Wann kommt man als Angeklagter noch mit Bewährung davon? Argumente dafür aus Strafverteidigersicht

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Als klassische Strafen nennt das deutsche Strafrecht die Freiheitsstrafe oder die Geldstrafe. Eine Bewährungsstrafe ist somit keine eigene, hiervon losgelöste Strafe im herkömmlichen Sinne, sondern eine echte Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung vom Gericht zur Bewährung ausgesetzt werden kann, sodass man dann von einer „Bewährungsstrafe“ spricht.

Zur Erklärung einer Strafaussetzung zur Bewährung wird häufig das Bild des Damoklesschwertes aus der griechischen Mythologie bemüht, um nachzuvollziehen, was eine Bewährung im Alltag eines Verurteilten bedeutet:

Damokles war ein Günstling des Tyrannen Dionysos I. Zur Veranschaulichung von Vergänglichkeit von Macht und Reichtum lud der Herrscher Damokles zum Festmahl ein und ließ über seinem Platz an der Tafel- nur an einem einzigen Rosshaar befestigt-ein Schwert- hängen, welches es ihm unmöglich machte, den dargebotenen Luxus zu genießen, worauf Damokles bat, auf die Annehmlichkeiten und die damit verbundene Bedrohung verzichten zu dürfen. Er lernte, dass Luxus und Reichtum immer eine Gefahr darstellen und mit Gefahr verbunden sind.

Analog dem Damoklesschwert schwebt also auch über dem Angeklagten während der gesamten Bewährungszeit unsichtbar und bedrohlich zugleich die Aussetzung seiner Freiheitsstrafe, welches schon bei der geringsten Verfehlung auf ihn herabfällt. Der Angeklagte hat sich folglich zu bewähren. Andernfalls folgt in aller Regel gerichtlicher Bewährungswiderruf, darauf folgt die Strafvollstreckung, d. h. schriftliche Ladung zum Haftantritt zur Strafe in eine Justizvollzugsanstalt.

Zur Vermeidung dieses Szenarios soll der folgende Beitrag aus Sicht eines Strafverteidigers Berlin zeigen, wie und wann eine Bewährungsstrafe für einen Angeklagten noch in Betracht kommt und welche Argumente und Umstände dem erkennenden Strafgericht dazu vom Strafverteidiger vorgetragen werden sollten.

1.Szenario: unbestrafter Angeklagter Mandant

Für die Strafverteidigung ist zunächst zu unterscheiden, welcher Straftat (nach § 12 StGB alle Verbrechen und Vergehen) der Angeklagte durch Staatsanwaltschaft Berlin oder Amtsanwaltschaft Berlin angeklagt ist, deren Gegenstand wiederum die strafgerichtliche Beweisaufnahme bilden wird und wie ernst die Situation von Vorstrafen des Angeklagten ist:

Möglicherweise ist der vorm Strafgericht Angeklagte noch nie mit den Strafverfolgungsbehörden in Konflikt geraten, sodass sein Bundeszentralregister keine Eintragungen im Sinne des § 5 BZRG aufweisen wird.

Bei einem somit ersten Regelverstoß und Kontakt zur Strafjustiz müsste ein Gericht noch auf Bewährung erkennen, eben weil (bei einer Verurteilung zu weniger als einem Jahr, § 56 Abs. 1 StGB) zu unterstellen ist, dass ein Angeklagter sich diese Verurteilung zur Bewährung schon zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird.

Das Gericht spricht dann von einer günstigen Sozialprognose (§ 56 Abs. 1StGB), zu welcher es auch die (Jugend)Gerichtshilfe oder einen Sachverständigen heranziehen kann. Für die Prognose kann ausreichen, dass die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens größer ist als diejenige neuer Straftaten (NStZ 97, 594). Dies muss dann aber zur Überzeugung des Gerichts auch feststehen. Die eine günstige Sozialprognose stützenden Umstände müssen rechtsfehlerfrei festgestellt werden, wobei den Angeklagten keine Darlegungslast trifft und auch nicht der zu seinen Gunsten sprechende Zweifelssatz in-dubio-pro-reo außer Kraft tritt.

Die als Indizien zu bewertenden Umstände sind dem Beweis zugängliche Tatsachen und damit über Beweisanträge einführbar. So kann von der Strafverteidigung ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen zum Beweis der Tatsache, dass eine günstige Prognose besteht, gestellt werden: Beweisanträge eines Angeklagten darf ein Gericht nur unter sehr engen Voraussetzungen ablehnen, § 244 StPO.

Die Prognosefindung im engeren Sinne beleuchtet dann die Person des Angeklagten, seine Vergangenheit, seinen Umgang mit der Tat und seine innere Einstellung zu ihr. Tatfremde Erwägungen dürfen weder herangezogen noch verwertet werden. Auf die Vorwerfbarkeit negativer Faktoren (wie z.B. der Rückfall in eine BtM-Abhängigkeit) kommt es nicht an; Drogenfreiheit ist daher auch nicht Voraussetzung einer Strafaussetzung (BayStVG 1992, 16).

2. Szenario: vorbestrafter, ggf. auf Bewährung befindlicher Mandant ist erneut angeklagt

Schwieriger wird es für das Gericht, eine günstige Sozialprognose zu erstellen, wenn der Angeklagte Mandant vorbestraft ist. Wie oben beschrieben, muss das Gericht sich nämlich mit dessen Vorleben befassen und es mit in seine Erwägungen einbeziehen. Aus dem Vorleben interessiert die Strafjustiz vor allem Vorstrafen (kriminelle Karriere?). Sind diese Vorstrafen dann noch einschlägig – d.h.aus dem gleichen oder ähnlichen Deliktsfeld miteinander ähnlicher Straftaten- und liegen diese noch nicht lange Zeit zurück, bedarf es dann schon besonderer Umstände, um doch noch zu einer positiven Prognose zu kommen. Dies liegt insbesondere vor, wenn bereits frühere Bewährungsfristen nicht bestanden oder die neue, jetzt angeklagte Tat in einen Bewährungszeitraum fällt (Bewährungsversager?).

Zu berücksichtigen ist dafür und spricht zugunsten des Angeklagten, wenn zwischen der ersten Tat und der neuen, jetzt akuten Aburteilung ein erheblicher straffreier Zeitraum liegt („nur“ Bewährungsverstoß bei fast durchgehaltener Bewährung, mithin in deren letzten Zeitfenster).

Ausländische Vorverurteilungen, vor allem Vorverurteilungen aus Mitgliedstaaten der EU, dürfen von einem Gericht zur Sozialprognose berücksichtigt werden (BT-Drs. 16/13673,10 zum RB v. 24.07.2008). Als Strafverteidiger muss hier Akteneinsicht im Wege eines gerichtlichen Beiziehungsantrages über die ausländischen Gerichtsakten (und deren Übersetzung ins Deutsche) gestellt werden. Nur so ist (für die Revisionsinstanz) gesichert, dass die der alten Verurteilung zugrundeliegende Strafpraxis abweicht von einer jetzt anstehenden Straffindung auf dem Hoheitsgebiert der StPO und daher nicht 1: 1 von einem Gericht (negativ) berücksichtigt werden darf. Denn möglicherweise stützt sich eine alte Verurteilung auf eine Straftat, welche hier gar nicht unter Strafe steht und oder hier nur als Ordnungswidrigkeit verfolgt wird. Dann muss der Einbeziehung dieses alten, dem deutschen (Straf)recht widersprechenden Urteils durch den Strafverteidiger widersprochen werden.

Unterschiede der Rechtsanwendung und Urteilsfindung zwischen alter, ausländischer Vorstrafe und akuter Prognosesituation müssen am Ende auf diesem Wege geklärt werden. Einen Beiziehungsantrag von Strafakten aus dem alten Verfahren darf ein Gericht auch nicht ablehnen, andernfalls wäre dem Strafverteidiger ein absoluter Revisionsgrund geschaffen (Nach § 337 I Nr. 8 StPO ist ein Urteil stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluss des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist).

Die Chancen -eine trotz Vorstrafen noch günstige Sozialprognose zu bekommen -steigen, wenn der Angeklagte (ununterbrochen) in Untersuchungshaft gesessen hat und möglicherweise als Ausländer in der Untersuchungshaft sprachlich und damit gesellschaftlich isoliert war, seine Familie im Ausland vermisst und möglicherweise Haftbeschränkungen gegen ihn (und zu seinen inhaftierten Mittätern) nach § 119 StPO bestehen.

Denn wer erstmals in Untersuchungshaft sitzt, gilt automatisch als besonders haftempfindlich.

Wer als Jugendlicher in der Untersuchungshaft sitzt, gilt als besonders haftempfindlich, auch wenn bereits Jugendarrest verbüßt wurde und wird das Gericht wegen § 72 JGG die schädlichen Einwirkungen der Haft auf den jungen Menschen und dem zuwiderlaufenden Erziehungsgedanken kritisch prüfen und sich eine günstige Sozialprognose auch trotz Vorstrafen stellen lassen.

In beiden Situationen wird die Sozialprognose beinhalten, dass schon erlittene Untersuchungshaft zahlreiche Entbehrungen mit sich brachte, welche gegenüber der echten Strafhaft sogar deutlich schwerer wiegen (z. B. täglich eine Stunde Zellenaufschluss in der Untersuchungshaftanstalt). Der gemessen an der Sicherung des Hauptverfahrens bestehende Nebeneffekt der Untersuchungshaft verdeutlicht, dass ein Angeklagter bereits durch die Grenzerfahrung Untersuchungshaft derart beeindruckt sein kann, dass ihm diese als besondere Umstände zuteilwerden, nach der ein Gericht auch dann über § 56 Abs. 2 StGB die Strafe zur Bewährung aussetzen kann.

3.Szenario: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung/ Bewährungswiderruf 

Eine in den Bewährungszeitraum zeitlich fallende Straftat führt jedoch nicht automatisch zum Bewährungswiderruf:

Das Strafgericht widerruft nach § 56 StGB die Strafaussetzung, wenn die verurteilte Person in der Bewährungszeit eine Straftat begeht und dadurch zeigt, dass die Erwartung, die der Strafaussetzung zugrunde lag, sich nicht erfüllt hat, gegen Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt oder sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin oder des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass sie erneut Straftaten begehen wird, oder gegen Auflagen gröblich oder beharrlich verstößt.

Das Strafgericht widerruft die Strafaussetzung außerdem, wenn die Tat in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung und deren Rechtskraft oder bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung in der Zeit zwischen der Entscheidung über die Strafaussetzung in einem einbezogenen Urteil und der Rechtskraft der Entscheidung über die Gesamtstrafe begangen worden ist.

Ausnahmsweise sieht das Gericht jedoch von dem Widerruf ab, wenn es ausreicht, weitere Auflagen oder Weisungen zu erteilen, insbesondere die verurteilte Person einer Bewährungshelferin oder einem Bewährungshelfer zu unterstellen, oder die Bewährungs- oder Unterstellungszeit zu verlängern, wobei die Bewährungszeit nicht um mehr als die Hälfte der zunächst bestimmten Bewährungszeit verlängert werden darf.

Die so nachträgliche Verlängerung der durch das Gericht nach §56 a StGB verhängten Bewährungszeit (§ 56 a StGB: Mindestdauer der Bewährungszeit: 2 Jahre, Höchstdauer der Bewährungszeit: 5 Jahre) halte ich für ein probates Mittel, um letztmalig Haft zu vermeiden. Der Angeklagte erhielte somit nachträglich eine staatliche Reaktion auf im Bewährungszeitraum begangenes Unrecht, er müsste dennoch nicht die Bewährung widerrufen und somit zum Haftantritt. 

Die Gerichte sind hierzu im Vergleich zur Bewährungsauflage: Bewährungshelfer m. E. n eher geneigt, da die Verlängerung der Bewährungszeit für den Staat kostengünstiger und effektiver durchzusetzen ist.

Daniel Lehnert, Strafverteidiger in Berlin, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht



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