Zugewinnausgleich bei Scheidung für Ärzte und Zahnärzte: Tipps und Ratschläge

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Die meisten Ärzte und Zahnärzte schließen keinen Ehevertrag ab. Das bedeutet, dass im Falle einer Scheidung der Zugewinnausgleich greift, und auch die Arzt- oder Zahnarztpraxis in die Berechnung einbezogen wird. Dieser Artikel erklärt, wie der Zugewinnausgleich funktioniert, wie die Praxis bewertet wird, worauf Sie achten sollten, welche Risiken bestehen und wie Sie diese vermeiden können.

1. Der Zugewinnausgleich in Kürze

Beim Zugewinnausgleich wird der Vermögenszuwachs während der Ehe ermittelt. Hierzu wird das Endvermögen (Vermögen zum Zeitpunkt des Scheidungsantrags) um das Anfangsvermögen (Vermögen zum Zeitpunkt der Hochzeit plus Schenkungen und Erbschaften nach der Hochzeit) bereinigt. Der Ehepartner mit dem höheren Zugewinn muss die Hälfte der Differenz zum Zugewinn des anderen ausgleichen.

Beispiel:

  • Ehefrau: 
  • Anfangsvermögen Sparguthaben 10.000 €,  
  • Endvermögen Sparguthaben 20.000 €
  • Ehemann: 
  • Anfangsvermögen Sparguthaben 50.000 €, 
  • Endvermögen Praxis 200.000 € und Sparguthaben 50.000 €



Ehefrau

Ehemann

Anfangsvermögen

10.000 €

50.000 €

Endvermögen

20.000 €

250.000 €

Zugewinn

10.000 €

200.000 €

Zugewinn Ehemann
./. Zugewinn Ehefrau

190.000 €

Zugewinnausgleich ½


95.000 €

In diesem Beispiel wird deutlich, dass die Hälfte des Praxiswertes ausgeglichen werden muss, wenn die Praxis erst nach der Hochzeit gegründet wurde. Wurde die Praxis bereits vorher gegründet, wird nur der Wertzuwachs in der Ehe ausgeglichen.


2. Bewertung der Arzt- bzw. Zahnartzpraxis

Um den Zugewinn berechnen zu können, ist der objektive Verkehrswert der Praxis zu ermitteln. Hierfür gibt es keine gesetzlich vorgeschriebene Bewertungsmethode. Welche Bewertungsmethode angewendet wird, entscheidet der Richter im Einzelfall. Der Wert wird dann gutachterlich durch eine Sachverständigen ermittelt. 

Tipp: Schon im anwaltlichen Vortrag sollten wertmindernde Faktoren erwähnt werden, z.B., wenn das Unternehmen nicht fortgeführt wird oder Anteile unveräußerlich sind.

Die anzuwendende Bewertungsmethode hängt zunächst davon ab, ob die Praxis fortgeführt werden soll oder nicht:


2.1. Praxis wird nicht fortgeführt

Der Liquidationswert ist maßgeblich, wenn die Praxis nach der Scheidung nicht fortgeführt wird. Dieser Wert ergibt sich aus dem Verkauf der Vermögenswerte abzüglich der Schulden.


2.2. Praxis wird fortgeführt

Wenn die Praxis fortgeführt werden soll, wird der Verkehrswert in der Regel aus der Summe des Substanz- und des Ertragswerts gebildet. Wobei die Rechtsprechung den Ertragswert, insbesondere bei Arztpraxen modifiziert. 


2.2.1. Substanzwert

Dieser Wert ergibt sich aus den verkäuflichen Vermögenswerten abzüglich der Schulden.


2.2.2. Ertragswert

Der Ertragswert ist der ideelle Wert eines Unternehmens, der „Goodwill“.

Der Ertragswert basiert auf den durchschnittlichen Gewinnen der letzten Jahre und wird auf den Bewertungsstichtag abgezinst.Bei der Ertragswertmethode geht man grundsätzlich von 

  • einer unbegrenzten Lebensdauer des Unternehmens
  • Fortführung mit unverändertem Konzept
  • allen Zukunftserwartungen aus, die sich aus dem Marktverhältnissen und sonstigen Faktoren ergeben.

Faktoren, wie der Patientenstamm, die Dauer des Bestehens der Praxis, die besondere Expertise des Praxisinhabers und die Laufzeit des Mietvertrages sind also wertbestimmend. Die Bewertung dieser Faktoren kann zu erheblichen Wertunterschieden führen. 

Praxistipp:

Es kommt deshalb im Rahmen eines Wertgutachtens maßgeblich darauf an, dass einerseits dem Sachverständigen die für die Bewertung richtigen tatsächlichen Grundlagen mitgeteilt werden und andererseits die Annahmen des Sachverständigen kritisch geprüft werden.

Mit der klassischen Ertragswertmethode lässt sich bei mittleren und großen Unternehmen der Verkehrswert zuverlässig ermitteln. Dies gilt jedoch nicht für freiberufliche Praxen und kleine Unternehmen. Bei diesen steht und fällt das Unternehmen häufig mit der Person des Inhabers. Deshalb hat der Bundesgerichtshof die Ertragswertmethode für freiberufliche Praxen modifiziert.


2.2.3. Modifizierter Ertragswert

Bei inhaberabhängigen Unternehmen, wie Arztpraxen, kann nicht von einer unbegrenzten Ertragsdauer ausgegangen werden. Deshalb ist bei der Abzinsung ein begrenzter Zeitraum anzunehmen. 

Praxistipp:

Die Länge des Ertragszeitraum wirkt sich erheblich auf den Unternehmenswert aus. Deshalb ist es sehr wichtig, an diese Punkt die Weichen richtig zu stellen.

Da der zukünftige Gewinn maßgeblich von der individuellen Arbeitskraft des Praxisinhabers abhängt, erfordert dies eine zusätzliche Anpassung. Vom Ertragswert muss ein angemessener Unternehmerlohn abgezogen werden. Dieser Unternehmerlohn umfasst das Bruttogehalt zuzüglich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung.

Praxistipp:

Auch hier ist es sehr wichtig die richtigen Tatsachengrundlagen dem Sachverständigen zu übermitteln, damit der Unternehmerlohn korrekt ermittelt wird.


2.2.4. Abzug von Ertragssteuern und Veräußerungskosten

Da der Praxiswert durch Annahme eines hypothetischen Verkaufs der Praxis ermittelt wird, können auch Veräußerungskosten und Ertragssteuern auf den fiktiven Veräußerungsgewinn abgezogen werden.

Der Veräußerungsgewinn, der im Falle eines tatsächlichen Verkaufs der Praxis erzielt würde, unterliegt der Einkommenssteuer gemäß § 16 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Es gibt teilweise die Auffassung, dass diese Steuerlast pauschal mit 35 % angesetzt werden kann. Der Bundesgerichtshof hingegen lehnt diese pauschale Berechnung ab und fordert, dass die Höhe der Steuern für jeden Einzelfall individuell durch ein Gutachten ermittelt wird. Dennoch kann die vorgeschlagene pauschale Berechnung in Verhandlungen zu Vergleichszwecken trotzdem Sinn ergeben.


3. Wer trägt die Kosten für die Wertermittlung?

Jeder Ehepartner muss Informationen über sein Vermögen liefern, aber die Kosten für die Wertermittlung durch einen Sachverständigen trägt zunächst der Auskunftsberechtigte. Diese Kosten können im Zugewinnausgleichsverfahren erstattet oder aufgeteilt werden.


4. Risiken und wie sie vermieden werden können

Der Praxisinhaber steht insbesondere vor zwei erheblichen Risiken im Zusammenhang mit dem Zugewinnausgleich:

  1. Die Bewertung des Unternehmens gestaltet sich als äußerst komplex und schwer vorhersehbar. Oft entsteht ein langwieriger und kostspieliger Streit um den tatsächlichen Wert der Praxis.

  2. Der Zugewinnausgleich muss unmittelbar nach Rechtskraft der Scheidung beglichen werden und kann schnell vollstreckt werden. Falls der geschiedene Ehepartner die Zahlung verlangt und der Praxisinhaber nicht über ausreichende liquide Mittel verfügt, kann er gezwungen sein, sich zu verschulden oder die Praxis zu veräußern.

Um diesen Szenarien vorzubeugen, empfiehlt es sich, einen Ehevertrag abzuschließen. Mit einem solchen Vertrag können Sie den Zugewinnausgleich entweder gänzlich ausschließen oder die Praxis von der Berechnung des Zugewinns ausnehmen.

Wenn Ihre Ehe kriselt oder Sie sich bereits getrennt haben, kann mit einer sogenannten Scheidungsfolgenvereinbarung als Ehevertrag in letzter Sekunde eine zeit- und kostenintensive gerichtliche Auseinandersetzung vermieden und Ihre Praxis in ihrem Bestand geschützt werden. 

Ich unterstütze Sie jederzeit gerne bei allen Fragen rund um die Arzt- bzw. Zahnarztpraxis im Familienrecht. Sei es vorbeugend, sei es im Falle einer Trennung außergerichtlich oder auch in einem Gerichtsverfahren. Rufen Sie an und vereinbaren Sie einen Termin.



*)Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Artikel nur die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter.




Foto(s): iStock.com/carusi83

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