Weiter Hickhack um Rechtsgrundlage für Videoaufzeichnung von Verkehrssündern

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Bei der Verteidigung gegen Bußgeldbescheide sind speziell bei Videoüberwachungssystemen seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von August 2009 (2 BvR 941/08) rechtliche Bedenken gegen die Verwertbarkeit der Messung in den Vordergrund getreten. Doch während danach für manchen Autofahrer der Strafzettel keinen Bestand hat müssen andere das Bußgeld schlucken.

Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seiner Entscheidung im Zusammenhang mit der Feststellung und Verfolgung von Geschwindigkeits- und Abstandsverstößen mit dem videogestützten Verkehrskontrollsystem Vidit VKS für Aufsehen gesorgt. Sinngemäß hatte das BVerfG erkannt, dass es unzulässig ist, die Rüge des Betroffenen im Bußgeldverfahren zu übergehen, die Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes mittels permanenter Videoaufzeichnung sei ohne entsprechende Rechtsgrundlage erfolgt und daher rechtswidrig. Die Verfassungsrichter haben klargestellt, dass ein Grundrechtseingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eines Verkehrsteilnehmers durch eine Videoaufzeichnung von einer Rechtsgrundlage getragen sein muss, die verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügt. Ein ministerieller Erlass wie im Ausgangsfall genüge diesen Anforderungen keinesfalls.

Anders als beispielsweise bei jeglicher Art von „Bliterzfotos" sei zur Anfertigung einer „durchlaufenden", verdachtsunabhänigen Videoaufzeichnung eine Ermächtigung durch ein hinreichend bestimmtes und verhältnismäßiges formales Gesetz erforderlich. Anders als bei Messverfahren wie „Traffipax Speedophot" oder „Traffiphot S", wo nur Fahrzeuge bzw. Fahrzeugführer mittels Bilddokumentation erfasst werden, bei welchen aufgrund des Ergebnisses der Berechnungen der Messeinrichtung der Verdacht einer Zuwiderhandlung bereits bestätigt ist, wird das Verkehrskontrollsystem Vidit VKS 3.01 in der Regel so eingesetzt, dass die eigentliche „Messkamera" auf einer Brücke aufgestellt wird. Sie filmt die gesamte erkennbare Fahrbahnstrecke (meist 400 bis 500 m weit). Eine zweite Kamera kann dann zur Fahreridentifizierung oder zur Feststellung der Kennzeichen tiefer angebracht werden. Diese hat mit der eigentlichen Geschwindigkeits- und Abstandsbestimmung nichts zu tun. Der Aufbau dieser Kameras entspricht also grundsätzlich dem bereits bekannten VAMA-System. Ebenso wie bei diesem System ist die zweite Kamera zur Fahreridentifizierung / Kennzeichenfeststellung jedoch mit der „Messkamera" synchronisiert. Die Auswertung des kodierten Videobandes erfolgt durch ein spezielles Computersystem. Dabei wird die Perspektive im Videobild berechnet und mittels einer so genannten „Framegrabber-Karte" eine perspektivische Transformation durch Erstellung eines Messrasters durchgeführt. Auf diese Weise können beliebige Punkte auf der Fahrbahnoberfläche digitalisiert und der zurückgelegte Weg eines Fahrzeuges sowie im Zusammenhang mit der Kodierung die Geschwindigkeit des Fahrzeuges berechnet werden.

Die Karlsruher Richter haben in der Anfertigung der Videoaufzeichnung der Verkehrsteilnehmer einen Verstoß gegen das verfassungsmäßige Recht auf informationelle Selbstbestimmung und gegen die informationellen Schutzinteressen des Einzelnen erblickt und daher die Gewinnung und Nutzung solcher Daten im Bußgeldverfahren ohne eine formal-gesetzliche Eingriffsgrundlage als Grundrechtsverstoß gebrandmarkt. Dabei hat der Senat ausdrücklich festgestellt: „Inwieweit zwischen Übersichtsaufnahmen des auflaufenden Verkehrs und Aufnahmen der Fahrzeugführer sowie der Kennzeichen zu differenzieren ist, kann offen bleiben."

Im Anschluss an diese bemerkenswerte Entscheidung des BVerfG hat es eine Reihe von Gerichtsentscheidungen zu Fällen gegeben, in denen Betroffene der Verwertung mittels Videomessung gewonnenen Daten mit Vidit VKS oder verwandten Messverfahren widersprochen haben.

Die hierzu vorliegenden Gerichtsentscheidungen lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Teilweise haben die Gerichte trotz der Entscheidung des BVerfG die Betroffenen verurteilt und dabei die aufgrund der jeweiligen Video-Messung gewonnenen Daten zugrunde gelegt, zum Teil sind die Betroffenen bei Annahme eines Beweisverwertungsverbotes freigesprochen worden.

Derzeit sind zwei konträre oberlandesgerichtliche Entscheidungen bekannt. Das OLG Bamberg, dem sich freilich viele Behörden angeschlossen haben, sieht dabei § 100h StPO als Ermächtigungsgrundlage für die Videomessung an (Beschluß vom 16.11.2009, 2 Ss OWi 1215/09). Nach Auffassung der Bamberger Richter, deren Entscheidung ein Fall des sog. Brückenabstandsmessverfahrens (VAMA) zugrundelag, sei zwar auch durch die Aufnahmen der sog. Identifizierungskamera ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung gegeben weil hierdurch Lebensvorgänge beobachtet und technisch fixiert werden, die später zu Beweiszwecken abgerufen und ausgewertet werden. Jedoch gebe es, wenn diese Identifizierungskamera vom Messbeamten manuell gestartet werde, bereits einen Anfangsverdacht für die Begehung einer Ordnungswidrigkeit, so dass dessen Aufzeichnung per Video eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage in § 100h I 1 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO) habe. Mit dieser Argumentation versuchen aktuell auch einige Polizeipräsidien Messungen mit dem Brücken-Abstandsmessverfahren der Firma Deininger (VIBRAM) zu rechtfertigen.

Eine gegensätzliche Position hat das Oberlandesgericht Oldenburg im Hinblick auf Messungen mit dem Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 eingenommen. Auch bei diesem Messverfahren werden in der Regel mindestens zwei Videoaufzeichnungen vorgenommen, nämlich eine sog. Tatvideoaufzeichnung, mit welcher die Abstands- und Geschwindigkeitsmessung durchgeführt wird, sowie eine Fahrervideoaufzeichnung, welche der Identifikation der Fahrer und der Kennzeichenerfassung dient . Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 (2 BvR 941/08) hatte das Amtsgericht diese Art der Messung mit Rücksicht auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage in Niedersachsen als verfassungswidrigen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung angesehen. Weiterhin war es zu dem Schluss gelangt, dass der Verwertung des rechtswidrig erlangten Messergebnisses ein Beweisverwertungsverbot entgegenstehe. Mit der Messung sei automatisch und unvermeidbar die Aufnahme einer unüberschaubaren Vielzahl von Personen verbunden, welche sich rechtskonform verhielten und über deren persönliche Information dem Staat ein Erfassungsrecht nicht ohne Gesetz zustehe. Dieser mit dem Messverfahren verknüpfte ungerechtfertigte Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Rechte einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern führe dazu, dass dem Verfahren per se eine Verfassungswidrigkeit innewohne. Diese Auffassung hat das OLG Oldenburg in seiner Entscheidung vom 27.11.2009 (Ss Bs 186/09) bestätigt. Ein Beweisverwertungsverbot bejaht haben neben OLG Oldenburg, u.a. auch AG Lünen, AG Eilenburg, AG Grimma, AG Meissen, AG Ludwigslust, AG Kamenz.

Der Auffassung des OLG Oldenburg ist m.E. der Vorzug zu geben. Die Heranziehung des § 100h I 1 Nr. 1 StPO als Rechtsgrundlage mutet seltsam an. Greift das OLG Bamberg doch hierbei auf eine strafprozessuale Vorschrift zurück, die vor dem Hintergrund aktueller Gefährdungsszenarien durch Terrorismus und andere Arten organisierter Kriminalität intensive Grundrechtseingriffe möglich macht. Schon der Blick in die Kommentierung zu dieser Vorschrift zeigt, dass mit „Bildaufnahmen" im Sinne des § 100h I 1 Nr. 1 StPO die Herstellung von Bildaufnahmen zum Zwecke der Observation gemeint ist und die Fertigung von Lichtbildern am Tatort zur Beweissicherung und Auswertung nicht unter diese Norm fällt. Bei der Feststellung von Verkehrsverstößen handelt es sich aber wohl kaum um Observationen, sondern eher um Lichtbilder, die am Tatort zur Beweissicherung und Auswertung gefertigt werden. Die Heranziehung von § 100h I 1 Nr. 1 dürfte sich daher als nicht mehr als ein untauglicher Versuch darstellen, die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe in Form von Videoaufzeichnungen von Verkehrsteilnehmern zu konstruieren.

Statt derartige Seifenblasen abzulassen , sollten Gerichte und Polizeibehörden die schallende Ohrfeige des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Datenschutz ernst nehmen, und entsprechende Verkehrsüberwachungsmaßnahmen solange einstellen, bis der Gesetzgeber eine ausreichende gesetzliche Eingriffsgrundlage geschaffen hat. Der BVerfG hat eine klare Ansage gemacht. Entsprechende Unzulänglichkeiten sollten im Interesse der Verkehrssicherheit schnellstens beseitigt werden, statt sie auf dem Rücken der Autofahrer auszutragen, von denen auch nur diejenigen Recht bekommen können, die in der Lage sind sich gegen entsprechende Bußgeldbescheide anwaltlich zu wehren und der Beweisverwertung zu widersprechen. Weitere Obergerichtliche Urteile im Sinne der Betroffenen zeichnen sich ab. Ich werde berichten.

Der Verfasser, Rechtsanwalt Christian Demuth, ist nahezu ausschließlich als Verkehrsstraf- und Bußgeldverteidiger sowie im Fahrerlaubnisrecht tätig. Weitere Infos: www.cd-recht.de.


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