Zulässigkeit und Grenzen von Satire

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Satire - ein rechtliches Spannungsfeld 

Das Schmähgedicht von Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist wohl der bekannteste und zugleich umstrittenste Fall von Satire. Jan Böhmermann hatte das Gedicht im Rahmen seiner Satire-Sendung ,,Neo Magazin Royal“ im Jahr 2016 vorgetragen, um die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit aufzuzeigen. Nach sechsjähriger Auseinandersetzung hat er nun vor dem Bundesverfassungsgericht eine Niederlage erlitten. Das Gedicht entfachte eine kontroverse Diskussion darüber, wie weit Satire gehen darf. Dieser Beitrag soll Zulässigkeit und Grenzen von Satire rechtlich beleuchten. 

Was ist Satire?

Satire ist eine Darstellungsform, mit welcher insbesondere Personen, Ereignisse oder Missstände in überspitzter Form durch Über- oder Untertreibungen ins Lächerliche oder Absurde gezogen werden. Beliebte Verbreitungsarten sind dabei Gedichte, Karikaturen oder Aufführungen.

Geschichtliche Einordnung

Historisch sind die ersten Darstellungsformen der Satire bereits aus der Antike bekannt. Seitdem wurde sich dem Mittel der Satire auf unterschiedlichste Art und Weise bedient. Die menippeische Satire der Antike war durch Darstellungen in Vers- und Prosaform geprägt (Apocolcyntosis – Schmährede auf Kaiser Claudius).

Im Mittelalter entwickelte sich die Satire zum Mittel der Auflehnung der unteren Stände gegen die Obrigkeit weiter.

Im Zeitalter der Aufklärung diente Satire hauptsächlich als didaktisches Mittel, bis sie im 19. Jahrhundert in Form von Gesellschafts- und Politikkritik auftat (Atta Troll von Heinrich Heine).

Von da an hatte Satire mit immer stärkeren Widerständen zu kämpfen, besonders von Seiten der Kirche und konservativen Parteien. Unter der Diktatur der Nationalsoziallisten fand sie ihr vorzeitiges Ende. Satiriker wurden ins Exil gejagt und ihre Werke wurden Opfer von Zensur und Bücherverbrennungen.

Rechtsschutz

Ersten rechtlichen Schutz in Grundzügen fand Satire ab 1854 in Deutschland mit Einführung eines Bundesgesetzes zur Pressefreiheit. Wirklichen Schutz brachte aber erst die Einführung des Grundgesetzes (GG) für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949. In diesem wird Satire im Besonderen durch die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) und die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) geschützt.

Satire-Darsteller können sich nur auf ihren grundrechtlichen Schutz berufen, sofern der grundrechtliche Schutzbereich eröffnet ist.

Die Meinungsfreiheit wie auch die Kunstfreiheit sind Jedermann-Grundrechte, wonach alle natürlichen und auch juristischen Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG von diesem geschützt sind und Ansprüche geltend machen können.

Künstlerisch dargestellte Satire unterfällt grundsätzlich immer der Kunst- und Meinungsfreiheit, weshalb nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) die künstlerisch dargestellte Meinungs-Satire in künstlerischer Betätigung erfolgt. Kunstfreiheit ist lex specialis und damit vorrangig einschlägig (BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 - 1 BvR 435/68). 

Dies gilt nicht, wenn der künstlerische Bezug nur als Beiwerk auftritt. Dort muss der Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG hinter der Meinungsfreiheit zurücktreten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.03.1990 - 1 BvR 1215/87).

Relevant ist die Einordnung im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die Kunstfreiheit wird vorbehaltlos gerechtfertigt. Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 Var. 1 GG).

Kunstfreiheit

Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG besagt:

,,Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei‘‘.

Eine klare Definition des Kunstbegriffes durch die Rechtsprechung gibt es nicht. Kunst zeichnet sich durch stetige Weiterentwicklung aus, eine festgelegte Definition steht von daher mit diesem Wesen im Konflikt (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 - 1 BvR 816/82). Das BVerfG versucht daher mehr den Kunstbegriff zu beschreiben und mit verschiedenen Kategorisierungen eine Einordnung zu finden (Materieller Kunstbegriff (BVerfGE 30, 173, 188), Formaler Kunstbegriff (BVerfGE 67, 213, 225), Offener Kunstbegriff (BVerfGE 67, 213, 226)).

Als besonders grundlegend für die Interpretation der Kunstfreiheit wird die Mephisto Entscheidung des BVerfG angesehen (BVerfGE 30, 173, 188). Die künstlerische Betätigung ist danach jede schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.

Satire kann damit Kunst sein, aber nicht jede Satire ist auch gleichzeitig Kunst (BVerfG, Beschluss vom 25.03.1992 - 1 BvR 514/90). Vielmehr kommt es auf den Einzelfall an.

Meinungsfreiheit

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 besagt:

,,Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“

Bei der Meinungsfreiheit handelt es sich um ein Individualgrundrecht, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die geistige Auseinandersetzung sicherstellen soll. Dazu gehört sowohl die Freiheit der Meinungsbildung als auch der Äußerung. Nicht maßgeblich ist der Wert oder Unwert einer Aussage. Abzugrenzen sind dabei aber bewusste unwahre Tatsachenbehauptungen.

Grenzen der Kunst- und Meinungsfreiheit

Trotz dieses grundrechtlichen Schutzes ist Satire nicht grenzenlos. Zwar unterliegt die Kunstfreiheit nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 GG keiner Schranke, eine Einschränkung durch verfassungsimmanente Schranken in Form von kollidierendem Verfassungsrecht ist jedoch immer möglich.

Die Meinungsfreiheit unterliegt nach Art. 5 Abs. 2 GG einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt, wonach bereits ein Eingriff durch allgemeines Gesetz möglich ist. Allgemeine Gesetze sind dabei solche, die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsgut dienen (Lüth-Urteil, BVerfGE 7,198 209).

Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist daher erst recht möglich.

Allgemein findet Satire ihr Ende in der rechtlichen Zulässigkeit dort, wo die Grenze der Beleidigung ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung oder der nicht zulässigen Schmähkritik überschritten wird. Die Grenze des Erlaubten ergibt sich im Besonderen aus der Abwägung zwischen den Grundrechtsgarantien des Satirikers und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG).

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein vom BVerfG entwickeltes Grundrecht und wird aus Art. 2 Abs. 1 GG (Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit) und Art. 1 Abs. 1 GG (Unantastbarkeit der Menschenwürde) abgeleitet. Es sichert dem Einzelnen unter anderem das Recht selbst zu bestimmen, wie er sich in der Öffentlichkeit präsentiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.1980 - 1 BvR 185/77). Eng verknüpft und dem Persönlichkeitsrecht zugehörig ist das Recht am eigenen Bild. Gemeint ist damit das Recht, die Darstellung der eigenen Person anderen gegenüber selbst zu bestimmen (vgl. Caroline von Monaco II, BVerfGE 101, 361). Ein Recht so dargestellt zu werden, wie man es möchte, hat man dabei jedoch nicht.

Auch der Ehrschutz und Verletzungen des Betroffenen sind vom Allgemeinen Persönlichkeitsrecht erfasst.

Vielfach sind satirische Darstellungen dazu geeignet, die Ehre des Betroffenen zu kränken. Damit können sie nicht nur das Allgemeine Persönlichkeitsrecht betreffen, sondern auch den Straftatbestand der Beleidigung des Strafgesetzbuches (StGB) erfüllen (§ 185 StGB).

Beleidigung

Satire stellt eine Beleidigung gem. § 185 dar, wenn der Angriff auf die persönliche Ehre eines anderen durch Kundgabe der Nicht- oder Missachtung abzielt. Ehre ist dabei der Anspruch eines Menschen auf Achtung seiner Persönlichkeit (BGHSt 1, 288). Eingriffe durch Beleidigungen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht können jedoch im Einzelfall noch von der Kunst- und Meinungsfreiheit geschützt sein. Auch hier gilt es im Einzelnen abzuwägen.

Schmähkritik

Nach Rechtsprechung des BVerfG bedarf es bei bloßer Schmähkritik keines grundrechtlichen Schutzes und damit auch keiner Abwägung. Schmähkritik ist eine Äußerung, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache gegeben ist, sondern die bloße Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 25.02.1993 - 1 BvR 151/93). Nach Rechtsprechung des BVerfG tritt in solchen Fällen die Meinungsfreiheit hinter dem Ehrschutz zurück (BVerfG, Beschluss vom 19.02.2019 - 1 BvR 1954/17).

Abwägungskriterien

Somit ist bei jeder satirischen Darstellung - mit Ausnahme der Schmähkritik - eine interessensgerechte Abwägung durchzuführen.

Dabei ist festzustellen, ob der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes dem Freiheitsanspruch der Satire als Kunstform oder Meinungsäußerung vorrangig ist.

Die Rechtsprechung hat im Hinblick auf die Güterabwägung die Trennmethode entwickelt. Danach ist der Aussagekern und die Einkleidung der Satire gesondert danach zu überprüfen, ob sie Persönlichkeitsrechte verletzt. Die Maßstäbe für die Beurteilung der satirischen Einkleidung sind dabei weniger eng gefasst als die direkte Bewertung des Aussagekerns (Beschluss des Ersten Senats vom 03.06.1987 - 1 BvR 313/85). Zu beachten ist auch, dass die Satire meist nicht beabsichtigt, die kritisierte Sache objektiv darzustellen, weshalb eine ironische Satire nicht wortwörtlich genommen werden darf. Vielmehr stellt die Satire meist eine subjektive Bewertung auf indirekte Weise dar. Ihr thematischer Inhalt ist daher dem Kontext zu entnehmen. Ansonsten würde der verfassungsrechtliche Schutz ins Leere laufen. Keine Veranlassung für die Trennmethode besteht, wenn bereits die Einkleidung unabhängig von einem dahinterliegenden Aussagekern eine schwerwiegende Ehrverletzung darstellt.

Auf der anderen Seite ist die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeit festzustellen. Für die Beurteilung der Schwere des Eingriffs spielt unter anderem auch eine Rolle, ob in die Intimsphäre, die Privatsphäre oder die Individualsphäre des Betroffenen eingegriffen wird. Zur Intimsphäre gehört die innerste Gedanken- und Gefühlswelt. Die Intimsphäre ist nahezu unantastbar. Eingriffe in Privatsphäre und Individualsphäre vermitteln absteigend weniger Schutz für den Betroffenen der Satire und sind von daher schneller gerechtfertigt. Auch die mediale und öffentliche Aktivität des Betroffenen sind in der Abwägung zu berücksichtigen. Politiker, Schauspieler oder andere Personen des öffentlichen Lebens besitzen eine höhere Schmerzensgrenze als der normale Bürger. Um so stärker der Betroffene in der Öffentlichkeit steht, desto stärker darf der Eingriff durch die Satire sein. Ob sich Satiriker dabei aber vollkommen in den Schutz der Meinungs- und Kunstfreiheit flüchten können, bleibt vom Einzelfall abhängig. Auch Personen des öffentlichen Lebens haben ein Persönlichkeitsrecht.

Es ist also festzustellen, inwieweit die Meinungs- und Kunstfreiheit den Eingriff in die Persönlichkeitssphäre überwiegt.

Unmittelbarer Rechtsschutz

Rechtsschutz gegenüber unzulässigen satirischen Darstellungen besteht in Form von gerichtlichen Unterlassungs-, Schadensersatz- oder gar strafrechtlichen Ansprüchen.

Fazit

Mithin lässt sich feststellen, dass Satire zwar viel kann und darf, ihre Grenze aber bei dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen findet. Ob eine ungerechtfertigte Verletzung vorliegt, ist immer im Einzelfall abzuwägen.

Die Grenzen und Abwägungskriterien befinden sich jedoch auch in einem ständigen Wandel. Was früher noch eine schwerwiegende Beeinträchtigung von menschlicher Ehre war, kann heute akzeptiert sein.

Satire darf damit viel, aber nicht alles, wie es Tucholsky eins forderte: 

Was darf Satire: "Alles‘‘ (Tucholsky am 27.01.1919 – Berliner Tageblatt).


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