

Die Digitalaufzeichnung unterfalle gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG dem Anwendungsbereich des BDSG. Da dem Videobild in der gewählten Betriebsform automatisch das Datum und die Uhrzeit der Aufzeichnung zugeordnet werden, handelt es sich bei der Aufzeichnung um eine sogenannte nicht automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten (vgl. sehr ausführlich hierzu: VG Ansbach, Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, Rdnrn. 38, 40 f., - zitiert nach juris -). Die spezialgesetzliche Ermächtigung des Zeugen folge nicht aus § 6b BDSG, sondern aus einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG. § 6b BDSG sei nicht anwendbar, da die Norm nur für den ortfesten Betrieb einer Kamera gilt. Dieser Schluss ergibt sich bereits aus der Hinweispflicht des § 6b Abs. 2 BDSG (Klann in DAR, 2014, 451, 452). Beim Betrieb einer beweglichen Kamera sei es nicht möglich betroffene Personen auf die Aufzeichnung hinzuweisen.

28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG sei seinerseits nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend anzuwenden, da der vom Zeugen verfolgte Geschäftszweck - Beweissicherung für den Fall des Unfalls – fehlt planwidrig in der Norm fehle. § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG wäre nur dann direkt anwendbar, wenn der Zeuge im Verhältnis zu seinem Kraftfahrzeugversicherer verpflichtet wäre, im Vorfeld eines Unfalls nach besten Kräften Beweise zu sichern (vgl. Klann in DAR, 2014, 451, 453 f.).

Für die strafrechtliche Verwertbarkeit von Beweismitteln und die Suche nach materieller Wahrheit und Gerechtigkeit kann es jedoch nicht darauf ankommen, ob der jeweilige Zeuge durch Zufall im Verhältnis zum Kraftfahrzeugversicherer derart verpflichtet ist. Entscheidend ist nicht die Reichweite versicherungsvertraglicher Rechte und Pflichten, sondern das vom Zeugen verfolgte Ziel.

Fertigt der Zeuge - wie hier - aus aktuellem und konkreten Anlass vorausschauend Beweismittel zum Nachweis der Begründung, Reichweite und Ausschluss einer gesetzlichen Haftung aus einem Unfallereignis und damit im Hinblick auf ein konkret bestimmbares gesetzliches Schuldverhältnis an, so ist dies in jeder Hinsicht mit den im Gesetz genannten Fällen der Erfüllung konkret bestimmter rechtsgeschäftlicher oder rechtsgeschäftsähnlicher Zwecke vergleichbar. Es ist kein Grund ersichtlich, warum in diesem Zusammenhang zwischen rechtsgeschäftlichen bzw. rechtsgeschäftsähnlichen und gesetzlichen Schuldverhältnissen unterschieden werden sollte (ähnlich Klann in DAR, 2014, 451, 453 f.). Der Betroffene verfolgt jeweils konkret abgegrenzte und bestimmbare vermögensbezogene Rechtsangelegenheiten im Zusammenhang mit dem Betrieb seines Kraftfahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr.

Die Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm entsprechend § 28 Abs. 1 Nr. 1 BDSG seien daher erfüllt. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Zeugen an der Anfertigung der Aufzeichnung zum Zwecke der Beweissicherung und dem Interesse des Angeklagten an der Unverletzlichkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung überwiegt das Interesse des Zeugen (a.A. AG München, Beschluss vom 13.08.2014, 345 C 5551/14; VG Ansbach, Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, - beide zitiert nach juris -).

Maßgeblich sei dabei, dass die kurze und anlassbezogene Aufzeichnung nur die Fahrzeuge, aber nicht die Insassen der Fahrzeuge abbildet und nur Vorgänge erfasst, die sich im öffentlichen Straßenverkehr ereignen. Der Eingriff in das Recht des Angeklagten ist daher denkbar gering, während das Interesse des Zeugen an einem effektiven Rechtsschutz besonders hoch ist. Denn gerade die gerichtliche Aufklärung von Verkehrsunfallereignissen leidet fast ausnahmslos unter dem Mangel an verlässlichen  objektiven Beweismitteln. Der anlassbezogene Einsatz der Dashcam ist deshalb in dieser konkreten Fallgestaltung für den vom Zeugen verfolgten Zweck der Beweissicherung geeignet erforderlich und verhältnismäßig.

Das Amtsgericht hat sodann auch festgestellt, dass dem nicht entgegengehalten werden kann, dass die Aufzeichnung möglicher Weise später unzulässig im Internet veröffentlicht oder zu anderweiten Zwecken missbraucht werden könnte (so AG München, Urteil vom 14.08.2014, 345 C 5551/14, und VG Ansbach, Urteil vom 12.08.2014, AN 4 K 13.01634, - beide zitiert nach juris -). Die Gefahr des späteren Missbrauchs von ursprünglich zulässig gefertigten Beweismitteln besteht nämlich immer. Die dem Einwand zugrundeliegende abstrakte Furcht vor allgegenwärtiger Datenerhebung und dem Übergang zum „Orwell‘schen Überwachungsstaat“ kann nicht dazu führen, dass den Bürgern sachgerechte technische Hilfsmittel zur effektiven Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung kategorisch vorenthalten werden (ähnlich, aber mit anderer Begründung: Klann in DAR 2014, 451, 456).

Bei der Verwertung im Strafverfahren kann sodann ohne weiteres auf die allgemeinen Grundsätze zur Verwertbarkeit von Beweismitteln mit Spannungsbezug zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter zurückgegriffen werden (sogenannte „Sphärentheorie“ des Bundesverfassungsgerichts, vgl. bspw.BVerfG NJW 1990, 563, 564 - „Tagebuch“; BGH NJW 1996, 2940 = BGH, Beschluss vom 13.05.1996, GSSt 1/96  - „Hörfalle“; BGH NStZ 1998, 635; s.a. BAG, Beschluss vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03 - „Videoüberwachung am Arbeitsplatz“). Da die Aufnahme Vorgänge aus dem öffentlichen Straßenverkehr abbildet, ist der absolute Kernbereich der persönlichen Lebensführung des Angeklagten nicht betroffen.

Das Gericht musste daher abwägen, ob im konkreten Fall das öffentliche Interesse an der effektiven Strafverfolgung oder das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht erwachsende Geheimschutzinteresse des Angeklagten überwiegt. Hierbei sind unter anderem die Schwere der angeklagten Tat, das Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit, die Verfügbarkeit sonstiger Beweismittel und die Intensität und Reichweite des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu berücksichtigen. Im Rahmen einer Gesamtschau überwiegt bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung das allgemeine Interesse an der Effektivität der Strafverfolgung.

Die richtige Entscheidung des Amtsgerichts stellt klar, dass die Aufzeichnungen einer Kamera auf dem Armaturenbrett als Beweismittel im Strafverfahren verwendet werden können. Zwar verkannte das Amtsgericht, dass das BDSG gem. § 1 Abs. 1 Nr. 3 BDSG nicht anwendbar ist, seine Begründung trägt im Ergebnis jedoch.

(Quelle: AG Nienburg, Urteil vom 20.01.2015, 4 Ds 155/14)



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