Wann haben Arbeitnehmer ein Recht auf Abfindung?

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1. Eine „Urban Legend“: Der Abfindungsanspruch

In meiner Beratungspraxis begegne ich immer wieder der Vorstellung, dass Arbeitnehmern, insbesondere bei einer betriebsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber, grundsätzlich ein Anspruch auf Abfindung zusteht. Der Mandant erwartet nicht selten, dass sich die Höhe anhand gesetzlicher Vorschriften berechnen lässt. Tatsächlich ist der Arbeitgeber arbeitsrechtlich in der Regel nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer eine Abfindung zu zahlen, wenn die Kündigung rechtswirksam ist, d. h. die ausgesprochene Kündigung zulässig und begründet war.

2. Das Recht auf Abfindung als Ausnahme

Ein durchsetzbarer Anspruch auf Abfindung ist in der Praxis die Ausnahme. Ein solcher Anspruch kann ausnahmsweise (1) als vertraglicher Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber entstehen oder (2) sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Vertragliche Ansprüche auf Abfindung können sich u. a. ergeben aus

  • dem Arbeitsvertrag
  • einer Betriebsvereinbarung (Sozialplan)
  • einem Tarifvertrag
  • einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1a KSchG

Auch eine betriebliche Übung, z.B. wiederholte Abfindungszahlungen nach einem bestimmten Schlüssel, können als Ausprägung des arbeitsrechtlichen Gleichheitsgrundsatzes zu einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Abfindung führen. Darüber hinaus können Abfindungsansprüche gegeben sein, die sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben oder durch das Arbeitsgericht festgesetzt werden, wie zum Beispiel

  • aus § 113 BetrVG (bei Betriebsänderungen)
  • aus §§ 9 Abs. 1 S. 1, 10 KSchG bei einem Antrag des Arbeitnehmers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses
  • aus §§ 9 Abs. 1 S. 2, 10 KSchG bei einem Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses
  • als Schadensersatz für eine unrechtmäßige Kündigung aus § 628 BGB

Aber auch hier liegen die Voraussetzungen für einen Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers so gut wie nie vor. So stellen Gerichte bei Auflösungsanträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern (Ausnahme bei leitenden Angestellten, § 14 Abs.2 S.2 KSchG) für die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses so hohe Anforderungen, dass die Voraussetzungen fast nie gegeben sind.

3. Warum werden dennoch oft Abfindungen gezahlt?

Obwohl ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Abfindung daher die Ausnahme darstellt, werden in der Praxis dennoch oft Abfindungen gezahlt. Die Motivation des Arbeitgebers liegt meist darin begründet, dass er sich damit das Einverständnis des Arbeitsnehmers für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses „erkauft“. Denn ohne eine solche Beendigung trägt der Arbeitgeber bei einem Kündigungsschutzprozess das Risiko des Annahmeverzugs. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, sollte letzterer den Prozess gewinnen, nicht nur weiterbeschäftigen, sondern ihm trotz Nichtbeschäftigung den gesamten bis dahin ausstehenden Lohn nachzahlen müsste. Hinzu kommt, dass auch der Arbeitgeber (in der ersten Instanz) seinen eigenen Anwalt bezahlen und eventuell Rückstellungen bilden muss, die seine Bilanz belasten.

4. Tipps für den Arbeitgeber

In einem Betrieb wird sich auch bei guter Auswahl der Arbeitnehmer auf lange Sicht nicht verhindern lassen, dass man sich auch einmal von einem Arbeitnehmer trennen muss. Sofern es um einen Mangel an Leistung geht, wird die Situation so gut wie nie plötzlich und überraschend entstehen. Wichtig ist, die Entwicklung zu steuern, zu dokumentieren, eventuell Abmahnungen auszusprechen und dadurch alle Voraussetzungen zu schaffen, dass man sich, wenn nötig, auch durch Kündigung trennen kann. Wer seine Führungskräfte schult (siehe mein Rechtsprodukt „Inhouse Schulung für HR Business Partner und Führungskräfte“ bei anwalt.de) und die Zusammenarbeit der Führungskräfte mit der Personalabteilung unterstützt, wird selten Fälle erleben, die plötzlich eskalieren und deshalb am Ende teuer werden.

5. Tipps für den Arbeitnehmer

Zunächst einmal müssen Sie sich die Frage stellen, ob Ihnen vor allem am Erhalt des Arbeitsplatzes gelegen ist oder ob es Ihnen in erster Linie um eine Abfindung geht. Die Antwort auf diese Frage wird die Taktik Ihres im Arbeitsrecht geschulten Anwalts bestimmen. Sollte es Ihnen um eine Abfindung gehen, wird es das Ziel sein, die eventuellen Fehler und Schwachstellen der Kündigung (Sozialauswahl, Vollmacht, Begründung, Betriebsratsanhörung etc.) zu identifizieren und im Prozess oder, falls eine außergerichtliche Einigung erreicht werden soll, in einer außergerichtlichen Verhandlung darzulegen. In jedem Fall ist angeraten, bei einer Kündigung frühzeitig professionelle Hilfe einzuholen (siehe mein Rechtsprodukt „Erstberatung Arbeitnehmer zu Kündigung und Aufhebungsvertrag“ bei anwalt.de).


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