Wiederheirat: Kündigungsgrund für kirchlichen Arbeitgeber oder Diskriminierung?

  • 4 Minuten Lesezeit

Den kirchlichen Arbeitgebern, oftmals in der Kritik hinsichtlich der von ihnen gestellten Arbeitsbedingungen, wird vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Reichweite des auf Erden geltenden Diskriminierungsverbots aufgezeigt.

In der Entscheidung vom 11.09.2018 (Az.: C-68/17) wurde grundsätzlich klargestellt, dass die Kündigung eines katholischen Chefarztes durch ein katholisches Krankenhaus wegen erneuter Eheschließung nach Scheidung eine verbotene Diskriminierung darstellen kann.

Anlass für die seit Jahren schwebende Auseinandersetzung ist folgender Sachverhalt:

Die Arbeitgeberin – eine GmbH, die der Aufsicht des katholischen Erzbischofs von Köln unterliegt – erfuhr davon, dass der katholische Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt wurde. 

Daraufhin sprach die Arbeitgeberin eine Kündigung aus: Ihre Rechtfertigung fände die Kündigung in der auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22.09.1993 (Amtsblatt des Erzbistums Köln, S. 222 – GrO 1993). Diese regelt, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyalitätsobliegenheiten darstellt. Dies ergebe sich aus dem Ethos der katholischen Kirche, wonach die kirchliche Eheschließung einen heiligen und unauflöslichen Charakter hat.

Für das bessere Verständnis der Entwicklung des Rechtsstreits ist maßgeblich, dass das Grundgesetz den Kirchen und allen ihnen zugeordneten Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht verleiht, das es ihnen erlaubt, ihre Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen selbstständig zu verwalten. Über Art. 140 GG sind die entsprechenden Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung Teil der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und garantieren, zusammen mit Art. 4 GG, die Ausübung der Religionsfreiheit.

Instanzenzug: Recht haben und Recht behalten

Vor den Arbeitsgerichten ging der Arbeitnehmer gegen die Kündigung vor – und bekam in allen Instanzen Recht. Er wandte ein, seine erneute Eheschließung stelle gerade keinen Kündigungsgrund dar. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da nach der GrO 1993 die Wiederheirat eines evangelischen oder konfessionslosen Chefarztes der Abteilung keine Folgen für dessen Arbeitsverhältnis gehabt hätte.

Das von der unterlegenen Arbeitgeberin angerufene Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe meinte jedoch, die letzte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kippen zu müssen: In einem solchem Fall sei dem Selbstverständnis der Kirchen „ein besonderes Gewicht“ beizumessen. Dies sei vom BAG verkannt worden und wurde deshalb zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen.

Das BAG ersuchte nunmehr den EuGH um Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16). 

Danach ist es grundsätzlich verboten, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren; andererseits kann es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sein, von ihren Beschäftigten besondere Loyalität und Aufrichtigkeit im Einklang mit diesem Ethos zu verlangen. 

Mit der Anfrage nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erbat das oberste deutsche Arbeitsgericht die europarechtliche Einordnung und Klärung der vorgenannten fraglichen und auslegungsbedürftigen „bestimmten Voraussetzungen“. Inwieweit sind die vom BVerfG gemachten Vorgaben mit der EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung vereinbar?

Die Antwort des EuGH:

Zunächst stellt der EuGH fest, dass eine Kirche oder andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine (in Form einer privatrechtlichen Kapitalgesellschaft gegründete) Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit zwar unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos stellen kann. Dies ist jedoch einer wirksamen richterlichen Kontrolle nicht entzogen.

Das zuständige nationale (deutsche) Gericht hat bei dieser Kontrolle sicherzustellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos ist. Dies sei womöglich zu verneinen: Eine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit scheint sie nicht zu sein: Ähnliche Stellen wurden Beschäftigten übertragen, die nicht katholisch und daher nicht denselben Verhaltenspflichten („loyal“ und „aufrichtig“) unterworfen waren. 

Im Ergebnis müssten leitende Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen ihr Privatleben nicht zwingend mit dem Ethos der Kirche in Einklang bringen. Anders ausgedrückt: Es scheint nicht notwendig, dass der Arbeitnehmer zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeiten, nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, das Eheverständnis der katholischen Kirche teilt.

Dies werde i. Ü. auch durch das in der Charta der Grundrechte der EU niedergelegte zwingende Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts gestützt und verleihe schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betreffe, als solches geltend machen könne.

Das BAG wird daher zu prüfen haben, ob in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles die darlegungs- und beweispflichtige Arbeitgeberin ausreichend zur Wahrscheinlichkeit und Erheblichkeit einer gefährdenden Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie vorgetragen hat.

Haben Sie (als Arbeitnehmer) Fragen zur Rechtmäßigkeit einer Kündigung? Beschäftigt Sie (als Arbeitgeber), ob, wann und wie Sie sich von einem Arbeitnehmer trennen können?

Sprechen Sie mit uns! Wir helfen gerne.

Ihr

Tibor E. Jakab


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Tibor E. Jakab

Beiträge zum Thema