Völkermordfall Gaza - Schwächen des deutschen Vortrags

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Der mündliche Vortrag Deutschlands vor dem Internationalen Gerichtshof im Fall Nicaragua gegen Deutschland am 9. April 2024 kann im Wortlaut nachgelesen werden in dem auf der Webseite des Internationalen Gerichtshofs veröffentlichten Wortprotokoll. Er ist - insbesondere im Hinblick auf die Deutschland vorgeworfene Bereitstellung von militärischen Gütern für Israel - sehr detailliert und weitgehend technischer Natur, so dass ich mich auf mögliche Schwächen in der Darstellung der deutschen Vertreter beschränken möchte:

1. Die Bundesregierung argumentiert immer noch, "Hamas-Terroristen" benutzten die Zivilbevölkerung als "menschliche Schutzschilde und missbrauchen die zivile Infrastruktur, um ihre terroristischen Aktivitäten zu verbergen".

Handfeste Beweise hierfür fehlen.

Nach einem gemeinsamen Bericht der Weltbank  und der Vereinten Nationen vom 02. April 2024 sind inzwischen etwa 62 Prozent aller Wohnungen, also etwa 290.000 Wohneinheiten, zerstört worden. Es erschließt sich nicht, warum Israel 290.000 Wohneinheiten zerstören musste, um die geschätzten 37.000 Hamas-Kämpfer zu "eliminieren". Noch unplausibler wird die Behauptung der Bundesregierung, wenn man Berichten etwa in dem israelisch-palästinensischen Magazin +972 und dem renommierten britischen Guardian Glauben schenkt, wonach Israel mit einem System, das sich "Where's Daddy" nennt, alleine aus Gründen der "Praktikabilität"  Hamas-Kämpfer gezielt aufspürt, wenn sie ihre Wohnungen betreten und sodann mit ihren Familien und Nachbarn in die Luft jagt.

2 Die Bundesregierung behauptet, sie kompensiere ihre Suspendierung der Finanzierung UN-Hilfsorganisation für Palästinensische Flüchtlinge UNRWA dadurch, dass sie anderweitige Hilfe für Gaza leiste, etwa durch die Unterstützung von UNICEF, des Internationalen Roten Kreuzes, des Welternährungsprogramms oder des Roten Halbmonds und die inzwischen - allerdings negative - Schlagzeilen machenden Abwürfe von Nahrungspaketen aus Flugzeugen. Sie schweigt jedoch darüber, dass Experten, einschließlich solcher der genannten Hilfsorganisationen, sich einig sind, dass nur UNRWA mit ihren tausenden Mitarbeitern in der Lage ist, die den Gazastreifen erreichende Hilfe effektiv an die Menschen vor Ort zu verteilen.

3. Die Bundesregierung betont, dass die seit dem 7. Oktober 2023 lizenzierten Exporte militärischer Hilfe an Israel nur zu zwei Prozent aus "Kriegswaffen" im engeren Sinn bestünden und zu 98 Prozent aus "anderer militärischer Ausrüstung". In der mündlichen Verhandlung schwieg sie jedoch darüber, was an militärischen Gütern seit dem 7. Oktober 2023 an Israel - auch aus früheren Lizenzierungen - tatsächlich ausgeliefert wurde. Darüber hinaus wurde nichts über die gemeinsame Entwicklung von militärischen Gütern verlautbart - etwa die gemeinsame Entwicklung von Softwareprogrammen zur "Generierung" von Angriffszielen.

Die Bundesregierung hat im Laufe ihres mündlichen Vortrags mehrfach auf zusätzliches Material in der Gerichtsakte verwiesen, so dass es theoretisch möglich ist, dass den Richtern ergänzende Darstellungen vorliegen, welche die oben angesprochenen Schwächen zumindest teilweise kompensieren können.

Es ist nicht vorhersehbar, wie das Gericht hier entscheiden wird. Ihm steht zum einen die Möglichkeit offen, den Antrags Nicaraguas schon im Hinblick auf die komplexe Frage der prozessualen Zulässigkeit - zu welcher die deutsche Seite naturgemäß ausführlich vorgetragen hat - scheitern zu lassen. Es besteht aber auch - neben der vollumfänglichen Stattgabe - die nahe liegende Option, wie im Parallelfall Südafrika gegen Israel von den Beantragten abweichende Maßnahmen anzuordnen, um gegenüber den vor dem IGH nicht angreifbaren "Hauptverursachern" der schlimmen Lage in Gaza ein Zeichen zu setzen. In wenigen Wochen werden wir es erfahren.



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