Zur Haftung für die fehlerhafte Vermittlung einer privaten Krankenversicherung

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Die Vermittlung von Versicherungen birgt aufgrund der damit verbundenen Beratungspflichten für den Vermittler ein häufig noch unterschätztes Haftungspotential. Denn der potentielle Versicherungsnehmer wird in der Regel ein versicherungstechnischer Laie sein, so dass er von der Rechtsprechung als in hohem Maße aufklärungsbedürftig angesehen wird. Wenn er sich mit diesem erkennbaren Beratungsbedarf an einen Versicherungsvermittler als Fachmann wendet, so ist dieser zur Beratung verpflichtet, d.h. er muss den Kunden umfänglich über das Produkt und die Vor- und Nachteile des angebotenen Vertrags aufklären. Für den Versicherungsmakler ist der Umfang dieser Beratungspflicht und die daraus folgende Schadenersatzverpflichtung seit dem Sachwalterurteil des Bundesgerichtshofs im Grundsatz geklärt und diesbezügliche Schadenersatzprozesse beschäftigen seit Jahrzehnten regelmäßig die Gerichte.

Bis zum Jahre 2008 war für den Versicherungsvertreter - in der früheren Terminologie des Gesetzes der Versicherungsagent - eine persönliche Haftung gesetzlich jedoch nicht vorgesehen. Vielmehr wurden etwaige Fehlberatungen durch einen Versicherungsagenten strukturelle darüber gelöst, dass bestimmte (nachweisbare) Aussagen und Fehlberatungen dem Versicherer selbst zugerechnet wurden. Die damit verbundene Rechtsprechung wies jedoch im Hinblick auf den Schutz des Kunden erhebliche Lücken auf. Dies nahm der Gesetzgeber bei der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes zum Anlass, eine persönliche Haftung des Versicherungsvertreters und mit ins Gesetz aufzunehmen. In der juristischen Dogmatik betrat der Gesetzgeber damit Neuland, da die persönliche Haftung eines Stellvertreters ansonsten ein besonderes Näheverhältnis im Sinne des § 311 Abs. 3 BGB voraussetzt. Ein solches Näheverhältnis soll bei einem „normalen" Vermittler nur auf Grundlage des Provisionsinteresses aber gerade nicht bestehen.

Erstaunlicherweise hat die neue Rechtslage bislang relativ wenig Niederschlag in der Rechtsprechung gefunden, was wohl mit daran liegen mag, dass auch vielen Rechtsberatern die persönliche Einstandspflicht des Versicherungsvertreters schlichtweg unbekannt ist. Darüber hinaus stimmen die verschiedenen Kommentatoren in der juristischen Literatur zwar darin überein, dass die Beratungspflichten des an den Versicherer gebundenen Versicherungsvertreters nicht so weitreichend sein können wie die von der Rechtsprechung für den Versicherungsmakler herausgearbeiteten Pflichten. Welche konkreten Beratungspflichten jedoch bestehen, bleibt im Wesentlichen der Rechtsprechung überlassen. Erfreulicherweise hat das OLG München nunmehr in seinem Urteil vom 22.06.2012, Az. 25 U 3343/12 (abgedruckt in VersR 2012, 1902 ff.) die Möglichkeit genutzt und einige grundlegende Aussagen zur Haftung des Versicherungsvermittlers im Rahmen der Umdeckung einer privaten Krankenversicherung getätigt. Allerdings zeigt das Urteil auch die Grenzen der Schadenersatzpflicht des Vermittlers auf.

Das OLG München hatte dabei den nachstehend kurz zusammengefassten Sachverhalt zu entscheiden:

Der 1951 geborene Kläger unterhielt bis zum Jahre 2009 bei dem Versicherer A eine private Krankenkosten- und Pflegepflichtversicherung. Der Vertrag bestand seit 1985 und enthielt neben den kalkulatorischen Altersrückstellungen auch einen Beitragsentlastungstarif, d.h. dass neben den laufenden Beiträgen Gelder angespart wurden, die im Alter zusätzlich den Beitrag zur Versicherung senken sollten. Im April/Mai 2009 kam es zu einer Beratung durch den Beklagten zu 1.), der zu dieser Zeit bei einem Finanzdienstleister F beschäftigt und Ausschließlichkeitsvertreter für die Beklagte zu 2.) war. Infolge der Beratung kündigte der Kläger seinen bestehenden Versicherungsvertrag und schloss einen neuen Vertrag über eine private Krankenkostenversicherung bei der Beklagten zu 2.). Der Beklagte zu 1.) füllte beim Vermittlungsgespräch ein Beratungsprotokoll aus. Ob er dem Kläger vor dem Beratungsgespräch ein Informationsblatt übergeben hat, aus dem sich ergab, dass er gebundener Vermittler der Beklagten zu 2.) ist, konnte ebenso wenig geklärt werden wie die Frage, wann die Vertragsunterlagen dem Kläger übergeben wurden. Durch den neuen Vertrag verringerten sich die monatlichen Beiträge von ursprünglich 496,86 EUR auf 435,34 EUR. Allerdings sah der Vertrag geringere Leistungen im Bereich der stationären Versorgung vor und der Kläger ging eines Großteils seiner angesparten Rückstellungen zur Verringerung der Beiträge im Alter verlustig.

Der Kläger verlangte nunmehr die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet seien, ihm den in Zukunft erwachsenden Schaden zu ersetzen. Er bezog sich darauf, dass die Beratung deswegen mangelhaft sei, weil man ihn nicht ausreichend auf die mit der Vermittlung verbundenen Nachteile hingewiesen habe. Hätte man ihn über den Verlust der Rückstellungen und die geringeren Leistungen aufgeklärt, hätte er seinen ursprünglichen Vertrag nicht gekündigt und bei der Beklagten zu 2.) keinen neuen Vertrag abgeschlossen.

Nachdem das Landgericht die Klage in erster Instanz abgewiesen hatte, gab das Oberlandesgericht nun der Berufung des Klägers statt und stellte fest, dass die Beklagten zum Schadenersatz verpflichtet sind.

Dabei ging das Gericht davon aus, dass der Vermittler, der Beklagte zu 1.), für die ordnungsgemäße und fehlerfreie Beratung darlegungs- und beweisbelastet ist. Zwar sei der Kläger an sich darlegungs- und beweisbelastet für die von ihm behauptete Pflichtverletzung. Die Beweislast kehrte sich hier aber deswegen um, weil der Vermittler selbst nur eine unzureichende Beratungsdokumentation vorlegen konnte. Dies ist insoweit bemerkenswert, als dass die Dokumentation - wie allgemein üblich - auf einem vorgefertigten Formular erstellt wurde. Das Gericht ging jedoch aufgrund des Inhalts des Protokolls und insbesondere der fehlenden Individualisierung davon aus, dass der Dokumentation kein Beweiswert zukomme. Hierzu führte das Gericht aus, dass „aus der Dokumentation in Ansätzen nachvollzogen werden können soll, was der wesentliche Gesprächs- und Beratungsinhalt war". Dem genüge ein schematisches Ankreuzen ohne jegliche weitere Erläuterungen nicht.

Wenn man sich allerdings vor Augen hält, dass in der Vertriebspraxis die Dokumentation vielfach schematisch verläuft, ohne vertiefte individualisierte Angaben aufzunehmen, dürften nach Ansicht des Senats ein Großteil der in der Praxis erstellten Beratungsdokumentationen fehlerhaft sein. Dies ist im Ergebnis für die Versicherungsnehmer vorteilhaft, die durch die Dokumentationspflicht nach dem Willen des Gesetzgebers geschützt werden sollten. Gleichzeitig ist diese Lastenverteilung auch gerechtfertigt, da die Vermittler es im Ergebnis selbst in der Hand haben, eine ordnungsgemäße und individualisierte Dokumentation zu erstellen.

Den Nachweis einer ordnungsgemäßen Beratung konnte der Beklagte zu 1.) daher nicht mit der Vorlage der Dokumentation führen. Anscheinend hat das Gericht zur Aufklärung des Sachverhalts beide Parteien sowohl erst- als auch zweitinstanzlich angehört. Bei diesen Anhörungen kommt der Erinnerung der Parteien große Bedeutung zu, was für die Versicherungsvertreter dann nachteilig ist, wenn sie mangels konkreter Erinnerung an die Beratungssituation nur bruchstückhaft berichten können, während der Versicherungsnehmer den Vertragsschluss in der Regel gut erinnern kann, da es sich für ihn um ein einmaliges Ereignis handelt. Sofern die Vermittlung dann in objektiver Hinsicht nicht nachvollziehbar ist bzw. Nachteile sich für den Fachmann aufdrängen, dürfte es dem Vermittler regelmäßig schwerfallen zu erklären, warum er ein bestimmtes Produkt trotz der Benennung der Nachteile vermitteln konnte. Hierfür ist der zu entscheidende Sachverhalt gerade beispielhaft. Der günstigere Monatsbeitrag des neuen Vertrags war nach der Kalkulation sicherlich zu einem Großteil auf die Verringerung der vertraglichen Leistungen im stationären Bereich zurückzuführen. Wenn diese Reduktion gewünscht war, hätte der objektive Rat bestimmt lauten müssen, einen Tarifwechsel beim bisherigen Versicherer durchzuführen und die bestehenden Rückstellungen zu retten. Zu diesem Rat wäre der gebundene Versicherungsvermittler zwar nicht verpflichtet gewesen, da er nur Beratung bei der Vermittlung seines Produkts schuldet. Er hätte jedoch darauf hinweisen müssen, dass die Beendigung der bestehenden Versicherung mit Nachteilen verbunden ist, um dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit einer sachgerechten Entscheidung zu geben, soweit für ihn ersichtlich war, dass der Versicherungsnehmer die wirtschaftliche Bedeutung seiner Entscheidung nicht überblicken kann (so Leitsatz Nr. 3).

Hinzu kam noch, dass der Versicherungsnehmer glaubhaft darlegen konnte, dass ihm der Bestand des identischen Versicherungsschutzes wichtig war und er sich einer Verringerung der Leistungen nicht bewusst war.

Da das Gericht somit von einer Pflichtverletzung im Rahmen der Beratung ausging, stellte es die Schadenersatzpflicht des Beklagten zu 1.) fest. Die Beklagte zu 2.), die ihrer eigenen Beratungspflicht durch die Einschaltung des Beklagten zu 1.) nachgekommen war, musste sich dessen Pflichtverletzung und Verschulden als Erfüllungsgehilfe zurechnen lassen.

Das Urteil betrifft eine Vermittlungskonstellation, in der potentiell noch viele Haftungsfälle schlummern. Grundsätzlich ist schon in jungen Jahren der Wechsel von einem privaten Krankenversicherer zu einem anderen privaten Krankenversicherer aufgrund der begrenzten Portabilität der Altersrückstellungen mit wirtschaftlichen Nachteilen verbunden. Dies stellen sogar die zwischen den Versicherern geltenden Wettbewerbsrichtlinien fest. Dennoch zahlten in der Vergangenheit eine Reihe von privaten Krankenversicherern überdurchschnittlich hohe Vermittlungsprovisionen für die Vermittlung von neuen Kunden. Folge hiervon war, dass der Anreiz für den Vermittler überproportional stieg, auch für den Kunden nachteilige Umdeckungen vorzunehmen. Dies wurde noch dadurch begünstigt, dass die Produkte selbst schwer verständlich sind, weil man die unterschiedlichen Leistungen nur durch Gegenüberstellung der Tarifbedingungen vergleichen kann, also vermeintlich günstigere Tarife auch schlichtweg weniger Leistung beinhalten können, in den gewährten Leistungen aber u.U. sogar teurer sind. Dies ist vielen Versicherungsnehmern jedoch nicht bewusst, da sie davon ausgehen, dass „die private Krankenversicherung" genauso feststehende Leistungen hätte wie die gesetzliche Krankenversicherung und der Vergleich somit nur über den Preis möglich wäre.

Gleichzeitig macht das Urteil aber auch eine Schwäche des Schadenersatzanspruchs geltend. Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger nur die Feststellung, dass er für den zukünftig wahrscheinlich eintretenden Schaden Ersatz verlangen kann. Der Nachweis dieses Anspruchs dem Grunde nach ist jedoch relativ leicht geführt. Folge ist jedoch nur, dass die Beklagten den Kläger so stellen müssen, wie er stünde, wenn er den alten Vertrag behalten und den neuen nicht abgeschlossen hätte. Letztendlich muss der Kläger also den bestehenden (von ihm nicht gewünschten) Vertrag fortführen und die damit verbundenen Kosten ins Verhältnis setzen zu den hypothetischen Kosten, wenn er seinen alten Vertrag fortgeführt hätte. Die entsprechenden Zahlen seines alten Versicherers wird er aber von diesem nicht erhalten. Hinzu kommt die Frage, wie mit dem verringerten Leistungsumfang umzugehen ist. Muss der Kläger eine nicht abgedeckte Leistung u.U. vorfinanzieren und dann einzeln bei den Beklagten einklagen? Manche Untergerichte haben auch schon die Frage aufgeworfen, ob der Versicherungsnehmer nach erkannter Pflichtwidrigkeit nicht unter Umständen im Rahmen einer Schadenminderungspflicht zur erneuten Umdeckung verpflichtet sein kann. Dann schließt sich allerdings die Frage an: in welchen Tarif?

Hierauf wird die Rechtsprechung eine Antwort finden müssen.

Heiko Effelsberg, LL.M.

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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