Wenn die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht zahlt...
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Für fast alle Betroffenen ist das Eingeständnis schwer, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Ausübung des eigenen Berufs in der Lage zu sein – insbesondere, weil dieser Zustand in den meisten Fällen schleichend eintritt und nicht an einen konkreten Zeitpunkt oder an einem konkreten Ereignis festgemacht werden kann. Umso belastender ist es, wenn man über eine Berufsunfähigkeitsversicherung (auch „BU-Versicherung“) verfügt, der Versicherer aber nach Meldung des Versicherungsfalls nicht zahlen will, sondern erst einmal viele Fragen stellt, deren Sinn sich dem Versicherungsnehmer häufig nicht erschließt.
Dennoch sind diese Nachfragen in vielen Fällen notwendig, weil die Voraussetzungen, unter denen der Versicherer die versprochene Leistung – meist eine BU-Rente – zahlen muss, enger sind, als der Versicherungsnehmer meint.
Zwar werden nach erfolgter Meldung und eingehender Prüfung viele Fälle reguliert, jedoch verbleibt immer noch ein gewisser Anteil, bei dem der Versicherer die Leistung aus unterschiedlichsten Gründen verweigert.
Die Versicherer führen für die Leistungsablehnung im Wesentlichen 4 Gründe an, wobei die Ablehnung teilweise auch auf mehrere Gründe gestützt wird. Dies sind:
- Der Versicherungsnehmer erfüllt nicht die Voraussetzungen der Invalidität.
- Der Versicherer erklärt wegen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung die Anfechtung und/oder den Rücktritt vom Vertrag.
- Der Versicherer beruft sich auf einen Risikoausschluss.
- Der Versicherer verweist den Versicherungsnehmer auf einen zumutbaren anderen Beruf.
Die hierzu in den Medien genannten Zahlen sind uneinheitlich, schon weil die meisten Versicherer keine Zahlen zu abgelehnten Leistungen veröffentlichen. Wenn man berücksichtigt, dass ca. 1/3 der angeforderten Leistungsanträge nicht zurückgereicht oder Nachfragen des Versicherers von den Versicherungsnehmern nicht beantwortet werden – und der Anspruch damit nicht mehr verfolgt wird –, sollen ca. 30 bis 40 % der Ablehnung darauf beruhen, dass der Versicherungsnehmer nach Ansicht des Versicherers (noch?) nicht den notwendigen Invaliditätsgrad von 50 % erreicht. In 10 bis 25 % der Fälle soll sich der Versicherer auf eine vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung berufen, wobei diese Quote in Klageverfahren deutlich höher repräsentiert sein dürfte, so jedenfalls die Erfahrung des Verfassers.
Invalidität
Der Versicherer hat sich zur Erbringung der vertraglichen Leistungen verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer berufsunfähig wird. Wann Berufsunfähigkeit vorliegt, wird in dem konkreten Vertrag definiert, das heißt, dass der Begriff der Berufsunfähigkeit auch variieren kann. Ältere Verträge sehen teilweise noch unterschiedliche Leistungen vor, je nachdem, ob der Versicherungsnehmer zu 25 %, 50 % oder 75 % invalide ist. Seit längerer Zeit üblich ist allerdings eine Definition des Versicherungsfalls, nach der Berufsunfähigkeit vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich dauerhaft zu mindestens 50 % außerstande ist, seinen zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf auszuüben.
Wann diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nicht einfach zu bestimmen, weil man dafür (1) genau wissen muss, wie der konkrete Beruf des Versicherungsnehmers ausgestaltet ist, (2) der Versicherungsnehmer aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen zu mindestens 50 % außerstande sein muss, seinen konkreten Beruf auszuüben, und (3) die gesundheitlichen Einschränkungen auch vermutlich dauerhaft sein müssen.
Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Darlegung des Berufsbilds im gerichtlichen Verfahren stellt, sind sehr streng, weshalb es überrascht, dass sich viele Versicherer in ihren Fragebögen auf die Abfrage der Berufsbezeichnung und eine sehr grobe Beschreibung des Berufsbilds – häufig durch Ankreuzen vorformulierter Antworten – beschränken.
Nach Bestimmung des Berufsbildes ist zu prüfen, zu welchen Tätigkeiten des Berufsbildes der Versicherungsnehmer aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr in der Lage ist und ob damit die Quote von 50 % erreicht wird. In der Regel lassen sich die Versicherer hierbei auf Grundlage des Fragebogens durch einen Beratungsarzt beraten, der medizinische Unterlagen beizieht und ggf. auch den Versicherungsnehmer persönlich untersucht. Allerdings eröffnet sich durch diese Regulierungspraxis auch eine Fehlerquelle bei der Beurteilung, wenn der Beratungsarzt z. B. aufgrund der fehlenden oder fehlerhaften Informationen zum konkreten Berufsbild bei der Bewertung von falschen Voraussetzungen ausgeht.
Dritte Voraussetzung der Berufsunfähigkeit ist, dass die Einschränkung voraussichtlich dauerhaft sein muss. Damit grenzt man die Leistung der Krankentagegeldversicherung zur Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Allerdings gibt es in vielen neuen Verträgen eine Erleichterung: Wenn nämlich der Versicherungsnehmer aufgrund der Erkrankung 6 Monate ununterbrochen außerstande war, seinen Beruf auszuüben, so gilt dies als dauerhaft. Diese Vermutung der dauerhaften Einschränkung greift insbesondere bei psychischen und schwereren orthopädischen Erkrankungen.
Ob sich eine Rechtsverfolgung – in der Regel also eine Klage – bei einer Leistungsablehnung wegen Nichterreichens der Quote lohnt, ist immer eine Frage des Einzelfalls, die sowohl vom Berufsbild als auch von der Erkrankung abhängt. Im Fall von Selbstständigen kommt noch die Frage hinzu, ob der Versicherungsnehmer evtl. verpflichtet ist, sein Unternehmen so umzugestalten, dass keine Berufsunfähigkeit mehr vorliegt. Sofern eine Ablehnung des Antrags ausdrücklich wegen Nichterreichens des Invaliditätsgrades erfolgt, sollte sich ein Versicherungsnehmer in jedem Fall durch einen versierten Rechtsanwalt beraten lassen.
Anfechtung/Rücktritt wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung
Bei Vertragsschluss muss der Versicherungsnehmer in der Regel Fragen zu seinem aktuellen Gesundheitszustand und zu Vorerkrankungen beantworten. Beantwortet er die Fragen absichtlich falsch, um so die Annahme des Vertrags sicherzustellen, so kann der Versicherer berechtigt sein, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Beantwortet er die Fragen „nur“ vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch, so kann der Versicherer ggf. unter weiteren Voraussetzungen vom Vertrag zurücktreten. Die Voraussetzungen unterscheiden sich, je nachdem, ob der Vertrag vor dem 01.01.2008 oder danach abgeschlossen wurde. Insbesondere bei Verträgen, die nach dem Stichtag abgeschlossen wurden, sind die Voraussetzungen für den Versicherer sehr eng. Ich habe zu diesem Fragekomplex hier bereits einen längeren Beitrag veröffentlicht.
Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass es in vielen Fällen sehr gute Ansatzpunkte gibt, gegen den Versicherer mit Erfolg vorzugehen, sodass jedenfalls geprüft werden sollte, ob die Ablehnung angreifbar ist.
Risikoausschluss
Teilweise erfolgt die Ablehnung des Versicherungsanspruchs mit der Begründung, dass für das realisierte Risiko ein sog. Risikoausschluss greift. In den aktuellen Musterbedingungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft finden sich die allgemeinen Risikoausschlüsse in § 5. Die dortigen Risikoausschlüsse betreffen im Wesentlichen Körperverletzungen bei Unruhen, im Kriegsgeschehen oder durch ABC-Waffen sowie Fälle, in denen die körperliche Einschränkung vorsätzlich durch den Versicherten oder Versicherungsnehmer herbeigeführt wurde.
Daneben werden in vielen Verträgen auch individuelle Risikoausschlüsse vereinbart, in der Regel, weil eine Vorerkrankung bestand oder ein bestimmter Beruf mit bestimmten Risiken verbunden ist, die der Versicherer zu diesem Preis nicht mitversichern wollte.
Verweisung
Viele Verträge sehen als negative Voraussetzung für die Gewährung einer BU-Rente vor, dass der Versicherungsnehmer nicht auf einen anderen Beruf verwiesen werden kann. Neuere Verträge verzichten allerdings immer häufiger auf diese Möglichkeit.
Man unterscheidet bei der Verweisung zwischen der abstrakten und der konkreten Verweisung. Für eine abstrakte Verweisung reicht es aus, wenn der Versicherungsnehmer den Beruf ausüben könnte und es wirklich einen Arbeitsmarkt für derartige Anstellungen gibt. Es kommt bei der abstrakten Verweisung also nicht darauf an, ob der Versicherungsnehmer eine solche Anstellung tatsächlich gefunden hat, sondern es reicht, dass derartige Stellen existieren. Dies schränkt den Versicherungsschutz sehr weit ein.
Das Gegenstück zur abstrakten Verweisung ist die konkrete Verweisung. Ist die konkrete Verweisung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbart, so kann der Versicherer den Versicherungsnehmer nur auf solche Berufe verweisen, die er auch tatsächlich ausübt. Der Versicherungsnehmer muss also bereits eine Anstellung gefunden haben.
In beiden Fällen muss die Möglichkeit der Verweisung im Vertrag vereinbart sein und die verwandte Klausel darf nicht überraschend oder benachteiligend sein.
Liegt eine wirksame Vereinbarung vor, so stellt sich in der Praxis die Frage, ob der Beruf, auf den der Versicherer den Versicherungsnehmer verweisen will, eine Tätigkeit ist, zu der der Versicherungsnehmer „aufgrund seiner Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht“. Im Wesentlichen wird dabei überprüft, ob der Verweisungsberuf dem gleichen Ausbildungsniveau entspricht, ob das Ansehen des Verweisungsberufs in der Öffentlichkeit dem Ansehen des ursprünglichen Berufs entspricht und ob die Verdienstmöglichkeiten ähnlich sind, wobei der Versicherungsnehmer auch Abstriche in Kauf nehmen muss. Die Beantwortung dieser Frage ist immer eine Einzelfallentscheidung, die auf der Wertung des Gerichts beruht, wobei sich in der Rechtsprechung gewisse Richtlinien herausgebildet haben, die jedoch nicht bindend sind.
Ablauf des Verfahrens
Wenn der Versicherer die Leistungen aus dem Vertrag ablehnt und der Versicherungsnehmer hiermit nicht einverstanden ist, sollte zuallererst eine Beratung durch einen in diesem Bereich erfahrenen Rechtsanwalt in Anspruch genommen werden, um zu prüfen, ob die Argumentation des Versicherers Angriffspunkte bietet. Schließlich besteht die Möglichkeit, dass die Ablehnung zu Recht erfolgt.
Kommt man zu dem Ergebnis, dass sich Angriffspunkte zeigen, so sollte zuerst außergerichtlich mit dem Versicherer korrespondiert werden. Denn soweit die Ablehnung auf sachlichen Erwägungen (zu geringe Invalidität, Risikoausschluss, Verweisung) beruht, so sind die Versicherer in aller Regel bereit, ihre Entscheidung zu überprüfen, sofern der Versicherungsnehmer sachliche Einwendungen gegen die Regulierungsentscheidung vorbringen kann. Dies ist aller Erfahrung nach in Fällen, in denen der Versicherer den Vertrag angefochten hat oder den Rücktritt erklärt hat, nicht der Fall, jedoch bringt auch dann die außergerichtliche Korrespondenz noch wertvolle Hinweise, wenn der Versicherer seinen Standpunkt ausführlich erneut begründet und evtl. weitere ihm bekannte Tatsachen offenbart.
Sofern der Versicherer außergerichtlich nicht seine Ansicht ändert, so verbleibt dem Versicherungsnehmer in aller Regel nur der Klageweg, da z. B. der Ombudsmann keinen Beweis einholen könnte. Im Klageverfahren wird – sofern streitig – das konkrete Berufsbild geklärt und dann ein Gutachten zur Frage eingeholt, ob der Versicherungsnehmer berufsunfähig ist. Konkrete Zahlen zum Ausgang der Verfahren gibt es nicht. Sekundärquellen besagen jedoch, dass mehr als die Hälfte aller Verfahren mit Vergleichen enden. In ca. 30 % der Klagen gewinnt der Versicherer, in 10 % der Versicherungsnehmer. In den verbleibenden Fällen wird die Klage zurückgenommen. Das bedeutet, dass durch das Klageverfahren in 60 % der Fälle für den Versicherungsnehmer etwas gewonnen wird.
RA Heiko Effelsberg, LL.M.
Fachanwalt für Versicherungsrecht
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