Vorladung zur ED-Behandlung nach § 81b Alt. 2 StPO - Hintergrund und Gegenmaßnahmen

  • 6 Minuten Lesezeit

Wer eine Vorladung von der Polizei erhalten hat, muss ihr – egal ob als Zeuge oder Beschuldigter – nicht Folge leisten. Er muss noch nicht einmal den Termin absagen, er kann die Vorladung schlicht ignorieren. Die bisweilen in den Vorladungen enthaltene Drohung, bei Ausbleiben würde der Adressat durch die Polizei vorgeführt, ist ebenso dreist wie leer: Erzwungen werden kann die Vernehmung durch Staatsanwaltschaft oder Gericht, nicht aber die Vernehmung bei der Polizei. Wer eine Vorladung zur Vernehmung bei der Polizei im Briefkasten hatte, wurde offensichtlich gerade nicht durch Staatsanwaltschaft oder Gericht zur Vernehmung geladen.

Auch auf die häufig anzutreffende Belehrung über die Pflicht, bei der Polizei zumindest wahrheitsgemäße Angaben zur Person zu machen – und auf die Androhung eines Bußgeldes nach § 111 OWiG, sollten diese Angaben verweigert werden –, können Adressaten einer polizeilichen Vorladung in aller Regel gelassen reagieren: Wären der Polizei die Angaben zur Person nicht längst bekannt, hätte die Vorladung überhaupt keinen Adressaten – der Empfänger hätte nie von ihr erfahren. Der Hintergrund dieser und ähnlicher „Belehrungen“ liegt auf der Hand: Die Polizei will den Adressaten dazu bewegen, den anberaumten Termin unbedingt wahrzunehmen.

Wer zur polizeilichen Vernehmung geladen wird, soll der Polizei in einer Strafsache Auskunft geben. Hierfür reicht es der Polizei in den besagten Fällen auch nicht, dass ein Anhörungsbogen ausgefüllt wird – man möchte sich mit dem Adressaten der Vorladung unterhalten. Kommt der Adressat nicht zur Polizei, kann das erhoffte Gespräch nicht stattfinden – und genau dies geschieht allzu oft. Denn nicht erst das Internet, sondern schon die allgemeine „Mund-zu-Mund-Propaganda“ hat dazu geführt, dass Zeugen und Beschuldigte ihre Rechte kennen und – vielleicht gerade in den „interessantesten“ Fällen – auf Vorladungen nicht reagieren.

Wohl auch deshalb ist immer häufiger zu beobachten, dass die Polizei eine versteckte Vorschrift der Strafprozessordnung zur Anwendung bringt, mit deren Hilfe sie im Ergebnis erzwingen kann, dass der ersehnte Gesprächspartner einer Vorladung nachkommt: Die Rede ist von § 81b Alt. 2 StPO. In diesem Beitrag erläutert Rechtsanwalt Maik Bunzel aus Cottbus den rechtlichen Hintergrund und erklärt, wie man sich gegen diesen Trick der Polizei erfolgreich zur Wehr setzen kann.

Rechtlicher Hintergrund

Gemäß § 81b Alt. 2 StPO dürfen Lichtbilder, Fingerabdrücke und ähnliche Messungen und Maßnahmen gefertigt bzw. vorgenommen werden, wenn dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist. Die Vorschrift ist ein Fremdkörper in der Strafprozessordnung, denn sie regelt allenfalls reflexartig die Strafverfolgung – ihre erkennbare Stoßrichtung ist die Gefahrenabwehr. Eine Vorladung nach § 81b Alt. 2 StPO ist ein Verwaltungsakt der Polizei. Gegen diesen Verwaltungsakt kann der Betroffene Widerspruch einlegen. Im Verwaltungsrecht hat ein Widerspruch – ebenso wie eine Anfechtungsklage – grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Das heißt: Wer eine Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung gemäß § 81b Alt. 2 StPO – fast immer verbunden mit einer Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung – erhalten hat, könnte Widerspruch einlegen, und wurde dieser Widerspruch zurückgewiesen, könnte der Betroffene vor dem Verwaltungsgericht gegen die Maßnahme klagen.

Er müsste nicht zur erkennungsdienstlichen Behandlung gehen, bis das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht abgeschlossen ist. Dies dauert je nach Bundesland zwischen 2 und 5 Jahren. Hiergegen macht die Polizei sich jedoch stets eine Vorschrift aus dem Verwaltungsrecht zunutze: Sie ordnet die „sofortige Vollziehung“ der Maßnahme – also der angeordneten ED-Behandlung – an. Widerspruch und Anfechtungsklage haben in diesem Fall ausnahmsweise doch keine aufschiebende Wirkung.

Das Verwaltungsrecht sieht allerdings auch hierzu einen Rechtsbehelf vor: Der Betroffene kann vor dem Verwaltungsgericht beantragen, dass die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederhergestellt wird. Dieser Antrag hat in der Praxis oft Erfolg: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung muss strengen formellen Anforderungen genügen. Insbesondere muss das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet werden. Hierdurch soll der Betroffene in die Lage versetzt werden, seine Rechte wirksam wahrnehmen und die Erfolgsaussichten eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung prüfen zu können.

Es muss ihm folglich bekannt sein, welche Erwägungen die Polizei zur Anordnung des Sofortvollzugs bewogen haben. Zugleich soll das Begründungserfordernis der Polizei den Ausnahmecharakter bewusst machen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob tatsächlich ein vorrangiges öffentliches Interesse besteht. Schließlich soll die Begründung auch den Gerichten die Prüfung der behördlichen Argumente ermöglichen. All dies wird in Vorladungen nach § 81b Alt. 2 StPO fast nie eingehalten. Meist findet sich darin entweder eine formelhafte, sich auf die Wiederholung des Gesetzeswortlauts und allgemeine Wendungen beschränkende Begründung, oder – noch häufiger – überhaupt keine.

Neben diesem strengen Formerfordernis muss die Polizei das private Interesse des Adressaten, von der angeordneten Maßnahme zunächst bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens und eines ggf. anschließenden Klageverfahrens verschont zu bleiben, mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung abgewogen haben. Auch hierbei unterlaufen der Polizei häufig Fehler, denn maßgeblich sind die Regeln des Gefahrenabwehrrechts: Die erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 81b Alt. 2 StPO soll vorsorgend Hilfsmittel für die Aufklärung von Straftaten bereitstellen.

Dementsprechend richtet sich die Notwendigkeit der ED-Behandlung danach, ob der festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls „Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potenzieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen – den Betroffenen schließlich überführend oder entlastend – fördern könnten“, so wörtlich das Bundesverwaltungsgericht, (BVerwGE 66, 192, 199). Im Klartext: Es bedarf einer Wiederholungsgefahr.

Zum Zeitpunkt, zu dem Vorladungen zur polizeilichen Vernehmung üblicherweise mit Vorladungen nach § 81b Alt. 2 StPO kombiniert werden, lässt sich dies oft noch gar nicht beurteilen. Die Abwägungsentscheidung der Polizei kann also nicht sachgerecht getroffen worden sein. Vorladungen gemäß § 81b Alt. 2 StPO sind in diesen Fällen stets rechtswidrig. An der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht aber kein öffentliches Interesse – der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen, hat deshalb regelmäßig Erfolg.

Was ist zu tun?

Wer eine Vorladung zur polizeilichen Vernehmung und zugleich eine Vorladung zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen gemäß § 81b Alt. 2 StPO erhalten hat, der sollte

  • die Vorladung zur polizeilichen Vernehmung ignorieren und
  • gegen die Anordnung der ED-Behandlung sofort bei der Polizei schriftlich Widerspruch einlegen.

Gleichzeitig sollte er

  • einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beim Verwaltungsgericht stellen.

Wer hiermit einen Strafverteidiger beauftragt, der stellt nicht nur sicher, dass Widerspruch und Antrag den formellen und inhaltlichen Anforderungen genügen; er sorgt auch dafür, dass der Strafverteidiger frühzeitig Akteneinsicht erhält: Zur Begründung des Antrags beim Verwaltungsgericht ist der Strafverteidiger auf Akteneinsicht angewiesen.

Die Rechtsprechung billigt Rechtsanwälten auch im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens ein Recht auf Akteneinsicht zu, wenn diese erforderlich ist, um Grundrechtseingriffe abzuwehren. Wird hierauf Akteneinsicht gewährt, kann die Verteidigungsstrategie für das weitere Strafverfahren frühzeitig erarbeitet werden. Verteidigungsmaßnahmen im Ermittlungsverfahren führen häufig zur Einstellung des Verfahrens. Sträubt sich die Staatsanwaltschaft – etwa aufgrund einer „Gefährdung des Ermittlungszwecks“ – gegen die Gewährung von Akteneinsicht, werden Vorladungen nach § 81b Alt. 2 StPO oft überraschend schnell seitens der Polizei zurückgenommen. Spätestens hier wird dann auch deutlich, dass die ED-Behandlung zur Gefahrenabwehr nicht allzu dringlich gewesen sein kann. Der Betroffene muss im Ergebnis nicht bei der Polizei erscheinen.

...und falls man doch zur ED-Behandlung muss:

Zu guter Letzt: Sollte eine Vorladung gemäß § 81b Alt. 2 StPO ausnahmsweise doch rechtmäßig sein, so muss der Adressat zwar die erkennungsdienstlichen Maßnahmen über sich ergehen lassen. Er muss aber nicht mit den Polizeibeamten sprechen, schon gar nicht über irgendeinen Tatvorwurf. Auch darf er vorher selbstverständlich sein äußeres Erscheinungsbild nach Belieben ändern. Und eine DNA-Probe gehört unzweifelhaft nicht zum Erkennungsdienst – sie sollte deshalb stets verweigert werden, wenn nicht ein eigenständiger gerichtlicher Beschluss vorliegt, gegen den es keine Rechtsmittel mehr gibt. Letzteres ist bei Vorladungen, die nur auf § 81b Alt. 2 StPO gestützt sind, so gut wie nie der Fall.

Rechtsanwalt Maik Bunzel, Cottbus



Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Maik Bunzel

Beiträge zum Thema