Wann geht man als Verurteilter in den offenen Vollzug und wann in den geschlossenen Vollzug?

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Kommt es zu einer Verurteilung des Angeklagten in einem Strafprozess, schließt sich oft die für den Mandanten entscheidende Frage an, ob er seine Freiheitsstrafe im offenen Vollzug verbringen darf. Eine pauschale Antwort hierauf kann der Rechtsanwalt nicht Frage geben. Die Unterbringung im offenen oder geschlossenen Vollzug hängt von mehreren Faktoren ab, die zum Großteil im Angeklagten und im Strafurteil selbst liegen.

Laut des Statistischen Bundesamts befanden sich zum Stichtag 31. März 2018 insgesamt 50.957 Personen in Haft. Rund 85 % davon im geschlossenen und nur 15 % im offenen Vollzug.

1. Der Weg vom Urteil in die Justizvollzugsanstalt.

Wird man nach einem Gerichtsverfahren als Angeklagter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, stellt sich die Frage: Wie geht es jetzt weiter? Wenn sich der Angeklagte während der Hauptverhandlung des Strafprozesses nicht in Untersuchungshaft befand, ist der Regelfall, dass der Angeklagte den Gerichtssaal allein verlassen darf (Saalentlassung). Er hat nun etwas Zeit (meist einige Wochen), bis er die Haftstrafe in der JVA antreten muss. Er wird dann Post von der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde (§ 451 StPO) mit der Benachrichtigung zum Haftantritt erhalten.

In selteneren Fällen kann der Angeklagte auch direkt „aus dem Gerichtssaal“ nach Abschluss der mündlichen Verhandlung bis zur Rechtskraft des Urteils (§ 449 StPO) in Untersuchungshaft genommen werden, sollte der Haftgrund der Fluchtgefahr weiter bestehen, vgl. § 112 II Nr. 2 StPO.

Erhält der Angeklagte die Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft zum Haftantritt, kennt er nun auch das Datum, an dem seine Haftzeit beginnt.

Bis dahin hat der Angeklagte die Möglichkeit, Vorkehrungen wie das Informieren des Arbeitgebers oder das Kündigen der Mietwohnung etc. zu treffen.

2. Der Beginn der Haftzeit

Unmittelbar nachdem der Häftling seine Haftstrafe angetreten hat, wird das sogenannte Aufnahmeverfahren (§7 StVollzG Bln) und anschließend das Diagnostikverfahren (§8 StVollzG Bln) durchgeführt. Dabei wird in einem nur kurzen Gespräch mit dem Häftling dessen derzeitige Lebenssituation untersucht, aber auch eine ärztliche Untersuchung findet in der sog. EWA (Einweisungsabteilung) statt. Bei dem Diagnostikverfahren werden speziell die Persönlichkeit des Täters, sowohl die Ursachen und Umstände der Straftat (z. B. Betrug oder Gewaltdelikt), aber auch sämtliche weiteren Umstände, die den Häftling betreffen, beleuchtet. Darunter zählt auch, wie das soziale Empfangsbecken des Verurteilten ist, wenn er eines Tages aus der Haft kommt, wie die Kontakte also sind zu Familie, Freunden und (ehemaligen) Arbeitskollegen.

Ziel der Untersuchungen ist es, eine „zielgerichtete und wirkungsorientierte Vollzugsgestaltung“ (§ 8 III StVollzG Bln) zu ermöglichen. Sodann wird erst der Vollzugs- und Eingliederungsplan (§ 9 StVollzG Bln) für jeden Häftling individuell erstellt (innerhalb der ersten 6 Wochen). Dieser Vollzugsplan wird in der Vollzugsplankonferenz (bei Besonderheiten sogar mit Anstaltsleitervorbehalt) alle 6 Monate überprüft und ggf. angepasst. Es wirken dabei mit die (Teil-)Anstaltsleitung, der leitende Justizbeamte, der Sozialarbeiter des Hauses der (Teil-)Anstalt, der Gefängnispsychologe, der Verurteilte selbst und ggf. sogar sein Anwalt. 

Bei den Vollzugsplankonferenzen darf der Anwalt bzw. der Strafverteidiger des Verurteilten als Fürsprecher und Bindeglied für diesen nach außen anwesend sein. Zu beachten ist aber, dass ein Anspruch auf Anwesenheit nicht besteht, es also vom Ermessen der Anstaltsleitung der JVA abhängt, ob dieser bei der VPK mit reindarf. 

Dieser so regelmäßige festzuschreibende Vollzugsplan enthält dann auch die Entscheidung über die Unterbringung im offenen oder geschlossenen Vollzug (§ 10 I Nr. 3 BstVollzG Bln) und umfasst die Fragen, was mit dem Verurteilten innerhalb der nächsten Haftzeitz passiert.

Bedenken bestehen hierbei, weil die Prognosen innerhalb der EWA nur Kurzaufnahmen sind, die aber große Bedeutung haben innerhalb der Personalakte des Inhaftierten und für seine Erfolgsaussichten etwaiger Lockerungen. 

3. Der offene Vollzug

Die Unterscheidung zwischen offenem und geschlossenem Vollzug ist im Gesetz nur sehr grob skizziert. „Abteilungen des offenen Vollzugs sehen keine oder nur verminderte Vorkehrungen gegen Entweichungen vor“ (§16 I StVollZG Bln). Nach dem Gesetz stellt der offene Vollzug also ein Minus zum geschlossenen Vollzug dar und hat daher weniger einschneidende Reglementierungen. 

Der Wunsch in den offenen Vollzug zu gelangen ist daher nachvollziehbar. In Berlin gilt, dass der offene Vollzug der Regelvollzug ist. 

Aber wer ist nun dafür geeignet?

„Die Gefangenen sind im offenen Vollzug unterzubringen, wenn sie dessen besonderen Anforderungen genügen, insbesondere nicht zu befürchten ist, dass sie sich dem Vollzug entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzugs zur Begehung von Straftaten missbrauchen werden.“ (§ 16 II StVollzG Bln)

In der konkreten Ausgestaltung kann das für den Häftling bedeuten: Er verlässt morgens die Anstalt, geht seiner Arbeit nach und kommt anschließend zurück in die JVA. Die Wochenenden könnten (!) zu Hause verbracht werden und innerhalb der JVA kann an den Freizeit- und Sportunterhaltungen teilgenommen werden.

4. Der geschlossene Vollzug

Das Gesetz besagt: „Genügen die Gefangenen den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs nicht oder nicht mehr, so werden sie im geschlossenen Vollzug untergebracht“ (§ 16 III StVollzG Bln). Somit stellt der geschlossene Vollzug bei Versagung den Regelfall dar. Im geschlossenen Vollzug gibt es einen streng überwachten Tagesplan, der bei Nichtachtung Sanktionen bis hin zum Arrest nach sich ziehen kann. Aber natürlich rückt die Verlegung in den offenen Vollzug bei Regelverstößen in weite Ferne.

5. Für den offenen Vollzug (un)geeignet?

Zum Teil besagt § 16 II StVollzG Bln, wer für den offenen Vollzug prinzipiell ungeeignet ist: Nämlich Gefangene, die sich dem Vollzug entziehen könnten oder den offenen Vollzug für weitere Straftaten missbrauchen. Darüber hinaus sind süchtige/ abhängige Menschen schlechter geeignet. Insbesondere kann ein Regelverstoß im offenen Vollzug wie Alkoholkonsum oder Verspätungen dazu führen, dass man als ungeeignet gilt und zurück in den geschlossenen Vollzug muss. 

Fazit

Auskunft über die Erfolgsaussichten für den offenen Vollzug (oder sonstige Lockerungen wie z. B. einmaligem Ausgang bei etwa Einschulung, Hochzeit, Beerdigung) kann von hier geleistet werden, wenn die Strafprozessakte über das Strafverfahren und die Personalakte aus dem Knast beigezogen und überprüft wird. 

Bei Ablehnung einer Lockerung oder des offenen Vollzugs durch die Staatsanwaltschaft (diese ist die zuständige Behörde für den gesamten Strafvollzug) kann gemäß § 109 StVollzG Bln in einem Kammerverfahren geklagt werden auf Erteilung der Maßnahme 

Grundsätzlich steigern vor allem eine „gute Führung“ innerhalb der JVA und ein (wirkliches) Interesse an der persönlichen Aufarbeitung der Straftat (Straftatleugner?) und die aktive Teilnahme an Arbeits- und Lernprogrammen die Chancen auf den offenen Vollzug. 

Weitere wesentliche Punkte pro und contra können anhand der Aktenlage entwickelt werden und bei Gesprächen mit Familie oder Freunden eines Verurteilten beim anwaltlichen Beratungsgespräch erörtert werden. 

Kanzleireferendar Timothy Peiker mit RA Daniel Lehnert (Fachanwalt für Strafrecht/Lehrbeauftragter HWR-Berlin)



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