Zivilverfahren, Beweislast und Mythen über Zeugen

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Liebe Mandantschaft,

in diesem Rechtstipp erläutere ich Ihnen wie ein Zivilverfahren funktioniert. Dabei werde ich auf das Thema Beweislast und besonders auf Mythen und Fehlvorstellungen bezüglich Zeugen eingehen, die sich mittlerweile eingebürgert haben. Durch diese Fehlvorstellungen geleitet scheuen sich manche Menschen davor, ihre Ansprüche geltend zu machen.

Wie Verfahren funktionieren: 

Gerichte funktionieren so, dass zunächst der "Sachverhalt", d.h. das, was tatsächlich geschehen ist, festgestellt wird.  Dies kann beispielsweise ein Verkehrsunfall an einer Vorfahrtstraße gewesen sein, an dem mehrere Fahrzeuge beteiligt waren.

Erst dann wendet das Gericht auf den von ihm festgestellten Sachverhalt das geltende Recht an und überprüft, ob und für wen dieser Sachverhalt eine sogenannte Rechtsfolge auslöst, was bei einem Verkehrsunfall beispielsweise eine Pflicht sein kann, für Schäden hieraus zu bezahlen.

Im Zivilverfahren gilt dabei der sogenannte "Beibringungsgrundsatz", während in anderen Verfahrensarten wie im Strafprozess die Behörden und später das Gericht von Amts wegen, d.h. aus eigenem Antrieb heraus, den Sachverhalt ermitteln (z.B. was bei einem Raubüberfall geschah).

Die Parteien müssen stattdessen selbst tätig werden und dem Gericht versuchen mitzuteilen, wie beispielsweise der Unfall abgelaufen ist und dem Gericht mögliche Beweismittel beschaffen ("beibringen"). 

Für alle anderen Beteiligten wie Zeugen, Sachverständige etc. gilt in allen Verfahren immer die Wahrheitspflicht. Im Zivilverfahren gilt dabei auch für die Parteien selbst zwingend die Wahrheitspflicht, weil sonst durch Lügen falsche Entscheidungen ergehen könnten. 

Die jeweilige Gegenseite muss sich dabei auch immer zu dem erklären, was von der anderen Partei vorgetragen wird. Geschieht dies nicht, sieht das Gericht dann den nicht bestrittenen Vortrag regelmäßig einfach als "wahr" an. 

Trägt der Kläger etwa vor, dass der Beklagte den Unfall verursacht habe und schweigt der Beklagte hierzu, dann folgt das Gericht dem Vortrag des Klägers. 

Bestreitet der Beklagte in unserem Autounfallszenario aber den Vortrag des Klägers zum Unfallhergang, muss das Gericht wiederum entscheiden, welcher Auffassung es aufgrund welchen Beweismitteln glaubt. 

Im Zivilverfahren sind schließlich die Parteien der Grund dafür, dass der Staat sich überhaupt in Privatangelegenheiten einmischt. Gibt es unterschiedliche Auffassungen (z.B. zur Verursachung des Unfalls), wird die Gegenseite regelmäßig nicht zahlen, weshalb das Gericht entscheiden muss. 


Beweislast: 

"primäre" Beweislast

Das Bestreiten eines Vortrages bedeutet nicht, dass immer eine Partei lügt. Vielmehr ist es so, dass häufig zwischen den Parteien schlicht unterschiedliche Auffassungen beispielsweise über einen Unfallhergang oder über den Inhalt eines Vertrages vorliegen können, die für das Gericht beide gleichermaßen glaubhaft sein können. 

Deswegen gibt es bei unterschiedlichen Auffassungen die sogenannte "Beweislast". Die Standardregel besagt, dass derjenige, der sich auf eine für ihn günstige Tatsache (z.B. zur Verursachung des Unfalls durch den Gegner) beruft, das Gericht davon überzeugen muss, dass es so war. Wer diese anfängliche Beweislast trägt, wird in vielen Fällen durch das Gesetz selbst oder aber durch die Rechtsprechung vorgegeben. 


"sekundäre" Beweislast

Daneben gibt es auch die sogenannte sekundäre Beweislast, bei der sich die anfängliche Beweislast durch den vorgetragenen Inhalt auf den Gegner verschieben kann. Das Ganze können Sie sich wie ein Ballspiel vorstellen: 

Es gibt leichte und schwere Bälle. Um das Spiel zu gewinnen, muss der Beweisbelastete den Ball auf das Spielfeld des Gegners werfen und dieser dort liegenbleiben.

Der Beweisbelastete kann dabei von Anfang an entweder einen leichten oder einen schweren Ball auf das Feld des Gegners werfen, indem dieser eine Tatsache einfach behauptet (= leichter Ball) oder sie detaillierter, "substantiiert" behauptet (= schwerer Ball). 

Der Gegner muss versuchen den Ball aufzuheben und ihn auf das andere Spielfeld zurückzuwerfen.

Wenn der Beweisbelastete einen leichten Ball geworfen hat, kann der Gegner entweder diesen leichten Ball zurückwerfen (einfach bestreiten) oder er kann stattdessen einen schwereren Ball wählen und auf das andere Spielfeld zurückwerfen. 

Genauso kann der Beweisbelastete, wenn er einen leichten Ball zurückgeworfen bekommen hat, ebenfalls einen schweren Ball für die Rückrunde nehmen.


Zulässige Beweismittel um das Gericht zu überzeugen sind dabei z.B. Sachverständige, Urkunden, Augenscheinsbeweis, Zeugen und in engen Grenzen auch die Parteivernehmung. Wenn die Beweismittel nicht reichen, um das Gericht zu überzeugen oder das Gericht nicht weiss, wem es glauben soll, entscheidet es nach Beweislast.


Häufige Fehlvorstellungen bezüglich Zeugen:

Das Konzept der Beweislast haben viele Menschen grob verinnerlicht. Dabei haben sich über die Jahre aber mehrere Vorstellungen in den Köpfen der Leute festgesetzt, die so aber gar nicht stimmen und der Geltendmachung eigener Ansprüche unnötigerweise im Wege stehen.


"Mehr Zeugen sind immer besser"

Hierzu hat sich ein Mythos ausgebildet und zu einer sehr allgemeinen Fehlvorstellung verfestigt, dass in einem Zivilverfahren immer derjenige gewinnt, der mehr Zeugen als der andere hat. Dabei gibt es keine Regel, die besagt, dass derjenige mit mehr Zeugen gewinnt.


Tatsächlich lernen Richter nämlich schon während ihrer Ausbildung, wie man Menschen befragt, welche Umstände eine Person glaubwürdig erscheinen lassen und welche Umstände eine Aussage glaubhaft erscheinen lassen. Auch wissen Richter durch ihre Erfahrung, welche Fragen sie zur Überprüfung des ganzen stellen müssen. Auch wir Anwälte können hier immer helfen, in dem wir in der Beweisaufnahme selbst die richtigen Fragen stellen, wenn das Gericht sie nicht schon aufwirft.


Hat die Gegenseite also zehn Zeugen und Sie haben nur einen oder sogar gar keinen, heisst das noch lange nicht, dass das Gericht der Gegenseite glaubt. Vielmehr geht es immer danach, wem der Richter am Ende glaubt, ganz egal wie oft der Richter die gleiche Geschichte von den zehn Zeugen erzählt bekommt. Ein Märchen wird eben nicht glaubhafter wenn man es zehn mal erzählt.


"Aber der kommt oder sagt dann nichts"

Ein anderer Mythos, der vor allem jüngere Leute, Verkehrsunfallbeteiligte und Arbeitnehmer bei Streitigkeiten im Arbeitsumfeld häufiger betrifft ist der, dass sie zwar Zeugen kennen, aber glauben, dass diese Zeugen bei Gericht nicht kommen oder schweigen würden.

Deswegen werden häufig Ansprüche schlicht aus Angst davor, dass der Zeuge tatsächlich nicht kommen wird oder schweigen wird, nicht geltend gemacht, was häufig auch damit zu tun hat, dass viele nicht wissen, wie Zeugen überhaupt ans Gericht gebracht werden.

Tatsächlich ist diese Sorge oftmals unbegründet. Wenn Sie eine Person dem Gericht als Zeugen für einen bestrittenen Vortrag benennen (und überhaupt dafür die Beweislast tragen), erhält dieser Zeuge vom Gericht selbst eine Vorladung und ist verpflichtet zu kommen. Sollte er dann trotz Verpflichtung nicht kommen, kann und wird das Gericht sogar spürbare Zwangsmaßnahmen gegen den Zeugen ergreifen, die den Zeugen mit Sicherheit dazu veranlassen werden, nicht noch einmal fernzubleiben.

Zeugen sind dabei grundsätzlich auch dazu verpflichtet, auszusagen und haben im Ergebnis auch viel mehr mögliche Nachteile, wenn sie das Gericht anlügen sollten, als wenn sie schlicht wahrheitsgemäß aussagen. Für eine wahrheitsgemäße Aussage bei Gericht kann kein Arbeitgeber dieser Welt jemanden entlassen! 


Abschließende Empfehlung:

Wenn Sie überlegen Ihre Ansprüche durchzusetzen und einen Zivilprozess durchzuführen, sammeln Sie also am besten alles an Unterlagen und notieren Sie sich alles Erdenkliche zu möglichen Zeugen, d.h. auch, was diese unter Umständen aussagen können. Die Feinheiten der Beweislast und wer die Beweislast in welchen Fällen trägt, erklärt Ihnen Ihr Rechtsanwalt!

Als Ihr Rechtsanwalt in Trier und Umgebung gehe ich mit Ihnen auch gerne in einem kostenfreien, persönlichen Erstberatungsgespräch Ihre Angelegenheit durch und biete Ihnen eine grobe Ersteinschätzung der Erfolgsaussichten und Ihres Kostenrisikos!

Selbstverständlich helfe ich Ihnen aber auch, Ansprüche abzuwehren die gegen Sie geltend gemacht werden.

Rufen Sie einfach an oder kontaktieren Sie mich über anwalt.de. Über meine Internetseite unter www.ms-rechtsanwalt.de finden Sie ebenfalls meine Kontaktdaten und weitere Kontaktmöglichkeiten.

Viele Grüße,

Ihr Rechtsanwalt Martin Scheibner

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